Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
27.03.19
15:34 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 14: Kein Überbietungswettbewerb bei Abschiebungen!

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

Kiel, 27. März 2019



TOP 14: Humanität hat Vorrang vor Rückführung (Drs. 19/1359)



Dr. Ralf Stegner:
Kein Überbietungswettbewerb bei Abschiebungen!

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist in den letzten Jahren erkennbar nicht besser geworden. Trotz internationaler Bemühungen gewinnen die Taliban Kontrolle über Teile des Landes zurück, die eigentlich als gesichert galten. Auch der Perspektivbericht der Bundesregierung zeichnet ein düsteres Bild: Lediglich 60 Prozent des Territoriums wird zumindest überwiegend von der Zentralregierung kontrolliert. Im Rest herrschen Warlords oder sogar direkt die Taliban. Wir müssen feststellen, dass im ganzen Land Anschläge möglich und wahrscheinlich sind, selbst in der Hauptstadt Kabul. Ein wirksamer Schutz für zurückkehrende Menschen ist vor diesem Hintergrund kaum möglich. Zumal auch die Sicherheitsperspektive für die Handvoll derzeit stabiler Provinzen alles andere als positiv ist. Die deutsche Debatte über vermeintlich sichere Teile des Landes ist nicht zuletzt deswegen regelmäßig befremdlich. Und – der Hinweis sei erlaubt – erkennbar von anderen Motiven getrieben.
Der Bundesinnenminister kassiert zu Recht heftigen Widerspruch für seine immer wilderen Pläne zur Steigerung von Abschiebezahlen, zur Einschränkung von Rechten, zur Zusammenlegung von Abschiebe- und Strafgefangenen und für alle möglichen Schikanen, die in schöner Regelmäßigkeit vorgeschlagen werden. Dieser Widerspruch ist uneingeschränkt richtig. Aber: Bei allem Dissens in der Sache weiß man bei Horst Seehofer zumindest, woran man ist. In 2



Schleswig-Holstein ist das mit dieser Landesregierung manchmal etwas schwieriger. Und das zeigt sich derzeit vor allem im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen. Seit einiger Zeit bekommen insbesondere allein reisende männliche Afghanen Post von den Ausländerbehörden, durch die deutlich gemacht wird, dass ihre Fälle auf den Prüfstand kommen. Gleichzeitig erfahren wir, dass die Ausländerbehörden in den Kreisen vom Innenministerium ausdrücklich aufgefordert werden, dem Innenministerium passende Abschiebefälle zur Prüfung vorzulegen. Und das alles, obwohl nach wie vor eigentlich nicht nach Afghanistan abgeschoben wird – Straftäter ausgenommen. Wozu also die Unruhe, die bei den Betroffenen – obwohl oftmals Duldungen vorliegen – zu Recht zu großer Verunsicherung führt? Bei uns zumindest hinterlässt dieses Vorgehen ein großes Fragezeichen.
Die Empörung über Abschiebungen ist immer dann besonders groß, wenn es Familien trifft. Es gibt wenig Verständnis für diese Abschiebungen, weil die Bemühungen um Integration für viele sichtbar sind, weil die Familien besser vernetzt sind, weil es immer gleich mehrere Personen trifft. Und eben deswegen ist der Aufschrei vor Ort zu Recht parteiübergreifend laut und – das gehört zur Wahrheit dazu – regelmäßig erfolgreich. Diese Lobby, die Familien zum Glück oftmals schützt – haben alleinstehende männliche Flüchtlinge oftmals nicht. Und das, obwohl ihre Integrationsbemühungen nicht weniger engagiert vorangetrieben werden. Man bekommt es nur weniger mit. Und das macht es leichter, diese Gruppe in den Fokus zu nehmen.
Wenn man das politische Ziel verfolgt, die Abschiebezahlen in kurzer Zeit kräftig nach oben zu treiben, dann sind die Möglichkeiten begrenzt. Aus den Balkan-Staaten können aktuell nur noch wenige Menschen abgeschoben werden. In andere Länder, aus denen viele Menschen zu uns geflohen sind, wie zum Beispiel Syrien, sind Abschiebungen auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Ich befürchte, das ist ein Grund, warum nun insbesondere Flüchtlinge aus Afghanistan in den Fokus rücken.
Und vor diesem Hintergrund ist es genau richtig, heute im Landtag noch einmal festzuhalten, welche Linie wir in Schleswig-Holstein haben: So liberal wie vertretbar, so humanitär wie möglich. Das ist in Schleswig-Holstein eine gute Linie, der wir auch weiterhin folgen sollten. Und für die die schleswig-holsteinische Landesregierung sich wie bereits in der vergangenen Legislatur auch auf Bundesebene einsetzen sollte. Ich wünsche mir, dass wir in diesem Sinne heute ein klares Signal senden!
In der öffentlichen Debatte und auch in der Presse entsteht zuweilen der Eindruck, Abschiebungen seien ein Selbstzweck und Abschiebezahlen ein Wert, der – quasi wie bei einem Naturgesetz – zur Beruhigung der Bevölkerung kontinuierlich gesteigert werden müsse. Daraus resultieren dann Rankings, die eine Wertung nach fleißigen, abschiebefreudigen Bundesländern 3



und dem traurigen Rest aufmachen. Das halte ich für ausgemachten Unsinn, sogar für gefährlich. Und das gibt die Realität natürlich auch nicht richtig wieder.
Abschiebungen sind nie schön, wir bevorzugen freiwillige Ausreisen, aber natürlich wird es sie am Ende eines anständigen Verfahrens auch geben müssen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und insbesondere gilt das für Straftäter und Gefährder. Bei deren Abschiebung gibt es übrigens eine Menge Nachholbedarf und die Innenminister wären gut beraten, ihre Energie auf diesen Bereich zu fokussieren. Da hätten wir für ein paar Jahre genug zu tun. Aber Abschiebungen sind eben auch kein Selbstzweck, dem man für die starke Schlagzeile gerecht zu werden versucht. Und: Abschiebungen von gut integrierten Familien, von Menschen in Ausbildung und Arbeit sollte es gar nicht geben! Das haben wir selbst mit der Union im Koalitionsvertrag vereinbaren können.
Abschiebungen sind ein politisch brisantes Thema, weil es um die Zukunft von Menschen geht und wir alle wären gut beraten, dabei keinen Vergleichswerten hinterherzujagen, sondern auf den Einzelfall zu schauen. Gute Politik ist eben auch eine Frage von Haltung, insbesondere dann, wenn der Wind von vorne kommt. Wir sind dem SSW dankbar für den heutigen Antrag und können aus voller Überzeugung zustimmen – herzlichen Dank!