Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

17. Juni 2020 – Juni-Plenum

Neues Polizeirecht auf den Prüfstand

Die Landesregierung bekommt viel Zustimmung für ihren Reform-Entwurf zum Polizeirecht. Er setzt den Rahmen für den finalen Rettungsschuss, elektronische Fußfesseln oder Bodycams.

Polizei Bodycam
Mehr Transparenz verspricht sie die Landesregierung von den überarbeiteten Regeln für den Einsatz von „Bodycams“. Foto (Archiv): dpa, Carsten Rehder

Schleierfahndung unter Richtervorbehalt, Bodycams im Einsatz und Elektroschockpistolen als zulässige Waffen: Das sind einige der Neuerungen, die die Reform der „polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im Landesverwaltungsgesetz“ vorsieht. Der den rechtlichen Rahmen regelnde Entwurf der Landesregierung trifft in Erster Lesung auf grundsätzliche Zustimmung. Die SPD zielte jedoch mit scharfer Kritik auf den finalen Rettungsschuss, der dem Entwurf zufolge auch auf Kinder unter 14 Jahren abgegeben werden kann.

Das Polizeirecht sei zuletzt 1992 grundlegend überarbeitet und 2007 ergänzt worden, sagte die im Mai zur Innenministerin ernannte Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Mittlerweile gebe es aber neue Bedrohungslagen, die die Polizei bewältigen müsse. Dazu zählte die Ministerin vor allem den internationalen Terrorismus. Die Polizei brauche daher Instrumente, um auf diese Anforderungen reagieren zu können sowie ein „Höchstmaß an Rechtssicherheit“.

SPD: Auf Kinder schießt man nicht

Es handele sich um „moderate“ Anpassungen und Ergänzungen betonte Sütterlin-Waack: „Der Entwurf trägt den Leitgedanken des Ausgleichs von Sicherheit und Freiheit.“ Umgesetzt würden dabei auch die jüngsten Vorgaben des Bundesgerichtshofes. Der finalen Rettungsschuss dürfe nur „in absoluten Ausnahmesituationen als allerletztes Abwehrmittel bei Gefahr von Leib und Leben“ eingesetzt werden, erklärte die Ministerin.

Auf Kinder schießt man nicht, entgegnete die Polizeiexpertin der SPD, Kathrin Bockey. Diese „politische Verschiebung von ethischer Verantwortung“ stelle „einen mentalen Dammbruch“ dar, den die SPD nicht mitgehe. Gesetze mache man mit einem kühlen Kopf und nicht unter dem Eindruck des aktuellen Geschehens, konstatierte sie: „Schüsse auf Kinder und Fußfesseln sind nicht das, was wir uns vorstellen.“

Die Polizeireform wird jetzt im Innen- und Rechtsausschuss weiter beraten.

Weitere Stimmen aus dem Plenum

Tim Brockmann (CDU):
Das ist ein guter Tag für die Landespolizei. Viele Punkte werden den Arbeitsalltag unserer Polizisten erleichtern. Wir scheuen uns nicht davor, moralisch-ethische Themen anzupacken. Der polizeiliche Schusswaffengebrauch kann und darf nur Ultimo Ratio sein. Dann ist die Rechtssicherheit der eingesetzten Polizisten essentiell.

Burkhard Peters (Grüne):
Es gibt nur wenig im Jamaika-Koalitionsvertrag, was so heikel war wie die Überarbeitung des Polizeirechts. Die Meinungen lagen zum Teil meilenweit auseinander. Wir haben das nur dank Innenminister Hans-Joachim Grote (Anmerkung: Grote ist inzwischen zurückgetreten) und Staatssekretär Torsten Geerdts hinbekommen. Es geht um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit.

Christopher Vogt (FDP):
Freiheit braucht auch Sicherheit. Der Schlüssel liegt in der effektiven Durchsetzung des geltenden Rechts. Wir wollen eine effektive Bekämpfung der Kriminalität und haben uns strikt daran orientiert, was die Polizeibeamten brauchen, ohne Bürgerrechte zu schleifen. Terrorismus, Cyberkriminalität und neue Aggressivität gegen Polizisten sind Themen, auf die man vorbereitet sein muss.

Claus Schaffer (AfD):
Viel zu viel Zeit hat die Jamaika-Koalition bei der Reform vertan. Das vorliegende Papier weist Licht und Schatten auf. Die Polizei braucht den Taser jetzt. Ähnlich verhält es sich mit dem polizeilichen Rettungsschuss. Das hätte alles schneller gehen können.  

Lars Harms (SSW):
Es ist richtig, beim finalen Rettungsschuss den Beamten Rechts- und Handlungssicherheit zu geben, so wie sie in den allermeisten anderen Bundeländern besteht. Wir wenden uns jedoch gegen racial profiling, das häufig auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen basierende Agieren von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten.

Bericht folgt rund eine Stunde nach der Debatte

Seit vielen Monaten bastelt die Jamaika-Koalition an ihrer Reform des Polizeirechts in Schleswig-Holstein. Ende April billigte das Kabinett einen überarbeiteten Entwurf, der jetzt in Erster Lesung im Parlament beraten wird. Die Kernpunkte sind darin unverändert geblieben: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der finale Rettungsschuss notfalls auch unter 14-Jährige treffen könnte. Ein denkbares Beispiel wäre der Missbrauch von Jugendlichen als islamistische Selbstmordattentäter. Die Entscheidung, in einer Extremsituation einen finalen Rettungsschuss abzufeuern, soll dem Gewissen jedes einzelnen Beamten überlassen bleiben.

Das künftige Polizeirecht soll auch Elektroschockpistolen (Taser) als zulässige Waffen der Polizei aufführen. Zudem sollen rechtliche Lücken geschlossen werden, um Fesselungen bei Widerstandshandlungen gegen Beamte besser zu regeln. Es sollen der Polizei anlasslose Anhalte- und Sichtkontrollen in Grenzregionen und auf Transitstrecken ermöglicht werden. Ebenso vorgesehen sein soll der Einsatz verdeckter Ermittler zu präventiv-polizeilichen Zwecken und von GPS zur Observation.

Verdeckte Ermittlungen unter Richtervorbehalt

Neu ist auch die geplante Einführung von Aufenthaltsgeboten mit Meldeauflagen. So sollen relevante Personen von der Planung und Durchführung terroristischer Anschläge abgehalten werden können. Schleswig-Holstein will zudem den Umgang mit Informanten aus kriminellen Kreisen strenger kontrollieren. Die Zusammenarbeit mit sogenannten Vertrauenspersonen und der Einsatz verdeckter Ermittler beispielsweise bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität sollen künftig unter Richtervorbehalt gestellt werden.

Zur ersten Kabinettsbefassung im November 2019 hätten sich in den rechtlichen Regelungen „zwei nennenswerte Änderungen“ für den Einsatz von Bodycams und bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen ergeben, sagte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) bei Vorstellung des Gesetzentwurfs Ende April. Die neu geschaffene Befugnis zum Einsatz von „Bodycams“ sei transparenter ausgestaltet worden. Die Voraussetzungen für das Versetzen der Kamera in den Bereitschaftsmodus sind laut Grote jetzt normiert: „Es darf nur gestartet werden, wenn zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass dies zum Schutz einer Person gegen eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit erforderlich ist.“

Strengere Zuverlässigkeitsüberprüfungen

Die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Dienstleistungsanbietern sollen ausgeweitet werden. So sollen auch Anbieter, die sich unbegleitet in Gerichten und Staatsanwaltschaften bewegen, überprüft werden können. Bisher galt dies nur für unbegleitete Dienstleistungsanbieter auf Polizeiliegenschaften. „Für Polizei und Justiz, die mit sensiblen Vorgängen befasst sind, ist dies ein wichtiger Punkt“, sagte Grote.

Das neue Polizeirecht regelt nur den rechtlichen Rahmen. Schleswig-Holstein ist bisher neben Mecklenburg und Berlin das einzige Bundesland ohne eine rechtliche Regelung.

(Stand: 15. Juni 2020)

Vorherige Debatte zum Thema:
März 2019

Erste Lesung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im Landesverwaltungsgesetz (LVwGPORÄndG)
Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 19/2118
(Federführend ist das Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung)