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17.05.19
13:06 Uhr
B 90/Grüne

Burkhard Peters zum Verfassungsschutzbericht 2018

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein Pressesprecherin TOP 48 – Verfassungsschutzbericht 2018 Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Dazu sagt der innenpolitische Sprecher der 24105 Kiel Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de Burkhard Peters: www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 221.19 / 17.05.2019

Je intensiver hingeschaut wird, umso mehr hellt sich das bisherige Dunkelfeld auf
Sehr geehrter Herr Minister Grote,
vielen Dank für den Bericht.
„Mit islamistischem Anschlag muss jederzeit gerechnet werden“ in der BILD, oder „Is- lamistischer Extremismus bleibt Hauptproblem in Schleswig-Holstein“ im NDR. So oder so ähnlich lauten die Schlagzeilen zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2018.
Richtig ist, die gestiegene Zahl von Salafist*innen, die missionieren und sympathisie- rende Kreise erschließen, ist beunruhigend. Wer dabei aber nicht berücksichtigt, dass der Verfassungsschutz in den letzten Jahren für diesen Phänomenbereich deutlich auf- gestockt wurde, unterschlägt eine wichtige Information. Es ist ein Effekt, den wir auch aus der Interpretation von Zahlen aus des Kriminalstatistik kennen, aber auch bei der Reichsbürgerbewegung: Je intensiver hingeschaut wird, umso mehr hellt sich das bis- herige Dunkelfeld auf.
Diese Aufhellung erfährt allerdings dort Grenzen, wo sich die salafistische Szene mit ih- rer Missionierungstätigkeit zunehmend in den privaten Bereich zurückzieht, um einer Ausspähung zu entgehen. Das begünstigt Radikalisierungsprozesse im Verborgenen und ist deswegen gefährlich. Hier gilt es, in Bildungseinrichtungen und anderen Institu- tionen die Präventionstätigkeit zu stärken und die Antennen der dort arbeitenden Men- schen zu sensibilisieren.
Sensibel sein müssen wir auch für die zunehmende Anzahl von Rückkehrer*innen aus den IS-Gebieten, das legt der Bericht in aller Deutlichkeit dar. Soweit es sich um deut- sche Staatsangehörige handelt, hat die Bundesrepublik die verdammte Pflicht und Seite 1 von 2 Schuldigkeit, diese Menschen hier wieder aufzunehmen, mit allen Konsequenzen. Denn es geht nicht an, dass deutsche Behörden die fehlende Rücknahmebereitschaft anderer Staaten bei Abschiebungen beklagen, gleichzeitig aber bei eigenen, terrorverdächtigten Staatsbürger*innen versuchen, die Rückkehr zu verhindern.
Kurzum, es gibt daran nichts klein zu reden: Islamismus und Salafismus sind nach wie vor eine Gefahr für unsere Freiheitlich Demokratische Grundordnung und unsere Ge- sellschaft.
Trotzdem irritieren mich, wenn man die Zahlen in Relation setzt, die eingangs genann- ten Schlagzeilen. Denn das rechtsextreme Spektrum ist doppelt so groß wie das is- lamistische. Davon sind mehr als ein Drittel gewaltbereit.
Rechnet man die Zuwächse in der Reichsbürgerszene zu dem rechten Spektrum hinzu und berücksichtigt die erhebliche Gewaltbereitschaft und Waffenaffinität dieser Szene, erhöht sich das rechte Potential noch einmal auf knapp 1.400 Menschen mit einem ho- hen Anteil gewaltbereiter Menschen. Die Statistik der politisch motivierten Kriminalität bestätigt dieses Bild, wobei unabhängige Zählungen zu rechten Gewalttaten nahezu doppelt so hoch ausfallen. Hilfreich wäre übrigens, wenn eine Einschätzung des ge- waltbereiten Potentials auch im Bereich Salafismus vorgenommen würde.
Apropos Dunkelfeld: Wenn mehr als 200 Bombendrohungen unterschrieben mit ‚Natio- nalsozialistischer Offensive‘ bzw. ‚Wehrmacht‘ aus offensichtlich rechtsextremistischer Motivation heraus auch an Institutionen in Schleswig-Holstein verschickt werden und im Verfassungsschutzbericht unerwähnt bleiben, stelle ich mir die Frage, wie weit es mit der Dunkelfelderhellung her ist. Auch weil es zuletzt Berichte gegeben hatte, dass es weitere Bekennerschreiben nach der Festnahme gegeben habe und zumindest die Möglichkeit einer vernetzten Tätergruppe nicht ausgeschlossen ist.
Ein weiteres Problem möchte ich ansprechen. Der Bereich „Antifaschistische Arbeit“ wird ziemlich nonchalant dem „Linksextremismus“ zugerechnet. Ich bin – wie viele hier im Raum – bekennender Antifaschist, lasse mich aber ungern in eine linksextremisti- sche Ecke stellen. Der Bericht unterstellt insoweit, das antifaschistisch und antirassis- tisch denkende „bürgerliche Spektrum“ lasse sich durch latente Anschlussbereitschaft gleichsam als nützliche Idioten des Linksextremismus missbrauchen.
Auch dass die Beteiligung an Protesten gegen die Militäroffensive in Afrin umstandslos unter Beobachtung gestellt wurde, wirft Fragen auf. Denn es ergibt sich daraus ein höchst widerspruchsvolles Bild: Kurdische Milizen und Verbände in Syrien werden auch von der Bundesrepublik militärisch und finanziell unterstützt. Solange diese kurdischen Verbände in Syrien oder Irak die Kohlen aus dem Feuer holten – zum Beispiel bei der Rettung der Jesiden, sind sie also unterstützungswürdige Kombattanten. Gleichzeitig stehen Protestdemonstrationen in Schleswig-Holstein gegen die türkische Besetzung des kurdischen Afrins ohne weiteres unter verschärfter Beobachtung des Verfassungs- schutzes. Da passt aus meiner Sicht einiges nicht zusammen.
Kurz und gut: Auch dieser Verfassungsschutzbericht enthält für uns alle die Herausfor- derung, sich weiter intensiv und kritisch mit dem Zustand und der Gefährdung unseres demokratischen Rechtsstaates auseinander zu setzen.
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