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28.08.20
10:18 Uhr
SPD

Ralf Stegner zu TOP 34: Es gibt keine Menschenrassen!

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 28. August 2020
Dr. Ralf Stegner: Es gibt keine Menschenrassen! Streichung des Begriffes der "Rasse" aus sämtlichen nationalen und internationalen Rechtstexten und dessen Ersetzung durch einen zeitgemäßen Begriff (Drs. 19/2317)

„Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates standen 1949 vor einer enormen Herausforderung. Denn es war nicht nur ihre Aufgabe, eine staatliche Ordnung für die zu gründende Bundesrepublik zu entwerfen. Gleichzeitig mussten sie Antworten finden auf den totalen moralischen Bankrott in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Diktatur. Heute, mehr als 70 Jahre später, zeigt sich, wie verantwortungsvoll und wegweisend die Väter und Mütter des Grundgesetztes ihrer Aufgabe gerecht geworden sind. Unsere Verfassung ist eine andauernde Erfolgsgeschichte! Artikel 3 des Grundgesetzes in seiner Fassung von 1949 besagt, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt“ werden dürfe. Das war nicht zuletzt der beabsichtigte und konsequente Bruch mit dem Rassewahn der Nationalsozialisten, der - wir alle wissen - in millionenfachem Mord und staatlich organisierter Verfolgung gipfelte.
Dem Rassewahn der Nazis lag mit der sogenannten „Rassenkunde“ eine der groteskesten und folgenschwersten Verirrungen zu Grunde, die die Geschichte der Wissenschaft kennt. Die Rassenkunde hatte sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Zweig der Anthropologie etabliert. Die Einteilung der Menschen in Rassen mit bestimmten körperlichen Merkmalen wurde ergänzt, indem man diesen Merkmalen intellektuelle und charakterliche Eigenheiten zuschrieb – oder gar mittels Eugenik die Entwicklung von Rassen künstlich zu steuern versuchte. Auch erstzunehmende Wissenschaftler, deren andere Forschungsergebnisse bis heute in Biologie, Medizin oder Psychologie aufgegriffen werden, beteiligten sich daran. Die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten beendete den staatlichen Rassewahn, nicht jedoch die Idee von abgrenzbaren menschlichen Rassen. Es gehört zu den wissenschaftsgeschichtlichen Realitäten der Bundesrepublik, dass zwischen 1965 und 1993 in einem der führenden Wissenschaftsverlage eine 14bändige „Rassengeschichte der Menschheit“ erschien, herausgegeben von „Rassentheoretikern“, die während des NS-Regimes ihren Beitrag zur theoretischen Absicherung der Vernichtungspolitik geleistet hatten, und von ihren akademischen Schülerinnen und Schülern.
Die Möglichkeiten der Molekulargenetik haben dazu geführt, dass sich die gesamte Systematik aller Lebenswesen in den letzten Jahrzehnten einschneidend verändert hat und immer noch weiter verändert. Lehrbücher, die in den 70er Jahren erschienen, sind heute weitgehend obsolet, weil die genetisch neu sortierten Verwandtschaftsbeziehungen von Lebewesen zu einer völlig veränderten Systematik geführt haben. Dieselben wissenschaftlichen Methoden haben aber auch gezeigt, dass die vermutete nahe Verwandtschaft von Menschen ähnlicher Haut- und Haarfarbe und die vermutete entfernte Verwandtschaft von Menschen unterschiedlicher Haut- und Haarfarbe ein Hirngespinst sind. Es gibt keine Menschenrassen.



1 Und erst recht gibt es keinen Zusammenhang von intellektuellen oder charakterlichen Eigenschaften mit der Haut- oder Haarfarbe. Das wissen wir mit Gewissheit! Dass Menschenrassen einmal Stand der Wissenschaft waren, darf im Übrigen nie als Rechtfertigung akzeptiert werden für rassistische Verbrechen, die in Vergangenheit oder Gegenwart begangen wurden oder werden. Und wir müssen in aller Schärfe denjenigen widersprechen, die das Konzept von Rassen noch heute politisch verwenden. Nicht aus Unwissenheit, sondern um ihrer eigenen rassistischen Gesinnung einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Wir erinnern uns an Björn Höcke – sein Bundestagsfraktionsvorsitzender verortet ihn in der Mitte der AfD – der vom Gegensatz des „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyps“ und des „selbstverneinenden europäischen Platzhalter-Typs“ sprach. Ein zweifelsohne extremes, aber eben leider bei weitem nicht das einzige Beispiel für üble rassistische Denkmuster, die bis weit in die sogenannte bürgerliche Mitte hinein anzutreffen sind.
Wenn es, wie wissenschaftlich festgestellt, keine Menschenrassen gibt und der Begriff der Rasse gleichzeitig fast ausschließlich bei denen Verwendung findet, die ihn missbrauchen wollen, dann ist es nur konsequent, ihn zu streichen und durch einen wissenschaftlich korrekten und zeitgemäßen Begriff zu ersetzen. Im Grundgesetz ebenso wie in allen anderen Rechtstexten. Dabei darf jedoch keinesfalls das bestehende Schutzziel abgeschwächt werden, was in der migrationspolitischen Debatte dieser Tage zu Recht eingefordert wird. Allerdings gilt bereits jetzt Art. 1 Satz 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ nicht nur für den deutschen „Normal-bürger“, sondern für alle Menschen. Denn das Grundgesetz ist eben nicht nur ein zeithistorisches Dokument. Sondern auch wegen seiner Anpassungsfähigkeit eine Erfolgsgeschichte. Einen Beleg dafür finden wir im Übrigen im dritten Absatz des Artikels 3, den ich zu Beginn unvollständig zitiert habe. Denn er wurde 1994 erweitert und schließt seitdem in einem weiteren Satz auch das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung ein. Wir haben aus guten Gründen eine lebendige Verfassung!
Die Koalition hat einen Alternativantrag vorgelegt. Und mich überrascht nicht mehr viel. Aber über das, was sie gerne beschließen wollen, sind wir dann doch enttäuscht. Keine klare Aussage zum Begriff „Rasse“, keinerlei Arbeitsauftrag an die Landesregierung – das ist wirklich fast nichts. Sie wollen das „Ob und Wie“ prüfen und das, was geschieht, „positiv im Bundesrat begleiten“. Das ist selbst für die Jamaika-Koalition bitter wenig. Ich fordere Sie auf, nicht positiv zu begleiten, sondern mit uns zusammen aktiv zu gestalten. Und an solchen Stellen merkt man dann doch, wie es tatsächlich um die viel gepriesene Liberalität und Weltoffenheit in der Nord-CDU im Jahr 2020 steht. Schade! Wir schaffen Rassismus nicht aus der Welt, indem wir die Rasse aus dem Grundgesetz streichen. Aber wir können damit zumindest einen Begriff aus dem offiziellen Sprachgebrauch tilgen, der wissenschaftlich nicht haltbar und politisch schädlich ist. Und über dieses Signal des Landtags würden wir uns sehr freuen, herzlichen Dank!“



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