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14.02.19
10:31 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 25: Rente ist eine Frage von Respekt!

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

Kiel, 14. Februar 2019



TOP 25: Lebensleistung respektieren, Grundrente einführen (Drs. 19/1235)



Ralf Stegner:
Rente ist eine Frage von Respekt!

Bis ins 20. Jahrhundert war Altersarmut für weite Teile der Gesellschaft eines der drängendsten Probleme. Ein würdiger Lebensabend, ohne auf Mildtätigkeiten oder die eigene Familie angewiesen zu sein - für viele Menschen unvorstellbar. Es brauchte lange, bis die Idee einer allgemeinen Absicherung sich durchsetzte, und ohne Zweifel ist die gesetzliche Rentenversicherung eine der größten Errungenschaften unseres Sozialstaates. Doch die alte Sicherheit ist ins Wanken gekommen. Viele Menschen stellen sich die Frage, wie sie nach ihrem Erwerbsleben abgesichert sein werden. Oder aber sie erleben ganz praktisch, dass das Geld im Alltag trotz Rente nicht reicht, sie plötzlich angewiesen sind auf Grundsicherung. Daraus folgt etwas, dass sich niemand wünschen kann: Menschen, die ihr Leben lang für sich selbst gesorgt haben, müssen zum Amt gehen, ihre Bedürftigkeit nachweisen, um Unterstützung bitten. Das ist ein drastischer Einschnitt. Und es verletzt das Gerechtigkeitsgefühl, wenn es plötzlich keinen Unterschied mehr macht, ob man sein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen, Angehörige gepflegt hat – oder eben nicht. Am Ende steht die Grundsicherung. Und die eigene Lebensleistung findet sich im Antrag wieder, zusammengeschmolzen auf ein paar Ziffern. Dieses Problem trifft zum weit überwiegenden Teil Frauen. Frauen, die genauso hart und häufig noch viel härter gearbeitet haben als die Männer ihrer Generation und bei denen die Rente am Ende doch nicht reicht. Der durchschnittliche Rentenanspruch von Frauen in Schleswig-Holstein 2



beträgt rund 850 Euro. Durchschnitt – das lässt erahnen, wie viele noch deutlich weniger haben. Und ohne Zweifel steht dahinter zusammengerechnet oftmals ein höherer gemeinsamer Anspruch von Ehepartnern – oftmals jedoch auch nicht. Und selbst dort, wo es der Fall ist bleibt die Ungerechtigkeit, dass sich aus der eigenen Lebensleistung kein Rentenanspruch ergibt, der über der Grundsicherung liegen würde. Eine Gesellschaft muss sich fragen, ob sie sich damit auf Dauer abfinden will.
Ich kenne parteiübergreifend kaum jemanden, der diese Probleme ernsthaft bestreitet. Aber die Bereitschaft, daran tatsächlich etwas zu ändern, ist stark unterschiedlich ausgeprägt. Darum ist es gut, dass die Grundrente im Koalitionsvertrag der Großen Koalition verankert ist und noch besser, dass Arbeitsminister Hubertus Heil ein Konzept vorgelegt hat, das diesen Namen auch wirklich verdient. Das jetzt präsentierte Konzept hätte für die Betroffenen weitreichende Auswirkungen. Eine Friseurin, die 40 Jahre gearbeitet hat und dabei einen Verdienst auf Mindestlohn-Niveau hatte, erhält die maximale Aufwertung von 447 Euro. Ganz konkret bekäme sie mit der Grundrente 961 statt wie bislang 514 Euro Rente. Das sind wahrlich keine Reichtümer, die da verteilt werden. Aber es macht für die Menschen einen riesigen Unterschied. Finanziell, vor allem aber auch in der Frage, ob man aufgrund der eigenen Leistung einen Anspruch auf eine Versicherungsleistung hat, oder eben trotz eigener Leistung zum Sozialamt muss. Schleswig-Holstein ist unter den westdeutschen Bundesländern der Lohnkeller. Niedrige Löhne führen selbst bei vielen Beitragsjahren zu niedrigen Renten. Und wenn man die Zahlen von der Bundesebene runterbricht, dann wird die Grundrente bis zu 150.000 Menschen hier in Schleswig-Holstein helfen, das ist eine ziemlich beeindruckende Zahl. Derzeit laufen viele Sturm, weil das Konzept keine Bedürftigkeitsprüfungen vorsieht. Kein Beispiel ist absurd genug, um zur Argumentation herhalten zu müssen. Christian Lindner skizziert den Fall von jemandem, der eine kleine Rente erhält, aber aus heiterem Himmel fünf Millionen geerbt und deswegen keinen Bedarf für eine Grundrente hätte. Wir haben uns wirklich gründlich umgehört. Aber von so einem Fall hat bei uns definitiv noch niemand gehört.
Und in den vergangenen 15 Jahren war kein Bürger in meiner Bürgersprechstunde, der mir so etwas geschildert hätte, aber vielleicht werden Bürgersprechstunden der FDP auch einfach von einer anderen Klientel besucht als die der SPD. Es ist dasselbe Problem wie fast immer bei Bedürftigkeitsprüfungen: Um die Fälle auszuschließen, bei denen die Grundrente nicht benötigt wird, sollen hunderttausende Rentnerinnen und Rentner zu Bittstellern gemacht werden. Das ist unsinnig und das ist auch richtig teuer, das Geld können wir wirklich sinnvoller verwenden. Und es ist immer wieder die Bedürftigkeitsprüfung, die Menschen aus Scham davon abhält, das Geld in Anspruch zu nehmen, obwohl es ihnen zustehen würde und sie es eigentlich dringend bräuchten. Im Übrigen, weil in den letzten Tagen immer wieder das Beispiel der Zahnarztgattin 3



aus der Mottenkiste geholt wird: Ja, ich finde, dass auch diese Zahnarztgattin aus guten Gründen einen eigenen anständigen Rentenanspruch haben soll, wenn sie 35 Jahre lang gearbeitet hat. Und auch wenn es dann vielleicht nicht um die Vermeidung von Altersarmut geht, um den Respekt vor der Lebensleistung geht es allemal. Wir haben aus guten Gründen eine Bedürftigkeitsprüfung beim Kindergeld, auch nicht bei der Mütterrente. Und auch bei der Grundrente macht es keinen Sinn, weil es eben keine Sozialleistung ist, sondern ein Anspruch, der selbst erarbeitet wurde.
Die Finanzierung der Grundrente ist ein entscheidender Punkt: Was wir hier vor uns haben ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, keine Aufgabe nur für die Beitragszahler. Darum ist die Finanzierung über Steuergelder der richtige Ansatz. Und es ist in Anbetracht der hohen zweistelligen Milliardensumme, die der Bund schon jetzt als Zuschuss gibt auch nicht der Tabubruch, als den ihn manche jetzt gerne darstellen wollen. Und natürlich ist die Frage, ob sich ein Land wie Deutschland die Grundrente leisten kann, berechtigt. Spannenderweise aber ist es ein Argument, das ausgerechnet von denen kommt, die gleichzeitig fordern, den Soli für die 10 Prozent mit den höchsten Einkommen abzuschaffen. Das würde das Doppelte der Grundrente verschlingen. Und was volkswirtschaftlich sinnvoller ist, kann man sich leicht ausrechnen. Denn die einen packen das Geld aufs Sparkonto, die anderen bringen es in den Umlauf, kaufen ihren Enkeln eine Kleinigkeit oder lassen den Urlaub an der Ostsee Realität werden.
Die Koalition hat einen Alternativantrag vorgelegt, der nur eine Funktion haben kann: Von der schwarz-grün-gelben Uneinigkeit in der Sache abzulenken. Was Sie uns präsentieren, hat mit dem Thema leider wenig zu tun und löst auch bestenfalls einen ganz kleinen Teil der Probleme. Und im Übrigen haben Sie doch genau denselben Text im vergangenen Jahr schon einmal beschlossen. Ich reibe mir verwundert die Augen: Gibt es eine uns bislang unbekannte neue Jamaika-Regel, dass der Landtag jetzt immer erst mehrmals gleichlautende Beschlüsse fassen muss, bis die Landesregierung aktiv wird? Drücken Sie sich nicht vor der Positionierung, sondern stimmen Sie unserem Antrag einfach zu.
Lebensleistung lässt sich nicht auf Rentenansprüche reduzieren. Die Altersvorsorge entwickelt sich zur Sorge vor dem Alter. Wenn trotz langer Arbeit, Kindererziehung oder Pflege am Ende dasselbe rauskommt, als wenn man nicht gearbeitet hätte, dann ist das eine riesengroße Ungerechtigkeit, die in der großen Mehrzahl Frauen trifft. Genau diese Ungerechtigkeit geht der Vorschlag zur Grundrente an. Ein verlässlicher Anspruch, der selbst erarbeitet wurde, der über Steuergelder finanziert wird und dem keine entwürdigende Einzelfallprüfung im Weg steht – das ist das Ziel. 4



Es wäre schön, wenn wir das heute mit breiter Mehrheit beschließen, denn gerade in Schleswig- Holstein ist diese Grundrente für richtig viele Menschen eine große Verbesserung in ihrem Leben.