Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
28.08.20
11:32 Uhr
B 90/Grüne

Joschka Knuth zum Lieferkettengesetz

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 33 – Lieferkettengesetz jetzt! Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt der wirtschaftspolitische Sprecher Landeshaus der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Joschka Knuth: Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 267.20 / 27.08.2020


Wir brauchen ein nationales Lieferkettengesetz
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
vor mittlerweile fast genau zehn Jahren habe ich als Schüler angefangen, mich politisch zu engagieren. Ich habe das getan, weil es mir unbegreiflich war, mit welchem Desinte- resse wir andere Menschen für unsere Produkte ausbeuteten. Beim Nähen von T-Shirts, auf Kaffee- oder Kakao-Plantagen, beim Coltan-Abbau. Die Bilder in Dokumentationen, die Berichte in Nachrichten und Zeitungen, die Vorträge von Betroffenen haben mich zu- tiefst bewegt.
Sie haben mich deshalb so bewegt, weil unser politisches und unternehmerisches Des- interesse an den Lebensumständen anderer Menschen ursächlich dafür ist, dass sie in Armut leben. Das bedeutet: Menschen leiden Hunger. Menschen können sich kein Dach über dem Kopf leisten. Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben. Menschen ster- ben, weil sie sich keine Behandlung leisten können.
Und das nur, weil wir uns hier im Wohlstandswesten dafür nicht interessieren. Und noch heute bewegt mich das zutiefst. Es ist auch unsere Verantwortung diese Situation zu ändern. Und da versagen wir. in Deutschland und in Europa.
Die Vereinten Nationen haben 2011 ihre Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen- rechte verabschiedet. Sie betonen die staatliche Schutzpflicht und die unternehmerische Verantwortung. Stellen damit also nicht nur für Staaten, sondern auch für Unternehmen eine Verantwortung bezüglich der Menschenrechte fest.
Die Bundesregierung hat 2016 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung dieser UN- Leitprinzipien beschlossen. Gebracht hat beides bis heute nicht viel. Auch und gerade deshalb, weil es sich bei beidem um keine rechtliche Vorschrift handelt. Seite 1 von 2 Bei der Lösungsfindung greift der Ruf nach europäischen Regelungen dabei zu kurz. Ja, wir brauchen auch eindeutige Einfuhrregelungen für Produkte, die in den europäischen Binnenmarkt kommen. Aber Unternehmen – insbesondere große, oftmals multinational agierende Unternehmen – sind eigenständige Akteure der internationalen politischen Landschaft. Und als solche tragen sie nicht nur beim Grenzübertritt von Produkten eine Verantwortung, sondern überall dort, wohin ihr Wirkungsradius ausgreift. Und bei der Re- gelung dieser Verantwortung versagen Unternehmen und Politik noch zu oft.
73 Millionen Kinder weltweit gehen einer Arbeit nach. 2,1 Mrd. Menschen weltweit leben von weniger als zwei US-Dollar am Tag – und damit in Armut, beziehungsweise im Ar- muts-Risiko. Und das liegt eben auch an den Produktionsstrukturen multinationaler Kon- zerne. Denn: Weltweit arbeiten ca. 450 Millionen Menschen in globalen Wertschöpfungs- ketten und diese Menschen verdienen oftmals nicht mehr als einen Hungerlohn.
Um es greifbar zu machen: Anwar Khawaja Industries produziert in Sialkot in Pakistan Fußbälle für die bekannten großen Sportartikelhersteller. Eine Näherin kann am Tag ca. 2-3 Bälle produzieren. Pro Ball erhält sie ziemlich genau 85 Cent. Damit erhält eine Nä- herin im Monat 50-60 € - für sich und ihre Familie. Der Ball für das Champions League- Finale vom letzten Wochenende wird beispielsweise für 136 Euro verkauft. Der Lohnan- teil liegt also bei 0,6 Prozent. Das entspricht exakt dem Lohnanteil für Näher*innen bei einem durchschnittlichen Marken-T-Shirt.
Nur mal zum Vergleich: Bei Herstellern, die Kleidung in Deutschland produzieren, wird mit einem Lohnanteil von ca. 52 Prozent kalkuliert. Das wären für die Näherin in Pakistan 1,5 Monatslöhne. Pro Kleidungsstück oder Fußball.
Menschenrechtsverstöße erfolgen jedoch nicht nur aus ausbeuterischer Bezahlung oder liegen im Falle von Kinderarbeit vor, sondern können vielfältig sein. Beispielsweise war das Versagen von privaten Kontroll- und Zertifizierungsunternehmen maßgeblich ursäch- lich für den Einsturz des Rhana Plaza Gebäudes in Bangladesch 2013. Damals starben 1130 Menschen.
Ein ähnliches Versagen war ursächlich für den Bruch des Brumadinho-Dammes in Bra- silien im vergangenen Jahr. Damals starben mindestens 272 Menschen. Unzählige wur- den durch die Wassermassen heimatlos.
Beide Beispiele zeigen auch, wie eine unklare bis nicht vorhandene, rechtliche Verpflich- tung zur Einhaltung von Menschenrechten dazu beiträgt, dass global agierende Unter- nehmen ihre unternehmerische Sorgfaltspflicht nicht sehr ernst nehmen und damit das Sterben und Leiden von Menschen mindestens billigend in Kauf nehmen.
Nicht zuletzt die Unternehmensbefragung im Auftrag der Bundesregierung hat dieses Jahr deutlich gezeigt, dass wir bei der Wahrung von Menschenrechten entlang globaler Lieferketten deutlich Nachholbedarf haben.
Das alles macht deutlich: Wir brauchen ein nationales Lieferkettengesetz. Es braucht eine Haftung großer Unternehmen für ihre Handlungen. Überall.
***



2