Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
29.10.20
11:29 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Bewältigung der Corona-Krise

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 1 + 37 + 44 – In der Krise zusammenhalten – Pressesprecherin Corona-Pandemie erfolgreich bewältigen; Claudia Jacob Corona-Pandemie wirksam eindämmen Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt die Vorsitzende der Landtagsfraktion Zentrale: 0431 / 988 – 1500 von Bündnis 90/Die Grünen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 Eka von Kalben: presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 350.20 / 29.10.2020


Wenn wir zusammenhalten, werden wir auch diese Krise überstehen
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir blicken mit Sorge auf das Ende des Jahres. Denn: Sie kommt nicht überraschend und sie steht nicht mehr bevor, sondern sie ist da – die zweite Coronawelle. Wir sind es leid, darüber zu diskutieren und doch tun wir es von morgens bis abends. In der Politik, am Frühstückstisch, auf dem Spielplatz, in der Schule, bei der Arbeit. Überall.
Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine eindringlichen Worte in der Regierungser- klärung. Dank und Appell, das ist nötig und sehr viele Menschen halten sich an Regeln und Appelle und doch nimmt die Zahl der Kritiker*innen zu. Pandemiemüdigkeit breitet sich aus. Menschen haben Zweifel an den Maßnahmen. Manche verstehen sie nicht, manche lehnen sie einfach ab.
Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Menschen, die das Virus als eine Weltver- schwörung ansehen. Sondern die Menschen, die Fragen haben, die verstanden haben, dass COVID-19 eine gefährliche Krankheit ist und die solidarisch sein wollen.
Unsere Aufgabe als Politik ist es, die Fragen ernst zu nehmen, die Fragen aufzugreifen und zu beantworten, die Zweifel ernst zu nehmen und abzuwägen. Ich möchte drei Haupt- diskussionspunkte ansprechen, auf die ich immer wieder treffe.
Selten haben sich Menschen so intensiv mit Fragen der Wissenschaft auseinanderge- setzt. Mit medizinischen Studien, mit den Aussagen von Virolog*innen und mit statisti- schen Phänomenen. Die Zahlen des Robert Koch Instituts werden wieder täglich mit gro-

Seite 1 von 5 ßer Sorge verfolgt und gespannt schaut der eine oder die andere auf die neuen Anste- ckungsfälle in den nächsten sieben Tagen. Steigen sie über 35 oder steigen sie über 50 und mehr?
Und doch können wir uns häufig wenig unter den abstrakten Zahlen vorstellen. In meinem Dorf wäre bei einer Inzidenz von 50 statistisch gesehen ein Mensch infiziert, in Quickborn zehn. Das klingt erst einmal nicht viel. Wenn man aber davon ausgeht, dass diese zehn schon andere angesteckt haben und das nicht mehr nachverfolgt werden kann, dann wird es eben doch viel. Denn rein rechnerisch steht Quickborn nur ein Intensivbett im zustän- digen Krankenhaus in Elmshorn zur Verfügung.
Aber natürlich sind Zahlen nur Anhaltspunkte: Was fließt wo in die Statistik ein, zum Bei- spiel bei den Todeszahlen? Wieviel wird wo getestet? Was bedeutet der R-Faktor wirk- lich?
Zweifler*innen versuchen deutlich zu machen, dass uns die Wissenschaft anlügt, dass die Zahlen nicht stimmen würden. Aber es geht hier nicht einfach um Zahlen. Es geht um Infizierte, um Erkrankte, um Verstorbene. Es geht um Menschen.
Mich prägen die Bilder aus Norditalien oder New York, wo ein Kliniksystem – und perver- ser Weise sogar ein Begräbnis System – kollabierte. Mich prägen die Interviews mit Men- schen, die als Infizierte oder als Pflegende die erste Welle miterlebt haben und mit den Pflegenden, die selbst zu Infizierten wurden. Und da sind mir die R, K oder I-Werte dann herzlich egal – Corona ist eben nicht wie die jährliche Grippe, sondern eine weltweite, gefährliche Pandemie. Wer das in Frage stellt, gefährdet das Gemeinwohl.
Unter denjenigen, die sich zumindest in dieser Frage einig sind, gibt es einen regen Aus- tausch darüber, welche Maßnahmen wie wirken und welche zumutbar sind und welche nicht. Das ist gut so. Wir leben in einer Demokratie und wir werden uns zügig – möglichst bis zum Novemberlandtag – auch Gedanken machen müssen, welche Rolle wir als Par- lament in der Krise übernehmen.
Ich weiß, dass das technisch schwierig sein mag, wenn wir sehen, wie schnell die Ver- ordnungen umgesetzt werden müssen. Aber gerade bei abnehmender Akzeptanz durch die Bevölkerung ist es wichtig, dass wir den Eindruck abwehren, dass hier im Hinterstüb- chen über ihr Leben entschieden wird.
Mit dem Beschluss zum Nachtragshaushalt gehen wir einen enormen Schritt, um die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie abzufedern. Wir helfen konkret bei der Pandemiebekämpfung im Gesundheits- und Schulwesen und wir federn in den Kom- munen die wegfallenden Einnahmen ab.
Das alles kann nur durch die Unterstützung der demokratischen Opposition gelingen, die sich aktiv in diesen Prozess eingebracht hat. Dafür danke ich allen Beteiligten sehr.
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit gestern haben wir nun eine neue Situation. Seit gestern haben wir einen MPK- Beschluss, der in Schleswig-Holstein umgesetzt werden wird. Lassen Sie mich unabhän- gig von den einzelnen Maßnahmen etwas sagen: Das Verrückte an den Corona-Maß- nahmen ist ein typisches Paradoxon, was wir auch schon an anderer Stelle kennenge- lernt haben: Nämlich der gleichzeitige Wunsch nach Einheitlichkeit und Individualität.

2 Zum einen wünschen sich die Menschen Einheitlichkeit, um die Maßnahmen zu verste- hen. Deshalb wurde der Auftritt der Bundesländer bisher als chaotisch wahrgenommen: Selbst wenn Beschlüsse gefasst wurden, waren sich die potentiellen Kanzlerkandidaten Laschet und Söder nicht zu schade, mit sofortiger Wirkung andere Maßnahmen zu ver- künden oder Protokollerklärungen abzugeben. Das ist alles andere als hilfreich.
Andererseits gibt es einen Wunsch nach Individualität, weil es für die Bürger*innen voll- kommen unverständlich ist, wenn ein Gebiet, in dem es kaum Fälle gibt, die gleichen Beschränkungen erfahren soll, wie die Hotspots in Berlin, NRW und Bayern.
Zu lösen ist dieses Paradoxon dadurch, dass wir zwar nicht unbedingt einheitliche Maß- nahmen brauchen, aber einheitliche Kriterien. Das hätten wir uns als Beschluss der Mi- nisterpräsidenten gewünscht. Doch die Expert*innen auch bei uns im Land haben gera- ten, angesichts der schwierigen Lage für Deutschland eine einheitliche und eine sehr konsequente Lösung zu beschließen.
Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Die Bekämpfung der Pandemie erzeugt viele Risiken und Nebenwirkungen. Und zwar nicht nur wirtschaftlicher Art, auch Existenznöte, Einsamkeit und Zukunftssorgen. Das Tragen von Masken und die Distanz die wir eingehen.
Das alles macht etwas mit der Gesellschaft. Irgendjemand sagte neulich: Zwinkern sei das neue Lächeln. Ich würde mal sagen: das klappt nur mäßig. Und Ellenbogenpuffen ist auch kein Ersatz für eine Umarmung. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir immer wie- der erklären, begründen und auch hinterfragen, welche Maßnahme wirklich nötig ist. Und es ist auch richtig und wichtig, dass die Gerichte die Politik kontrollieren. Das ist ihre Aufgabe.
Und trotzdem finde ich es wichtig, hier abermals deutlich zu machen, dass diese Regie- rung alle erlassenen Verordnungen sorgfältig abwägt. Mit Expert*innen und auch mit den Koalitionspartner*innen.
Und ich bin sicher, dass wir – ähnlich wie bei der kurzfristigen Freigabe der Mittel durch den Finanzausschuss – auch ein ähnliches Verfahren für die Corona-Verordnungen fin- den können. Aber eines ist auch klar: Maßnahmen, die fehlerfrei sind, Maßnahmen, die alle akzeptieren, Maßnahmen, die für jeden Einzelfall befriedigend sind, die wird es ver- mutlich nicht geben.
Das Beherbergungsverbotes und das Schließen der Gastronomie sowie aller Freizeitein- richtungen so wie es der Beschluss jetzt vorsieht, das ist hart. Das macht Bauchschmer- zen. Und ich sage sehr deutlich, gerade für die sehr vielen, die sich an Hygieneregeln gehalten haben, ist das eine sehr harte Maßnahme. Auch weil wir mit manchen Maßnah- men schon vor Gericht gescheitert sind.
Und trotzdem unterstützen wir den eingeschlagenen Weg der Landesregierung, die MPK- Beschlüsse umzusetzen. Wir unterstützen die Entscheidung, jetzt eine klare Vorgabe zu machen. Und wir unterstützen vor allem die Entscheidung, dieses Mal Bildung den Vor- rang zu lassen und Kitas und Schulen nicht zu schließen. Das ist wichtig und richtig.
Dass die Länder sich nicht einigen konnten, die Feiern im privaten Rahmen zu beschrän- ken, ist allerdings schon sehr ärgerlich. Gerade diese Feierlichkeiten haben wesentlich zur zweiten Welle beigetragen. Und deshalb ist es wirklich ätzend, dass wir uns solida- risch zeigen und auch dort einschränken, wo Hygieneregeln eingehalten werden, und
3 einige Länder schränken die wahren Ansteckungsherde nicht ein. Ich erwarte von allen Bundesländern, dass sie auch an dieser Stelle klare Vorgaben machen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
manche Virolog*innen und andere Berufene fordern, die Strategie zur Bekämpfung des Virus‘ zu ändern. Weg von Begriffen wie „containment“ und „flatten the curve“, hin zur Strategie der „protection“. Heißt also de facto: weniger Beschränkungen für diejenigen, bei denen die Krankheitsverläufe zumindest statistisch nicht so schlimm verlaufen. Also für die Jungen und Gesunden. Dafür mehr Kapazitäten – finanziell und auch in Form von Testressourcen – für diejenigen, die geschützt werden müssen, weil sie eine höhere Wahrscheinlichkeit auf schwere Verläufe haben. Klingt effizient. Weniger Einschränkun- gen, weniger Wirtschaftsflaute und vielleicht eine schnellere Durchseuchung und damit ein schnelleres Ende des Dramas. Aber ist es wirklich so einfach?
Was ist mit den Menschen, die sich um die sogenannten vulnerablen Gruppen kümmern? Auch die müssten massiv isoliert werden. Was bedeutet es denn für die Teilhabe von Menschen mit Vorerkrankungen und alte Menschen? Getrennt einkaufen, kein Treffen mit denjenigen, die einen sorglosen Umgang mit dem Virus haben, Isolation und Verein- samung.
Und was ist mit denen, die zwar keine anerkannte Vorerkrankung haben, aber trotzdem Angst haben? Können wir dann denn noch die Aufgaben garantieren, die nötig sind? In der Schule, in der Kita, im Gesundheitswesen, im sonstigen öffentlichen Dienst, aber auch in der Privatwirtschaft? Und woher wollen wir wissen, dass die Jungen und Gesun- den das Virus ohne Spätfolgen überstehen, dass sie überleben? Denn auch dafür gibt es genug traurige Gegenbeispiele.
Ich habe bereits gesagt, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie Risiken und Nebenwirkungen hatten und haben. Und vermutlich werden nicht nur heute, sondern auch zukünftig viele Menschen aufrechnen, was sinnvoll war und was nicht. Aber wie sollen wir vermiedene Tote und Kranke durch den Lockdown aufrechnen gegen die- jenigen, die genau durch diesen krank geworden oder vielleicht auch gestorben sind? Das ist doch absurd.
Es gibt keine einfachen Antworten. Deshalb müssen wir immer wieder bereit sein, Er- kenntnisse zu überprüfen, zu revidieren und neue Entscheidungen zu treffen. Auch dabei hilft die Debatte im Parlament. Und es hilft die öffentliche Debatte: in den Medien, zwi- schen Expert*innen, in den sozialen Netzen, mit der Bevölkerung.
Und es hilft viel Transparenz. Deshalb sollten wir zum Beispiel die Expert*innen, die die Regierung beraten, auch in den Landtag einladen. Damit dem Eindruck, „einige wenige fällen unüberlegte Entscheidungen“ etwas entgegen gestellt wird.
Manche Menschen haben mehr Angst vor den Folgen der Maßnahmen, der Wirtschafts- krise, den psychischen Folgen des Lockdowns, als vor der Krankheit selbst. Und viele Menschen sorgen sich darum, wie lange die Pandemie noch andauern wird, wie viele Wellen des noch geben wird, wann ein unbeschwertes Leben wieder möglich sein wird und ob wir uns an den Gedanken weiterer Epidemien gewöhnen müssen.
Aber es gibt auch viel Hoffnung im Land, durch die Möglichkeit von Tests, durch die Aus- sicht auf einen wirksamen Impfstoff und auch durch das Wissen, dass vergangene Pan- demien auch vorübergegangen sind. Und das zu Zeiten, in denen die Menschen noch
4 nicht über das Wissen und die medizinischen Möglichkeiten verfügt haben, wie wir es im 21. Jahrhundert tun.
Und dann, wenn wir auch diese Pandemie überstanden haben, werden uns auch positive Veränderungen bleiben: Mehr Sensibilität für unfaire Arbeitsbedingungen – ob in der Pflege, bei den Erntehelfer*innen oder in der Fleischindustrie. Mehr Interesse und Aner- kennung von Forschung aus der breiten Bevölkerung. Luftige Arbeitsräume und Schul- räume und die stärkere Beachtung einfacher Hygiene-Verhaltensregeln. Händewaschen und Nießetikette helfen nicht nur gegen CORVID-19. Mehr Digitalisierung und damit mehr Teilhabe von Menschen im Ländlichen Raum. Und die Wertschätzung von Gemeinschaft in Familie, Kultur, Sport oder auch im Gottesdienst.
Ich bin sehr froh darüber, wie gut wir in Schleswig-Holstein die Corona-Krise bisher ge- meistert haben und ich hoffe, dass uns das auch weiterhin gelingt. Zum einen, indem wir möglichst gute Maßnahmen beschließen und zum anderen, indem wir unsere Entschei- dungen transparent und für alle Menschen in Schleswig-Holstein verständlich kommuni- zieren. Denn wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung, um diese Krise zu überste- hen.
Wir sind nicht hilflos. Das ist gut. Wir haben es selbst in der Hand. Vielen Dank.
***



5