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04.07.18
13:50 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Regierungserklärung „Schleswig-Holstein hält Kurs“

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 1A – Regierungserklärung Pressesprecherin „Schleswig-Holstein hält Kurs“ Claudia Jacob Landeshaus Dazu sagt die Vorsitzende Düsternbrooker Weg 70 der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Eka von Kalben: Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 257.18 / 04.07.2018

Schleswig-Holstein stellt sich dem Rechtsruck entgegen
Ich weiß, die Regierungserklärung heißt nicht „Lage der Nation“, sondern „Schleswig- Holstein hält Kurs“. Und natürlich soll es auch um Schleswig-Holstein gehen. Aber ich komme hier nicht umhin, auch etwas zur Bundespolitik zu sagen, beziehungsweise zum abstrusen Verhalten einer Partei, die nur in einem einzigen unserer 16 Bundesländer wählbar ist und deren Vertreter sich aufführen, als säßen sie auf einem goldenen Thron.
Schleswig-Holstein ist Teil dieser Bundesrepublik und angesichts dessen, was wir in Berlin erleben, ist es angemessen, aus Sicht unseres Landes Stellung zu beziehen.
Viele sagen ja, dass die CSU schlichtweg Landtagswahlkampf macht. Dass der deut- sche Innenminister eine Verschiebung im Koordinatensystem der Parteienlandschaft dieser Republik in Kauf nimmt, um in seiner bayerischen Heimat am äußersten rechten Rand nach Stimmen zu fischen.
Aber ich vermute, dass es nicht nur Wahlkampf ist, den Seehofer und Söder da betrei- ben, sondern dass sie die Koordinaten für das ganze Land verschieben wollen. Dass sie hoffen, die Republik nach rechts zu ziehen, um die AfD über den rechten Rand zu kippen.
Und deshalb geht es auch nicht nur um Bayern, sondern um ganz Deutschland und darüber hinaus um die Europäische Union. Die Europäische Union, dieses einmalige und wertvolle Friedensprojekt des letzten Jahrhunderts.
Ich bin froh, dass zumindest CDU und SPD auf den europäischen Weg in der Flücht- lingspolitik bestehen, auch wenn ich zugeben muss, dass die Wege, die in Europa nun eingeschlagen werden sollen, ganz und gar nicht meine sind - eine Festung Europa mit
Seite 1 von 5 Flüchtlingslagern in der Wüste, verschärften Grenzkontrollen außerhalb und innerhalb der EU, Schleierfahndung und regionalen Sonderlocken bei allen möglichen Entschei- dungen. Das ist nicht das Europa, von dem ich träume.
Meine Partei und ich möchten kein Europa, das sich einigelt, sondern ein Europa, das Verantwortung übernimmt und sich den globalen Herausforderungen stellt. Es geht um die massiven Herausforderungen, die wir nicht alleine schultern können: Den Klima- wandel, der schon jetzt für die Menschen in vielen Teilen dieser Welt Dürre, Hunger und Zerstörung bedeutet; weltweite Fluchtbewegungen, wegen Krieg, Verfolgung und Ar- mut, auch in Folge des Klimawandels; die Angst vor Terrorismus sowie die Folgen der Digitalisierung und Globalisierung.
Angesichts dieser Herausforderungen brauchen wir mehr weltweite Kooperation und nicht weniger, mehr Europa und nicht weniger, eine stabile Regierung und keinen Cha- oshaufen und mehr Dialog und keine Egomanie. Davon gibt es jenseits des großen Tei- ches im Trump Tower genug.
Meine Damen und Herren,
wir alle können extrem dankbar und glücklich sein, im Deutschland unserer Zeit zu le- ben:
In diesem Land, in welchem zwar immer noch zu viele Menschen unter Diskriminierun- gen leiden, aber in welchem keine Minderheit von Verfolgung und Tod bedroht ist. In diesem Land, in welchem wir zwar noch sehr weit von einer wirklichen sozialen Ge- rechtigkeit entfernt sind, aber welches zumindest über soziale Sicherungssysteme ver- fügt.
In diesem Land, welches von gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels, wie Dürre und Überschwemmungen, verhältnismäßig verschont bleibt.
In diesem Land, in welchem nur die älteste Generation einen schrecklichen Krieg miter- lebt hat.
In diesem Land, welches sich in einer sicheren, friedlichen und stabilen Nachbarschaft befindet.
Und letzteres, meine Damen und Herren, haben wir mit Sicherheit nicht mehr National- staatlichkeit und streng bewachten Grenzen zu verdanken, sondern dem Zusammen- halt und der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union. Deutschland ist genauso abhängig von einer starken EU wie die EU von einem starken und stabilen Deutschland. Wer heute einen anti-europäischen Kurs einschlägt und auf mehr Nationalstaatlichkeit pocht, hat die Zeichen der Zeit verkannt.
Politik ist kein Kinderspiel. Es geht nicht darum, wer den höchsten Zaun baut. Politik sollte auch keine Bühne für pubertäres Kräftemessen sein. Es geht nicht darum, wer die dickste Hose hat. Politik ist kein Kinderspiel, sondern eine ernstzunehmende Angele- genheit, weil sie über das Leben der Menschen entscheidet.
Der Unionsstreit wird auf Kosten einer humanitären Asylpolitik ausgetragen. Das ist fa- tal und unmenschlich. Sieht man einmal von dem Machtgerangel ab, dann muss man feststellen, dass die Krise der Union und jetzt der Koalition auch ein Spiegel für unsere 2 gespaltene Gesellschaft ist.
Es gibt diejenigen, die an die Willkommenskultur um 2015 anknüpfen wollen. Und es gibt diejenigen, denen die Veränderungen im Asylrecht der letzten Jahre noch nicht weit genug gehen und welche mit ihren Aussagen die mit Sicherheit vorhandenen Ängste in der Zivilgesellschaft noch befeuern. Die öffentliche Debatte ist dabei mehr von der ge- fühlten Temperatur als von Fakten geprägt.
Wir in Schleswig-Holstein sind weder gefühllos, noch machen wir Politik nur nach Ge- fühl. Denn für eine gute Politik ist beides wichtig: Menschlichkeit und Sachlichkeit. Des- halb gehört zu unserer Politik eine humanitäre Aufnahme von Menschen, die unsere Hilfe brauchen, genauso wie die Organisation von möglichst freiwilligen Rückführungen für diejenigen, die nicht bleiben dürfen.
Deshalb gehört zu unserer Politik die Stärkung der Polizei durch mehr Stellen, einer Er- schwerniszulage und einer Polizeibeauftragten, an die sich alle Bürger*innen wenden können.
Und deshalb nimmt unsere Wirtschaftspolitik sowohl Unternehmen als auch Arbeitneh- mer*innen in den Blick. Deshalb kümmern wir uns um sozialen Wohnungsbau und ach- ten trotzdem darauf, dass nicht jede Fläche verbaut wird.
Deshalb schaffen wir eine Windkraftplanung, die eine möglichst große Akzeptanz in der Bevölkerung findet. Gerade durch unsere Unterschiedlichkeit finden wir Wege, die breit genug sind, um von Vielen beschritten werden zu können.
In Jamaika sehen wir in der Unterschiedlichkeit unserer drei Parteien eine Stärke. Denn das gemeinsame Ziel unserer Politik ist, dass sich möglichst viele Menschen wahrge- nommen und ernstgenommen fühlen, dass wir möglichst viele Menschen ansprechen und mitnehmen. Auch diejenigen, die uns nicht gewählt haben. Und im Übrigen auch diejenigen, die uns gar nicht wählen dürfen, weil sie nicht wahlberechtigt sind. Entwe- der, weil sie noch zu jung sind, oder, weil sie nicht – beziehungsweise noch nicht – über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen.
Der Ministerpräsident und Tobias Koch haben schon viel über das erste Jahr unserer Jamaika-Koalition gesagt. Gemeinsam haben wir viel Gutes auf den Weg gebracht und Pläne für die Zukunft geschmiedet.
Und im Großen und Ganzen funktioniert unsere Zusammenarbeit wirklich sehr gut. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich von Rissen oder gar vertuschten Konflikten in der Koalition höre. Ich denke, wir bieten Ihnen hier häufig genug unterschiedliche Sichtwei- sen.
Aber ob Sie es glauben oder nicht: Es klappt trotzdem in Jamaika. Wofür ich mich an dieser Stelle nochmal ganz herzlich bei unseren Koalitionspartnern CDU und FDP, aber auch bei meiner eigenen Fraktion bedanke.
Und ja - nicht immer ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Es gibt viele Themen, bei de- nen die Vorstellungen und Ziele von CDU, FDP und uns Grünen sehr weit auseinander liegen. Und deshalb wäre meine Fraktion auch nicht glücklich darüber, stünde ich jetzt hier und würde Jamaika zu 100 Prozent abfeiern.
Ein schwieriges Thema ist natürlich auch hier immer wieder die Flüchtlingspolitik. Und
3 als wir im Herbst über den §219a StGB, also über die Information zu Schwanger- schaftsabbrüchen debattiert haben, war die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ein sehr schwieriger Prozess.
Es ist auch kein Geheimnis, dass wir Grüne uns vor allem im Umwelt- und Agrarbereich noch ganz andere politische Schritte gewünscht hätten. Und unsere Anträge zur Schwulen- und Lesben-, beziehungsweise zur Queerpolitik erfreuen nicht jeden und je- de in der Koalition.
Wir Jamaika-Fraktionen übernehmen Verantwortung auch in den Bund hinein, aber vor allem im Land. In den nächsten Jahren werden uns noch viele Themen beschäftigen. Ich denke da insbesondere an  die Digitalisierung,  den Gewässerschutz,  den Erhalt der Artenvielfalt,  den Klimaschutz,  aber natürlich auch an den Fachkräftemangel und vieles mehr. Es ist gut, wenn wir viele Euros in die Kindertagesstätten stecken, aber Geld allein reicht nicht aus. Kinder werden von Menschen erzogen und nicht von Euros. Und auch wenn uns die Digitalisierung in vielen Bereichen sehr helfen wird, so ersetzt sie doch nicht die Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ich jedenfalls möchte nicht, dass mir im Alter nur ein Roboter die Hand hält.
Wir stehen vor vielen Herausforderungen, aber ich mache mir keine Sorgen, dass wir diese gemeinsam meistern werden. In der Politik ist es nicht das Wichtigste, in einer Koalition politisch immer einer Meinung zu sein. Das wäre auch kein gutes Zeichen für die Demokratie.
Es ist gut, dass Parteien unterschiedliche Ziele verfolgen. Was aber wirklich wichtig ist und woran sich die Arbeit einer Regierungskoalition letzten Endes entscheidet, ist das Zwischenmenschliche.
Wenn die Vertreter*innen der beteiligten Fraktionen - und da schließe ich die Opposition mit ein - wertschätzend, vertrauensvoll und kritisch-konstruktiv zusammenarbeiten, ist es möglich, gute Kompromisse zu schließen und gemeinsam eine gute Politik für Schleswig-Holstein und die Menschen in diesem Land zu machen.
Und was mich auch optimistisch stimmt ist, dass wir mit Daniel Günther hier einen CDU-Ministerpräsidenten haben, der sich nicht auf den Rechtsruck innerhalb der Union einlässt und der auch in den schwierigen letzten Wochen Haltung bewiesen hat. Herzli- chen Dank dafür, denn nur so ist Jamaika möglich. Mit einem Seehofer und seiner CSU könnte meine Fraktion das sicher nicht.
Meine Damen und Herren,
wir hier in Schleswig-Holstein halten Kurs. Wir lassen es nicht zu, dass sich das Koordi- natensystem der Parteienlandschaft nach rechts verschiebt. Unser Heimatverständnis ist weltoffen und für alle. Für diejenigen, die hier ihre Wurzeln haben und für diejenigen, die erst als Kinder oder Erwachsene in unser Land gekommen sind, um neue Wurzeln zu schlagen. Und wir sind froh, dass wir an dieser Stelle auch die demokratische Oppo- sition im Landtag an unserer Seite haben.

4 Vielen Dank.
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