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15.02.19
11:35 Uhr
SPD

Martin Habersaat zu TOP 11 + 24: Jugendliche, mischt euch ein!

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

Kiel, 15. Februar 2019



TOP 11 und 24: Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung und Antrag zu #FridaysForFuture als gelebte politische Bildung (Drs. 19/1155, 19/1234)



Martin Habersaat:
Jugendliche, mischt euch ein!

In der 10. Klasse beauftragte mich mein damaliger Physiklehrer mit einem Referat über den „Schnellen Brüter“ in Kalkar. Neben den unterschiedlichen Funktionsweisen von Kernkraftwerken sollten ausdrücklich auch die politische Debatte und die zahlreichen Gegendemonstrationen Teil des Vortrags sein. Das war nicht nur ein Beispiel dafür, wie jedes Fach in der Schule einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung leisten kann, es war auch ein Grund dafür, dass ich wenig später -auch während der Schulzeit- an Demonstrationen gegen Atomkraftwerke beteiligt war. Und nein, dieses politische Interesse war keine unerwünschte Nebenwirkung des Physikunterrichts. Wir wollen politisierte Schülerinnen und Schüler. Wir wollen junge Menschen, die sich einmischen. Auch die Drittelparität der Schulkonferenz, die in unserem Schulgesetz festgeschrieben ist, ist dafür ein Zeichen.
Manchmal politisieren sich Schüler unter sehr tragischen Voraussetzungen. Nach dem Schulmassaker in Parkland, Florida, vor einem Jahr, bei dem 17 Menschen starben, mangelte es nicht an Beileidsbekundungen und Krokodilstränen. Viele Schülerinnen und Schüler waren gerade noch mit dem Leben davongekommen und hatten mit ansehen müssen, wie ihre Freunde starben. Nun kamen sie auf die Idee, eine Verschärfung des in Florida besonders laxen 2



Waffengesetzes zu fordern. Und jetzt war Schluss mit Empathie; jetzt hagelte es väterliche Ratschläge, sich nicht in politische Dinge einzumischen, die die Schüler gar nicht übersehen könnten.
So richtig viel Eindruck hat diese Argumentation auf die US-amerikanischen Schülerinnen und Schüler nicht gemacht. Bei der Kampagne #FridaysForFuture geht es um etwas noch Fundamentaleres als regionale Gesetze zur Waffenkontrolle, nämlich um unser aller Lebensgrundlagen. Der Klimawandel ist für jeden von uns Bestandteil unseres Lebens. Dabei leben wir noch in einer gemäßigten Klimazone und müssen zumindest kurzfristig nicht damit rechnen, dass in fast ganz Schleswig-Holstein durch die Polkappenschmelze Land unter ist; mittelfristig werden keine Garantien abgegeben. Wenn es aber nun einmal so ist, dass der Klimawandel mindestens zu einem erheblichen Teil durch menschliches Handeln ausgelöst wird, hat niemand ein größeres Recht, sich dazu zu äußern und eine Veränderung zu fordern als diejenigen, die es auf diesem Planeten noch die nächsten 80 Jahre aushalten müssen.
Denn, wie schon die Kollegin Strehlau in ihrer sehr guten Presseerklärung vom 1. Februar festgestellt hat, ist laut Weltklimarat ein wirksames Handeln gegen den Klimawandel nur noch möglich, wenn es in den nächsten zwölf Jahren greift. Dann werden die heute demonstrierenden Schülerinnen und Schüler noch nicht einmal 30 Jahre alt sein. Es blieb nicht bei einem einmaligen Aktionstag #FridaysForFuture, und so konnte nicht ausbleiben, dass die Schulen ein naserümpfendes Rundschreiben der Bildungsministerin erhielten, wonach „die Teilnahme an den Demonstrationen ein unentschuldigtes Fehlen und damit ein konkret schulbezogenes Fehlverhalten“ darstelle. Und im Wiederholungsfalle sollten Maßnahmen nach § 25 Abs. 1 Schulgesetz ergriffen werden. Dort sind unter anderem vorgesehen: „die Förderung erwünschten Verhaltens, das erzieherische Gespräch, die Ermahnung, die mündliche oder schriftliche Missbilligung, die Beauftragung mit Aufgaben die geeignet sind, die Schüler Fehler im Verhalten erkennen zu lassen, das Nachholen schuldhaft versäumten Unterrichts nach vorheriger Benachrichtigung der Eltern und die zeitweise Wegnahme von Gegenständen“. Es ist mindestens merkwürdig, zuerst das Jahr der politischen Bildung auszurufen und politisches Engagement anschließend zu missbilligen. Politische Bildung besteht nicht nur darin, sich eine Podiumsdiskussion anzuhören und Wahlprogramme zu vergleich. Sie besteht auch darin, für sich selbst gesellschaftliche Prioritäten zu setzen. Das hat auch heute Vormittag hier vor dem Landeshaus wieder stattgefunden. Und wenn wir jetzt sagen würden: Wir haben verstanden, ihr könnt aufhören. Wäre das glaubwürdig? Nun war ich mir sicher, dass Frau Prien eine sichere Anwärterin auf den Preis „Gouvernante des Jahres“ sei. Aber mitnichten: diesen Lorbeer hat sich die Kollegin Klahn mit ihren Vorschlägen verdient, die Eltern der Demonstrierenden mit Bußgeldern zu belegen und aus #FridaysForFuture ein #SaturdaysForFuture zu machen. Es 3



gäbe natürlich nichts Beeindruckenderes als eine Schülerdemonstration, am Samstagmorgen vor dem Landeshaus, während wir alle zu Hause oder sonst wo sind, aber jedenfalls nicht im Landeshaus. Man sollte sich aber auch über die Kundgebungsorte kreative Gedanken machen. Wäre ich in der FDP, hätte ich den Schülern schon längst nahegelegt, den vom Klimawandel bedrohten Wald als Bühne zu nutzen. Eine machtvolle Schülerdemonstration am Samstagabend mitten im Sachsenwald würde jedenfalls niemanden stören und die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern vor Repressionsmaßnahmen durch das Bildungsministerium schützen. Der Vollständigkeit halber will ich nicht verschweigen, dass es zwei weitere Beiträge im Rennen um den peinlichsten Beitrag gab: Die Junge Union, die im Pinneberger Tageblatt „spürbare Konsequenzen“ für Schulschwänzer fordert und den CDU-Generalsekretär, der der 16jährigen Greta Thunberg „pure Ideologie“ vorwirft, weil sie Arbeitsplätze, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit nicht mitdenke. #ArmerPaul. Erst wenn der letzte Gletscher geschmolzen ist, wirst du merken, wie peinlich es ist, als Bundestagsabgeordneter eine Debatte gegen eine 16jährige zu verlieren, die von diesem Streit nicht einmal etwas mitbekommen hat. Es ist uns leider nicht gelungen, ein gemeinsames, positives Signal an die Schüler zu senden, das von einer großen Mehrheit im Landtag getragen worden wäre. Wir werden sicherlich gleich die semantischen Unterschiede zwischen unserem Antrag und dem der Koalition ausführlich erläutert bekommen. Der Kampf gegen den Klimawandel wird nicht allein im Schleswig-Holsteinischen Landtag entschieden. Aber jedes Parlament und darüber hinaus jedes Land und jede Gesellschaft stehen in der Verantwortung, sich für die Lebensgrundlagen der eigenen und der künftigen Generationen zu engagieren. In diesem Sinne reiht sich die Kampagne #FridaysForFuture in die Tradition der Demonstrationen und Kundgebungen ein, die die Geschichte der Bundesrepublik begleitet haben; ich nenne hier die Kundgebungen gegen Wiederbewaffnung und Nachrüstung und die Beispiele vom Anfang meiner Rede.
Deshalb bitte ich um Zustimmung zum Antrag von SPD und SSW. Dem Antrag der Koalition zur Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung stimmen wir zu, auch wenn er, besonders in der Begründung, ein wenig flach im Ausdruck ist. Wenn die Regierung dem Antrag folgt und in einem Jahr eine entsprechende Strategie vorlegt, werden wir im Plenum und im Ausschuss erneut Gelegenheit haben, uns mit diesem Konzept auseinanderzusetzen.