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14.02.19
12:44 Uhr
B 90/Grüne

Aminata Touré zur Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsländer

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 20 – Maghreb-Staaten und Georgien Pressesprecherin als sichere Herkunftsländer einstufen Claudia Jacob Landeshaus Dazu sagt die migrationspolitische Sprecherin der Düsternbrooker Weg 70 Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Aminata Touré: Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 065.19 / 14.02.2019

Sichere Herkunftsländer: Wir werden von unserer Position nicht abrücken
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleg*innen, liebe Gäste auf der Tribüne,
wir sind gegen die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgien als „sichere Her- kunftsländer“. Dies haben wir in unserem Koalitionsvertrag auch so festgeschrieben. Deshalb sage ich hier am Anfang ganz deutlich, dass es ein Abrücken von dieser Posi- tion nicht geben wird.
Bereits 2016 wollte die Bundesregierung Algerien, Marokko und Tunesien als „sichere Herkunftsländer“ einstufen. Das Vorhaben scheiterte damals aus guten Gründen. Jetzt wurde der Versuch erneut in Angriff genommen, auch wenn sich an den Argumenten, die 2017 die Ablehnung begründeten, bis heute rein gar nichts geändert hat. Da die Debatte mittlerweile ermüdend ist, muss ich die Punkte nicht alle erneut aufführen.
Fakt ist: Das Bundesverfassungsgericht legt die Kriterien fest, wann ein Herkunftsland als „sicher“ einzustufen ist und hier ist ganz klar formuliert, dass in den Ländern die Si- cherheit vor politischer Verfolgung gewährleistet sein muss – und zwar für alle Perso- nen- und Bevölkerungsgruppen. Das ist, wie wir wissen, nicht der Fall.
Die Voraussetzungen für die Einstufung von Marokko, Tunesien, Algerien und Georgien als sichere Herkunftsstaaten liegen nach verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben nicht vor.
In den Maghreb-Staaten werden Minderheiten, Frauen, Oppositionelle, kritische Journa- list*innen, Religionsgemeinschaften und ethnische Minderheiten verfolgt. Das wissen
Seite 1 von 3 wir, das können wir nicht abstreiten. Sämtliche Menschenrechtsorganisationen, aber auch der deutsche Anwaltsverein weisen immer wieder darauf hin, dass Homosexuelle mit hohen Gefängnisstrafen bedroht werden.
In den letzten Jahren sind die Verurteilungen aufgrund von Homosexualität in Tunesien von 56 im Jahr 2016 auf 97 im Jahr 2017 und 127 im letzten Jahr gestiegen. Diese Männer werden entweder nach Artikel 230 des tunesischen Strafgesetzbuches wegen „Sodomie“ oder aufgrund des „Verstoßes gegen die öffentliche Moral“ mit bis zu drei Jahren Haft belegt. Human Rights Watch weist darüber hinaus auch schon lange auf die Praxis der Anal-Untersuchungen hin, die oft mit Folter zu vergleichen ist. Das kön- nen wir nicht hinnehmen.
Wie können wir nicht von einer staatlichen Verfolgung von Lesben und Schwulen spre- chen, wenn ein Mann, der in Tunesien eine Vergewaltigung zu Anzeige bringt, wegen angeblicher Homosexualität verurteilt wird? So wie es gerade Anfang dieser Woche in einer südtunesischen Stadt passiert ist. Und genau dann, wenn wir von immer mehr solcher Fälle hören, genau dann, wenn die Verurteilung wegen Homosexualität kontinu- ierlich ansteigt, dann sprechen wir erneut über die Einstufung Tunesiens als sicheres Herkunftsland. Wie das zusammenpasst, darauf komme ich gleich nochmal zurück.
Aber erst einmal frage ich mich, was das alles eigentlich bedeutet, für einen Mann, der in Tunesien vergewaltigt und zu mehreren Monaten Haft verurteilt wurde, der in Folge dessen nach Deutschland geflohen ist und einen Asylantrag gestellt hat. Das würde be- deuten, dass dieser Mann ein verkürztes Asylverfahren durchlaufen würde. Ein verkürz- tes Asylverfahren bedeutet dann ganz konkret eine Verkürzung der Rechtsmittelfristen. Die Betroffenen haben dann nur noch eine Woche Zeit, um gegen die Ablehnung ihres Antrages zu klagen. Das ist der entscheidende Punkt. Ich möchte mir gar nicht vorstel- len, was ein Mensch durchmacht, der aus den oben geschilderten Gründen nach Deutschland gekommen ist. Wir Grüne wollen Rechtssicherheit. Wir wollen faire Verfah- ren und einen effektiven Rechtsschutz für alle Menschen, die in der Hoffnung auf Si- cherheit und Schutz nach Deutschland gekommen sind.
Für schnelle Rückführungen sind Abkommen mit den Heimatländern die entscheidende Voraussetzung. Eine Einstufung als sichereres Herkunftsland bedeutet noch lange nicht, dass die entsprechenden Länder die Menschen wieder „zurücknehmen“. Warum führen wir also jetzt wieder diese Debatte?
Die Einstufung der Maghreb-Länder und Georgiens als „sicher“ ist ganz klar im Kontext der aktuellen Asylverschärfungen auf Bundesebene zu sehen. Diese restriktive Politik schadet uns jedoch wesentlich mehr, als dass sie uns weiterbringt. Was für Krisen die ewigen Debatten um die Flüchtlingspolitik auf Bundesebene hervorruft, haben wir alle gesehen.
In Schleswig-Holstein halten wir uns an unseren Koalitionsvertrag. Wir werden einer Einstufung zu sicheren Herkunftsländern nicht zustimmen und deshalb lehnen wir den Antrag der AfD ab.
Ich kann verstehen, dass FDP und CDU nicht glücklich sind, dass wir Grüne nach wie vor sehr kategorisch bei unserem Nein bleiben. Aber eben das ist der Sinn von Koaliti- onsverträgen, sich auch daran zu halten. Vor allem dann, wenn sich an der Gemenge- lage nichts verändert hat. Wir halten uns an die Abmachung. Wir haben auch Punkte schlucken müssen. Ihr auch. Aber das ist das Wesen der Demokratie - Kompromisse. Deshalb gibt es keinen Grund für schlechte Laune oder dem Gerede, irgendwer sei vor
2 irgendwem eingeknickt. Die Tatsache, dass wir die Verabredungen im Koalitionsvertrag ernst meinten und auch noch anderthalb Jahre später ernst meinen, ist der Grund, weshalb wir extrem gute Umfragewerte haben und weshalb unsere Koalition im Gegen- satz zu Berlin funktioniert. ***



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