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15.01.20
18:16 Uhr
B 90/Grüne

Aminata Touré zur Verleihung des Titels „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an die Polizeischule Eutin

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 006.20 / 15.01.2020


Gemeinsam gegen Rassismus und für die Demokratie
Heute wurde der Polizeischule Eutin der Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verliehen. Die Sprecherin für Antirassismus der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Aminata Touré, steht Patin für das Projekt. Dazu sagt Aminata Touré:

Liebe Auszubildende, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Alle,
ich freue mich, gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Patin für dieses Projekt zu sein und deshalb heute hier sprechen zu können. Vielen Dank auch für das Gespräch im Vorfeld mit der Jugend- und Ausbildungsvertretung der Landespolizei.
Vorweg erst einmal: Ich habe lange überlegt, was genau ich heute Abend eigentlich sa- gen werde. Und dann habe ich darüber nachgedacht, woran liegt das eigentlich?
Der erste Grund ist, dass es grundsätzlich schwierig in Deutschland ist, über Rassismus zu sprechen, obwohl er real existiert. Es führt in der Regel dazu, dass man sich eine Menge anhören muss. Eine Menge Unfundiertes und Falsches. Es geht soweit, dass Menschen Hassnachrichten und Drohungen aussprechen. Und eine klassische Reakti- on ist Abwehr. Eine komplette Abwehrhaltung. Diese liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass wir über Rassismus diskutieren, ohne zu wissen, was Rassismus be- deutet. Woher er kommt und was er bewirkt. Und deshalb will ich mit einer Definition anfangen.
Die Amadeu Antonio Stiftung definiert Rassismus wie folgt: „Rassismus ist eine Ideolo- gie, die Menschen abwertet aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Namens o- der ihrer Religion. Diese Abwertung führt zu einer Benachteiligung in allen relevanten Seite 1 von 4 Bereichen des Lebens. Bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche, in Bildungseinrich- tungen, auf der Arbeit, schlichtweg überall.“
Es geht also nicht um ein gefühltes Phänomen, es geht um reale Benachteiligung. Ich erlebe regelmäßig, dass Menschen unter gar keinen Umständen damit konfrontiert wer- den möchten, etwas Rassistisches gesagt oder sich so verhalten zu haben. Und ich glaube, dass es damit zusammenhängt, dass viele denken, dass der Vorwurf, sich ras- sistisch verhalten zu haben, damit gleichzusetzen ist, ein Neonazi in Springerstiefeln zu sein. Und ja, alle Neonazis sind rassistisch, aber nicht jede Person, die sich rassistisch verhält, ist deshalb ein Nazi.
Das einmal auseinanderzudividieren, ist mir wichtig, weil ich die Hoffnung habe, dass, wenn wir über rassistisches Verhalten sprechen, es anprangern und Wege finden die- sen zu entlernen, wir als Gesellschaft ein ganzes Stück weiter kommen.
Wir alle leben in einer Gesellschaft, in der Rassismen nun einmal internalisiert sind. Sie sind da und rassistische Bilder und Verhaltensweisen werden tagtäglich reproduziert. Mein Ansatzpunkt lautet, in jegliche Bereiche unserer Gesellschaft zu gehen und das zu entlernen. Wir müssen es im Kindergarten, in der Schule, am Ausbildungsplatz, in der Universität, am Arbeitsplatz, in Institutionen, schlichtweg überall ansprechen und Stra- tegien dagegen entwickeln. Es ist eine Aufgabe, bei der niemand sich raushalten kann.
Wie viele von uns haben denn tatsächlich einmal gelernt, was Rassismus bedeutet? Wie er mit der Kolonialzeit zusammenhängt? Wie die pseudowissenschaftliche Rassen- lehre in Deutschland und Europa den Grundstein für die Versklavung von Schwarzen Menschen gelegt hat? Deutsche Denker wie Immanuel Kant und Friedrich Hegel auf diesen Aspekt der Abwertung Schwarzer Menschen kaum in der Schule beleuchtet werden?
Im Vorfeld wurden wir als Redner*innen gebeten, auch über persönliche Erfahrungen mit der Polizei zu sprechen. Und ich will so viel sagen: Es gibt sie, die unschönen Zu- sammentreffen, die ich mit der Polizei gemacht habe und bei denen vorverdächtigt wor- den bin. Aber wissen Sie, das letzte Mal, als ich davon auf einem Podium berichtet ha- be, war es ein Kollege aus dem Landtag, der sofort gegengehalten hat und das Gegen- teil behauptet hat. Die klassische Reaktion – Abwehr. Und es gibt natürlich auch die po- sitiven Erlebnisse. Hilfsbereitschaft und mir Sicherheit gebend.
Aber es geht auch gar nicht darum, dass ich hier von meinen eigenen Erfahrungen be- richte. Es geht um eine viel entscheidendere Erkenntnis und das ist doch die, dass es Menschen gibt, die negative Erfahrungen machen aufgrund ihrer Herkunft. Das offen und ehrlich auszusprechen, ist der zweite Grund, weshalb ich lange darüber nachge- dacht habe, was ich hier heute sagen werde.
Es ist grundsätzlich schwierig, sich kritisch gegenüber der Institution Polizei zu äußern. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich, ich glaube, dass all diejenigen, die jegliche Kritik an Ihnen auslassen und Kritik an der Polizei als ungeheuerlich verstehen, Ihnen keinen Gefallen tun und ich sage Ihnen auch warum. Kritik an falschem Verhalten zu äußern, ist notwendig, um besser zu werden und es ist gerade unsere Aufgabe als Politik, als Legislative, die Exekutive und seine Organe zu kontrollieren.
Sie sind als Auszubildende, als fertig ausgebildete Polizist*innen, als Exekutivorgan ei- ne wesentliche Säule unseres demokratischen Rechtsstaates. Und wenn es deshalb Vorfälle, mehrere Vorfälle gibt, dann muss man darüber sprechen. Dann muss man sich
2 die Frage nach Strukturen stellen, um gegen Rassismus zu immunisieren. Und das ist das Entscheidende. Es geht darum, einen gemeinsamen Weg der Verbesserung zu fin- den und nicht einfach der Kritik wegen, weil es einfach Spaß macht. Natürlich braucht es neben dem auch die Unterstützung. Und ich glaube, da spreche ich für das gesamte Parlament, wenn ich sage, dass Sie diese natürlich haben.
Wissen Sie, wenn Sie so wie ich als Kind zweier Menschen aufgewachsen sind, die aus einem nicht-funktionierendem Rechtsstaat geflohen sind, dann ist es keine Selbstver- ständlichkeit, in einer Demokratie zu leben. Deshalb ist es für mich eine Lebensaufga- be, diese Strukturen immer zu verteidigen, weil ich anhand meiner Eltern erlebt habe, was es bedeutet, wenn staatliche Strukturen nicht funktionieren. Und um diese zu ver- teidigen, braucht es Reflexion, Kritik und Wertschätzung.
Jede Bürger*in, unabhängig von der Herkunft, muss zu jedem Zeitpunkt das Vertrauen in Sie als einzelne*n Polizist*in sowie in Sie als Gruppe insgesamt haben. Wenn man die Polizeischule Eutin googlet, dann sind eine der ersten Ergebnisse: „Polizeischüler schikanieren Jugendliche“, „Polizeischüler posierte mit Hakenkreuz“ und „neue Chefin hat viel zu tun“. Das ist nicht schön.
Die Vorfälle sind Ihnen bekannt und das ist ja auch der Grund, weshalb sich die Ju- gend- und Ausbildungsvertretung proaktiv auf den Weg gemacht hat, ein deutliches Zeichen dagegen zu setzen. Es ist der richtige Schritt von Ihnen, dass Sie sich mit Ras- sismus auseinandersetzen wollen. Es ist richtig, dass Sie bei diesem Projekt mitma- chen. Aber was ich an jeder einzelnen Schule, an der ich Patin bin, auch immer sage, wenn die Verleihung stattfindet, ist, der Titel alleine schützt nicht vor Rassismus. Auch keine einmal im Jahr stattfindende Veranstaltung. Die Frage ist, wie man sich immer und immer wieder rassismus-kritisch weiterbildet und das auch nach der Ausbildung. Ein sehr wichtiger Aspekt, den die Jugend- und Ausbildungsvertreter*innen im Ge- spräch im Vorfeld richtigerweise angesprochen haben.
Und ich finde es deshalb unbedingt richtig, dass die Landespolizei sich mit Fragen wie der interkulturellen Kompetenz und verpflichtende Fortbildungen für Polizist*innen be- reits auseinandersetzt. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um lediglich Problembe- schreibungen zu machen. Ich bin in die Politik gegangen, um vorhandene Probleme vor allem zu lösen. Denn bei dieser Frage, wie schaffen wir es als Gesellschaft antirassisti- scher zu werden, sind wir als Politik maßgeblich gefragt, Rahmen zu beschreiben und zu gestalten.
Wir haben als Koalition den „Aktionsplan gegen Rassismus“ ins Leben gerufen und bei diesem ist jedes einzelne Ministerium und auch die Staatskanzlei aufgefordert, Maß- nahmen zu entwickeln. Das zuständige Ministerium für Sie, also das Innenministerium, koordiniert den gesamten Prozess und ist natürlich aber auch gefordert, konkrete Vor- schläge für ihre eigenen Bereiche zu machen, sprich auch für die Polizei.
Ich persönlich finde es beispielsweise großartig, dass es in der Landespolizei Schles- wig-Holstein eine Ansprechstelle nach innen wie nach außen für Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle sowie queere Menschen gibt. Wieso nicht auch für Menschen, die von Rassismus betroffen sind?
Zu viele Menschen wenden sich von unserer Demokratie ab. Sie glauben nicht an de- mokratische Strukturen, Institutionen und ihre Vertreter*innen. Das ist keine gute Ent- wicklung. Gerade bei jungen Menschen sinken die Zustimmungswerte. Ich finde das besorgniserregend. Es ist unsere Aufgabe als Politiker*innen, dieses Vertrauen wieder
3 herzustellen. Aber es ist auch die Aufgabe aller, die an das demokratische System glauben und die für staatliche Institutionen arbeiten. Wir haben uns dafür entschieden, diesen Staat zu repräsentieren, ihn zu verteidigen. Und deshalb ist die kritische Ausei- nandersetzung mit allen staatlichen Akteur*innen, auch uns selbst, notwendig, um sich die Frage zu stellen: Was machen wir möglicherweise falsch? Worin müssen wir besser werden? Wen schließen wir aus? Wen lassen wir nicht teilhaben? Wer sieht sich nicht repräsentiert oder vertreten? Das ist kein Nice-to-have, es ist eine Grundvoraussetzung für das Vertrauen in die demokratischen Strukturen, für die wir uns alle einsetzen.
Ich glaube, dass wir als Gesellschaft eine Menge zu tun haben, um uns demokratiefest zu machen. Darum geht es nämlich letzten Endes beim Kampf gegen Rassismus. De- mokratische Grundfesten zu verteidigen. Niemand darf benachteiligt werden aufgrund seiner Herkunft oder seines Aussehens. Und damit das in allen Lebensbereichen Reali- tät wird, sind wir gefordert. Lassen Sie uns das gemeinsam tun. Ich versichere Ihnen, Sie dabei tatkräftig mit dem Ministerpräsidenten zu unterstützen.
Vielen Dank. ***



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