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29.10.20
10:55 Uhr
SPD

Ralf Stegner zu TOP 1,37,44: Wir müssen die Dynamik unterbrechen

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 29. Oktober 2020
Ralf Stegner: Wir müssen die Dynamik unterbrechen TOP 1,37+44: Regierungserklärung zum Thema „In der Krise zusammenhalten – Corona-Pandemie erfolgreich bewältigen" und Anträge zur Corona-Pandemie (Drs. 19/2518, 19/2492, 19/2506) „Corona gehört seit einem dreiviertel Jahr zu unserem Leben dazu. Vieles, was seitdem tagtäglich gilt, wäre uns im letzten Jahr noch als Science-Fiction erschienen. Manches hat sich seit dem Frühjahr geändert. Grundlegendes allerdings nicht. Denn wir haben auch heute weder ein Heilmittel noch einen Impfstoff gegen das Virus. Und es bleibt dabei, dass der Erreger hochgefährlich ist, auch wenn wir ihn nicht sehen und seine Auswirkungen auf Menschen höchst unterschiedlich sind. Darum sind und bleiben der Gesundheitsschutz und die Eindämmung der Pandemie unsere oberste Pflicht. Obwohl uns Expertinnen und Experten seit Monaten vor einer zweiten Welle im Herbst gewarnt haben, waren wir wohl alle überrascht, wie stark uns das Virus wieder im Griff hat und wie schnell die Infektionszahlen in den vergangenen Tagen gestiegen sind. Es ist wie im Frühjahr nicht in erster Linie die Zahl der aktuellen Infektionen, die uns beunruhigen muss. Sondern das dramatische Wachstum: Am Montag hatten wir doppelt so viele Infektionen wie noch eine Woche zuvor. Und ja, die Zahlen sind in Schleswig-Holstein immer noch niedriger als anderswo und doch ist auch hier die Entwicklung besorgniserregend. Wenn es keine Änderungen gibt, bringt diese Entwicklung unser Gesundheitswesen absehbar an den Rand der Belastbarkeit. Das gilt für die Gesundheitsämter, aber vor allem auch mit Blick auf die Krankenhäuser und besonders die Intensivpflegekräfte. Wohin es führt, wenn die Nachverfolgung von Infektionen – und damit die systematische Quarantänekonsequenz – nicht mehr gelingt, sehen wir in unseren europäischen Nachbarländern. Das alles muss uns eine Warnung sein: Wir alle haben die Schreckensbilder von Bergamo bis New York im Gedächtnis. Die Lage ist überaus ernst. Und wir müssen die Dynamik unterbrechen, wenn wir gravierende Folgen für die Menschen, unsere Gesundheitsversorgung, für Wirtschaft und Arbeitsplätze und für unser ganzes Leben vermeiden wollen. Und genau das ist unsere politische Verantwortung als Abgeordnete. Wir wissen jetzt im Herbst auch dank der Forschungsergebnisse erheblich mehr als noch im Frühjahr. Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln befolgen und regelmäßiges Lüften bleiben das A und O – nichts davon ist für sich genommen ein Allheilmittel, aber in der Kombination hat es einen großen Effekt. Und es fängt bei jedem von uns an. Darum ist es nur konsequent, wenn wir hier umsetzen, was wir auch von den Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften oder von den Beschäftigten im Einzelhandel erwarten und im Plenarsaal Maske tragen. Es geht um den Infektionsschutz, aber es geht auch um unsere besondere Vorbildfunktion. Wir sehen in dieser Woche beim SSW, wie real die Gefahr ist. Aber es wird nicht reichen, die Regeln konsequent einzuhalten und unser Leben ansonsten fortzuführen, als ob nichts wäre. So wenig wir das wollen, so überdrüssig wir dessen sind, so sehr uns das emotional gegen den Strich geht: Jeder wird seine eigenen Kontakte erheblich einschränken müssen, damit wir gut über den Winter kommen. Aber ich bin überzeugt: Das kann, muss und wird unserer Gesellschaft gemeinsam gelingen! Das letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine herbeigeredete Spaltung der Gesellschaft. Zum Beispiel, indem Generationenkonflikte beschworen werden: Es sind nicht DIE Alten, wegen denen das Leben stillsteht. Und es sind nicht DIE Jungen, deren Partys die Zahlen in die Höhe treiben. Der Ministerpräsident hat es gesagt: Bei 75 % aller


1 Infektionen wissen wir inzwischen nicht mehr, woher sie genau kommen. Ja, Generationen sind vielleicht unterschiedlich betroffen und so wie die Jungen bei Fridays for Future das Engagement der Älteren einfordern, so ist es bei Corona vielleicht genau umgekehrt. Aber jetzt geht es um gesellschaftliches Miteinander und Solidarität. Solidarität gegenüber denen, für die das Virus besonders gefährlich ist. Aber auch Solidarität gegenüber denen, die den großen Teil der Last der Pandemiebekämpfung bislang getragen haben. Da geht es um die Menschen in den besonders betroffenen Berufen, von der Pflege bis zum Einzelhandel, von den Rettungskräften bis zu den Erzieherinnen. Und es geht um die Menschen in den Heimen. Aber machen wir uns nichts vor, das bleibt eine ungeheuer schwierige Abwägung zwischen dem Gesundheitsschutz, was Bewohner, Besucher und Beschäftigte betrifft - und dem Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht unserer Eltern und Großeltern und deren berechtigter Angst vor Einsamkeit und Trennung von den Lieben. Albert Schweitzer hat gesagt: „Humanität bedeutet, dass niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird.“ Auch die Pandemie rechtfertigt nicht – und das war das Schlimmste an den Verhältnissen im Frühjahr –, dass Menschen alleine sterben mussten. Das dürfen wir nie wieder zulassen – das widerspricht aller Humanität. Es geht aber auch um die Familien, in deren Interesse wir alles unter-nehmen müssen, damit Kitas und Schulen geöffnet bleiben können. Viele haben über ihre Kräfte und ohne Urlaub und Erholung enorm viel auf sich nehmen müssen und das lässt sich nicht beliebig wiederholen. Die Pandemiefolgen betreffen ganz oft diejenigen, die es ohnehin schwer haben. Deren Wohnsituation bereits in normalen Zeiten alles andere als gut ist. Die prekär beschäftigt sind und weder auf Ersparnisse noch Kurzarbeitsregelung zurückgreifen können. Oder deren Hartz-4- Regelsatz bislang den Pandemiefall und Kosten für Masken oder Desinfektionsmittel nicht vorsah. Aber auch Alleinerziehende, die die gesamte Herausforderung der Betreuung stemmen müssen. Sie alle müssen jetzt in der zweiten Welle viel stärker in den Blick genommen werden – auch das ist unsere Verantwortung hier im Parlament. Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben sich gestern einstimmig auf harte Einschnitte verständigt, die glücklicherweise Schulen und Kitas ausnehmen, aber für weite Teile der Gesellschaft einem Lockdown gleichkommen – der Euphemismus mit dem „Lockdown light“ taugt dabei wenig. Die bundesweite Einigung ist begrüßenswert, denn es geht in der Tat um einen nationalen Kraftakt, den es zu bewältigen gilt und zu dem Kleinstaaterei auch dann nicht passt, wenn das Infektionsgeschehen regional sehr unterschiedlich ist. Das trifft viele hart, gerade auch diejenigen, die hohen Aufwand getrieben haben, um mit Hygienekonzepten und viel Kreativität mit der Pandemie umzugehen. Ich habe viel Verständnis für diejenigen - gerade die Gastronomie oder Sportvereine –, die das jetzt kritisch hinterfragen, zumal das Infektionsgeschehen sich mutmaßlich hauptsächlich wo-anders abgespielt hat. Deshalb sind die vorgesehenen Entschädigungsregelungen durch den Bund – 75 % der Erträge des Vorjahresmonats – essentiell notwendig und die Grundvoraussetzung dafür, dem überhaupt zustimmen zu können. Dennoch wird das viel Enttäuschung mit sich bringen – und die kann ich gut verstehen. Wichtig ist, dass das Geld schnell und unbürokratisch fließt. Diesmal wird das wirklich helfen. Ob die geschätzten 10 Milliarden Euro ausreichen, darf man bezweifeln, wenn wirklich alle Betriebe und Einrichtungen, die behördlich geschlossen werden bzw. indirekt betroffen sind, auch tatsächlich entschädigt werden – und darauf müssen wir bestehen! Gerade darum gilt, dass wir uns gemeinsam anstrengen müssen, um diesen Lockdown so kurz wie möglich zu halten – dazu gehört, die ebenfalls vereinbarten Kontaktbeschränkungen konsequent einzuhalten. Im öffentlichen Raum wird man das kontrollieren können, und wir wollen auch, dass es keine privaten Feten gibt und auch die privaten Kontakte reduziert werden. Das erfordert die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger. Was wir nämlich nicht wollen und keinesfalls dulden dürfen, ist eine grundwertewidrige polizeiliche Überwachung und Kontrolle in Privaträumen. Und wir wollen auch nicht den Einsatz „besonders wachsamer Nachbarn“. Aber der Appell gilt schon: Halten Sie sich bitte an die Kontaktbeschränkungen! Das ist ein Akt der Solidarität mit Ihren Mitmenschen. Auch wenn ich das Wort „social distancing“ schrecklich finde, gilt doch: Distanz ist die neue Nähe. Schleswig-Holstein hatte am Montag bereits eigene Verschärfungen beschlossen. Wir haben die von Ihnen angekündigten Punkte nicht kritisiert, weil wir sie in der Sache moderat und richtig fanden. Über den Zeitpunkt


2 hatten wir uns allerdings schon gewundert. Spätestens nach der Einigung gestern Abend muss man festhalten, dass dieser Sonderweg Schleswig-Holsteins nicht klug war. Denn die Absprachen im Bund gehen deutlich über die Ankündigungen hinaus und damit war das sicherlich einmal mehr kein Beitrag zur Klarheit der Kommunikation gegenüber den Menschen im Land. Ihre Kehrtwende, Herr Ministerpräsident, war aus staatspolitischer Verantwortung zwingend notwendig, aber das macht Ihren Alleingang vom Montag nicht besser. Im Gegenteil: Es erschwert die Akzeptanz und die Gastronomiebranche oder der Amateursport sind zu Recht sauer. Wir dürfen bei aller Fokussierung auf den Gesundheitsschutz und in Anbetracht der neuen Regeln diejenigen nicht vergessen, die noch keine Antworten auf die vielen offenen Fragen der letzten Monate bekommen haben. Was ist mit der Absicherung von Soloselbständigen, die ohne eigenes Verschulden noch immer kaum Umsätze haben? Ich höre viele Forderungen da und auch einige Ankündigungen dort, aber es fehlen nach wie vor die praktikablen Lösungen und der Verweis auf Hartz IV taugt wenig, wie die Praxis zeigt. Wo ist die Hilfe für besonders betroffene Branchen, wie zum Beispiel den Veranstaltungsbereich? Welche Antwort geben wir denjenigen, die zu Recht kritisieren, wenn wir Schüler in der Schule fein säuberlich in Kohorten teilen und dann auf dem Schulweg wieder alle gemeinsam in überfüllte Busse stecken. Mir fehlt jedes Verständnis, dass die Jamaika-Koalition unsere Initiativen für den Schulbusbereich unter Verweis auf die kommunale Zuständigkeit so brüsk zurückgewiesen hat. Und eng damit zusammenhängend: Werden wir so konsequent sein, in allen Schulen, wo es nötig ist, Luftreinigungsanlagen aufzustellen? Das ist nach Meinung aller Fachleute technisch machbar, dauerhaft sinnvoll und muss auch finanzierbar sein! Wer Milliarden für die Lufthansa hat, muss auch dieses stemmen können. Hier können gute Lösungen für Kitas, Schulen, Restaurants und auch kleine Veranstaltungsräume liegen. Erst recht, wenn die Nachverfolgung von Infektionsketten und der damit verbundene Quarantäneschutz kaum noch funktionieren. Die heutige Redezeit reicht unmöglich aus, alle Probleme anzusprechen oder gar Lösungen anzubieten. Es braucht viel Verständnis für diejenigen, die stark unter den Einschränkungen leiden. Und wir müssen uns der Diskussion mit allen stellen, die hinterfragen, ob die eine oder andere Maßnahme übers Ziel hinausschießt. Aber Gewaltenteilung und Föderalismus funktionieren sehr wohl. Unser Staat ist handlungsfähig, wie wir gerade auch mit Blick auf die USA sehen können. Und es braucht auch klare Kante gegenüber denen, die sich selbst und andere wider besseren Wissens in Gefahr bringen, weil sie auch jetzt noch mit aller Kraft ihren Egoismus ausleben wollen. Damit meine ich selbsternannte „Querdenker“, die eigentlich Nicht-Denker heißen müssten. Damit meine ich auch AfD-Abgeordnete, die per Unterlassungserklärung ihr Recht erstreiten wollen, andere anstecken zu dürfen. Und damit meine ich sogenannte Promis, die ihre Reichweite in den Sozialen Netzwerken missbrauchen, um abstruse Verschwörungs-theorien zu verbreiten. Das alles braucht es absolut nicht! Dafür habe ich null Verständnis und lassen Sie mich in aller Klarheit feststellen: Die Meinungsfreiheit ist in Weißrussland bedroht, aber gewiss nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Und um den Blick auf das Land zu richten: Mein Verständnis für diejenigen Maskengegner, die Cyber-Guerilla-Attacken gegen den Landeselternbeirat fahren und sogar vor persönlichen Beschimpfungen oder Bedrohungen nicht zurück-schreckend tendiert gegen null. Gelegentlich habe ich in den letzten Monaten die verwunderte Frage gehört, wie das denn zusammengeht mit Oppositionsrolle und Unterstützung der Regierung – gerade bei dem mir zugeschriebenen Naturell. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Wie im Frühjahr gilt auch jetzt: Es ist wirklich nicht die Zeit für partei-politische Profilierung. Meine Fraktion steht auch in der Opposition zu ihrer Verantwortung für Schleswig-Holstein und dafür, die Handlungs-fähigkeit unseres Gemeinwesens in der Krise sicherzustellen. Das ist eine Bewährungsprobe für uns alle! Und es war ein gutes Zeichen, dass wir als Demokratinnen und Demokraten gemeinsam in einem Kraftakt den milliardenschweren Nachtragshaushalt auf den Weg gebracht haben. Für die Fundamentalkritik des Landesrechnungshofs oder des selbsternannten Bundes der Steuerzahler habe ich in dieser außergewöhnlichen Situation wenig Verständnis. Denn was wir hier tun, ist Verantwortung zu übernehmen, damit unser Land diese Krise gut übersteht. Mit einer Zweidrittelmehrheit einen solchen Haushalt zu beschließen, gab es in der Geschichte unseres Landes in dieser Form noch nie. Das ist auch im Ländervergleich etwas ganz Besonderes. Über


3 die Details werden wir morgen in der Haushaltsdebatte sprechen und meine Kollegin Beate Raudies wird das morgen darstellen. Aber ich möchte in aller Kürze vier Punkte benennen, die uns besonders wichtig waren und die auch etwas damit zu tun haben, dieses Land in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten: • Es wird ein Schulbauprogramm geben, das seinen Namen verdient. Und das ist auch eine Lehre aus Corona. Denn wenn die Fenster im maroden Altbau nicht mehr aufgehen oder die Sanitärbereiche abbruchreif sind, ist Infektionsschutz Augenwischerei. • Wir unternehmen sehr viel mehr als bisher für bezahlbaren Wohnraum. Damit möglichst viele Menschen ein Zuhause haben, in dem sie sich wohlfühlen können. • Und wir setzen ein richtig gutes Signal, indem wir Kurzzeitpflegeplätze ausbauen, die für viele im Land eine große Erleichterung sind, damit Ältere nicht erst ins Krankenhaus und dann gegen ihren Willen statt nach Hause dauerhaft ins Pflegeheim müssen. • Und wir investieren in unsere Krankenhäuser, das ist wichtig, damit wir flächendeckend eine starke Gesundheitsversorgung sichern. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir gerade bei den Pflegekräften auf Intensivstationen noch einen erheblichen Personalbedarf haben. In diesem Zusammenhang habe ich die letzte Tarifrunde im öffentlichen Dienst als ein gutes Signal empfunden, für dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen. Ich bin froh, dass von engagierten Parlamentarierinnen und Parlamentariern – nicht zuletzt dem Bundestagspräsidenten – eine Debatte darüber angestoßen wurde, wie wir bei der Pandemiebekämpfung wegkommen von der Dominanz der Regierungen. Der Krisenmodus muss auch bezüglich der exekutiven Befugnisse zeitlich begrenzt werden. Und die Konferenz der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin findet sich aus guten Gründen nicht im Grundgesetz – Bundestag, Bundesrat und unsere Landtage hingegen schon. Regierungen müssen schnell handeln können, und es ist Aufgabe der Verwaltung, die exekutiven Details zu regeln. Aber auch in Pandemiezeiten müssen die entscheidenden Debatten in den Parlamenten stattfinden und die Kontrolle der Regierung bleibt die vornehmste Aufgabe des Parlaments. Das bietet dann auch den Raum für die Form von kontroversen Diskussionen, die von einigen vermisst werden. Ich begrüße darum den Vorstoß der SPD- Bundestagsfraktion, das Infektionsschutzgesetz so zu überarbeiten, dass das Parlament stärker beteiligt wird und wir wegkommen von der Generalklausel. Bei wesentlichen Entscheidungen muss der Bundestag das letzte Wort haben. Und auch hier in Kiel sollten wir fraktionsübergreifend sehr genau darauf achten, was wir der Regierung überlassen und was in den Bereich des Parlaments gehört. Im Frühjahr kamen aus dem Parlament viele wichtige Impulse, zum Beispiel zu den Spielplätzen oder den Elternbeiträgen für die Kitas. Aber auf Dauer müssen natürlich auch die zentralen Entscheidungen wieder hierher verlagert werden. Und auch die Information der Opposition, Herr Ministerpräsident, darf wieder etwas intensiver werden – jetzt, wenn die Herausforderungen wieder zunehmen. Die Anforderungen an die Regierenden sind in diesen besonderen Zeiten hoch. Und wenn tagtäglich schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden müssen, dann passieren Fehler. Das ist entschuldbar und ich glaube wir gehen als Opposition auch entsprechend damit um. Aber das entbindet uns nicht von unserer Aufgabe, Probleme zu benennen, die mehr als ein Ausrutscher sind – das ist die Aufgabe der Opposition und das sind wir den Menschen im Land schuldig. Und in dem Zusammenhang muss ich ein paar Worte zum Beherbergungsverbot in Schleswig-Holstein verlieren, auch wenn wir jetzt ein bundesweites Beherbergungsverbot haben. Herr Ministerpräsident, ich sage das mit gerade noch parlamentarischem Sprachgebrauch: Das war großer Mist. Ich will jetzt nicht in der Sache diskutieren, ob es klug war, Gäste nur mit Test ins Land zu lassen oder nicht und der gebeutelten Hotel- und Gastronomiebranche mit Ihren Hygienekonzepten noch einen mitzugeben – meine Fraktion hat sich dazu geäußert, andere auch. Schleswig-Holstein war auch nicht das einzige Bundesland, das sich für dieses Verbot entschieden hat. Aber in keinem anderen Bundesland hat die Regierung dabei einen derart konfusen Eindruck hinterlassen, wenn der Ministerpräsident das eine und der Wirtschaftsminister das andere sagt. Damit haben Sie sich selber, aber auch der unabdingbaren Akzeptanz für Pandemiemaßnahmen insgesamt


4 einen Bärendienst erwiesen. Und man kann froh sein, dass das Gericht Ihnen am Freitagabend die Entscheidung abgenommen hat. Es geht nicht darum, den Menschen im Land Politik besser zu erklären. Die Schleswig- Holsteiner sind weder besonders begriffsstutzig noch unmündig. Sondern es geht um nachvollziehbare Maßnahmen mit schlüssiger Begründung, die sich auf solide Fakten stützt – und genau darum ist es ein Problem, wenn Akteure der Landesregierung etwas ganz Unter-schiedliches in der Öffentlichkeit vertreten. Und das ist auch ein stückweit unfair gegenüber denjenigen in Verwaltung und Landesregierung, die in den letzten Monaten einen sehr soliden, zum Teil sogar exzellenten Job machen. Ich will stellvertretend ausdrücklich die Rolle des Gesundheitsministeriums im Einklang mit den Gesundheitsämtern vor Ort anerkennen und mich, Herr Minister Garg, für diese Arbeit besonders bedanken. Seit gestern haben wir nun eine Einigung von Bund und Ländern, die diesmal hoffentlich länger hält als bislang. Es kann nicht das Ziel sein, dass die Kanzlerin sich im Nachgang von Ergebnissen distanzieren muss – wobei man mit Blick auf die heutigen Zahlen sagen muss, dass sie das letzte Mal Recht hatte. Noch kann es sein, dass man sich Einigkeit zusichert und noch während die Konferenz die Alleingänge in den Ländern beginnen. Bundeseinheitliche Kriterien und situativ und regional angepasste Maß-nahmen durch Regierung und Verwaltung – kontrolliert von den Parlamenten – darum geht es. Im Übrigen gilt das erst recht für die norddeutsche Zusammenarbeit. Unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in der Metropolregion ist es schlicht nicht zu vermitteln, wenn in Schleswig-Holstein auf der einen Straßenseite das eine gilt und auf der anderen Straßenseite in Hamburg etwas anderes. Da hatte die Performance der Landesregierung, Herr Ministerpräsident, in den letzten Monaten sicherlich Luft nach oben. Es ist nicht die Zeit für persönliche Profilierungen. Vielleicht hilft an der Stelle die Vertagung der Personalfragen bei der Union. Wir brauchen keinen Wettbewerb um die schnellste, härteste und konsequenteste Corona-Show – das ist Krisenmanagement im schlechtesten Sinne. Wir brauchen stattdessen bundesweite Standards und eine gemeinsame Strategie, nach denen sich die regionalen Maßnahmen richten. Für Veranstaltungen, für Masken, für Tourismus und im Zweifel auch für Bußgelder gegen diejenigen die vorsätzlich anderen schaden. Das mag in den Augen einiger Ministerpräsidenten weniger glamourös sein, erfolgversprechender ist es allemal. Die Einigung von gestern ist auch eine Chance. Der bevorstehende Monat wird eine harte Geduldsprobe für uns alle werden. Und es liegt am Ende an den Bürgerinnen und Bürgern, ob wir es schaffen, die Infektionsdynamik drastisch zu bremsen. Das können wir nur gemeinsam schaffen und dafür braucht es eine vernünftige Kommunikation. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität sind und bleiben die Kriterien, die es braucht, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu wahren. Es geht um Rücksicht, Vorsicht, Umsicht und Einsicht. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung unterstützt die Maßnahmen gegen die Pandemie. Eine große Mehrheit hier im Parlament. Das ist nicht selbstverständlich. Lassen Sie es uns nicht verspielen. Dann werden wir die Krise meistern.“



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