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04.03.21
14:23 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zur Aussprache nach der MPK: Komplizierter Perspektivplan: Impfen – testen – öffnen - Sorglosigkeit ist weiterhin fehl am Platz

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 04. März 2021
Dr. Ralf Stegner: Perspektivplan: Impfen – testen – öffnen Sorglosigkeit ist weiterhin fehl am Platz Aussprache nach der MPK (Drs. 19/2828, 19/2835, 19/2838) „Würden wir ein Jahr nach Beginn der Pandemie und nach Monaten des zweiten Lockdowns nur auf die Infektionszahlen blicken, dann wäre das sehr ernüchternd. Es wäre auch schwer zu verstehen, warum wir die bisherigen Einschränkungen nicht verlängern, sondern über Erleichterungen reden. Das gelte übrigens erst recht, wenn der in der letzten Ministerpräsidentenkonferenz festgelegte kritische Inzidenzwert von 35 Infektionen auf 100000 Einwohner heute noch Bestand hätte. Das will ich zu Beginn in aller Deutlichkeit sagen und damit das ganze Dilemma hervorheben. Denn die Infektionen liegen noch immer deutlich über den Spitzenwerten aus der ersten Welle im vergangenen Frühjahr. Und die Zahlen sinken nicht etwa, sondern sie stagnieren und teilweise steigen sie im Schnitt der letzten Tage sogar – wenn zum Glück auch nur moderat. Die Gefahr einer dritten Welle bleibt akut, wie andere Länder gezeigt haben, manche Experten sehen uns bereits mitten in dieser dritten Welle. Und die Todeszahlen mögen durch die Impfungen bei vielen älteren Menschen und insbesondere in den Heimen zum Glück abnehmen. An der Gefährlichkeit des Virus ändert das aber nichts. Wenn sich sehr schnell sehr viele jüngere Menschen anstecken, wird das trotzdem gravierende Folgen für die Belastungssituation in den Krankenhäusern und unsere Gesellschaft insgesamt haben. Ganz abgesehen von den Langzeitauswirkungen einer Krankheit, über die wir noch immer viel zu wenig wissen. Aber nach den langen Monaten des Lockdowns ist eben auch klar, dass neben den Infektionszahlen der Blick auf die gesamte Breite der gesellschaftlichen Auswirkungen gehen muss. Das Robert-Koch-Institut hat mit seinem Perspektivplan und insbesondere der damit verbundenen „Toolbox“ in der vergangenen Woche für verschiedene Lebensbereiche eine transparente Übersicht der Infektionsgefahren, aber auch der Auswirkungen von anhaltenden Einschränkungen veröffentlicht. Und vor dem Hintergrund dieser zusammengefassten wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber auch mit Blick auf mehr Möglichkeiten für Aktivitäten im Freien, die mit dem wärmeren Frühjahr kommen, ist eine maßvolle Anpassung der Beschränkungen vertretbar. Ob die gestrige Vereinbarung erfolgreich ist, wird allerdings entscheidend davon abhängen, ob eine pragmatische Umsetzung gelingt oder – um es polemisch zu formulieren – teutonischer Fundamentalismus obsiegt. Es geht um

1 den Dreiklang: Impfen-Testen-Öffnen. Letzteres hängt ganz stark vom Erfolg der Impfstrategie und der massiven Ausweitung von Tests und Selbsttests ab.
Deutschland startet in eine „neue Phase der Pandemiebekämpfung“, wie die Frau Bundeskanzlerin sagt. Im internationalen Vergleich ist das eher ein Humpeln. Immerhin gibt es jetzt einen Perspektivplan, wie wir das seit Monaten gefordert haben. Er kommt aber ziemlich spät, ist reichlich kompliziert, in Teilen auch widersprüchlich und lässt auch viele Fragen offen. Da auf 100 Besserwisser nur ein Bessermacher kommt und die ganze Besserwisserei ja auch nichts nützt, will ich ausdrücklich sagen, dass wir als SPD-Fraktion bei aller notwendigen oppositionellen Einzelkritik die Einigung von Gestern als Basis betrachten. Und in diesem Rahmen weiterhin Verantwortung übernehmen und immer wieder konkrete Verbesserungsvorschläge machen. Ich sage aber ausdrücklich, Herr Ministerpräsident, an Sie und Ihre Regierung und an die Koalitionsfraktionen gewandt - auch im Lichte der letzten Parlamentstagung: Das kann keine Einbahnstraße sein! Und natürlich gilt: Wir messen Sie, Herr Ministerpräsident und Ihre Regierung an der politischen, administrativen und kommunikativen Umsetzung dessen was Sie angekündigt haben. Aber auch bei diesem Perspektivplan muss uns allen klar sein: Das darf nicht als Signal für die große Sorglosigkeit missverstanden werden. Der Gesundheitsschutz muss oberste Priorität behalten. Und wir wollen auch keinen Zickzack-Kurs zwischen Verschärfungen und Lockerungen, weil diese für die Planungssicherheit der Menschen gravierende Folgen haben. Mir haben viele Einzelhändler gesagt, dass sie lieber ein bisschen länger warten als noch einmal im Zickzack-Kurs auf- und wieder zumachen zu müssen, weil sie das kein weiteres Mal überstehen würden. Bei allem was die Landesregierung ankündigt sollten Sie immer daran denken, dass Sie es einhalten und umsetzen können. Denn ein hin- und her der Vorgaben ist das was die Betroffenen am Wenigstens brauchen. Wir müssen also schon die Entwicklung der Inzidenzen genau im Blick behalten. Denn die letzten Monate zeigen, dass eine hinausgezögerte Reaktion verheerend ist und letztlich zu deutlich längeren Maßnahmen und erheblich größeren Schäden führt. Darum ist die gestern vereinbarte Notbremse für alle Aufhebungen richtig. Wir haben als SPD-Fraktion immer gesagt, dass ein bundesweit verbindlicher Perspektivplan in zwei Richtungen wirken muss.
Der Stufenplan ist begrüßenswert und notwendig. Dennoch gilt: Unter dem Strich ist das Ergebnis der Bund-Länder-Beratungen erneut nicht zufriedenstellend. Umso mehr Mechanismen, Richtwerte und Regeln für Einzelbereiche vereinbart werden, umso deutlicher wird, dass Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit dieses Gesamtkonzepts nur schwer den erforderlichen Kriterien von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Effektivität gerecht wird. Verstehen Sie mich nicht falsch – anders als der Ministerpräsident glaube ich nicht, dass es Blaupausen gibt und ein bisschen trial and error ist immer dabei. Natürlich lassen sich


2 Begründungen finden, warum Buchläden unter strengen Regeln öffnen dürfen – als Buchliebhaber finde ich das Klasse – die Inhaber anderer kleinerer Geschäfte teilen diese Begeisterung allerdings wahrscheinlich nicht. Denn ein Stück weit bleibt das willkürlich. Und darum halten wir nach wie vor einen Stufenplan für unerlässlich, der Transparenz für möglichst viele schafft, allen Perspektiven aufzeigt und die zunehmend komplizierten Regelungen bündeln kann. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen was wir tun, dann wird es auch keinen Erfolg solcher Stufenpläne geben können. Selbst die Mediziner haben uns in der Anhörung gesagt, dass die Akzeptanz der Bevölkerung das A und O der Pandemiebekämpfung sei. Über alle Regelungen zum Gesundheitsschutz hinaus. Für bestimmte Bereiche wurde jetzt endlich – nach einem Jahr Pandemie – ein Weg beschrieben. Andere Bereiche wie große Teile der Kultur, die Gastronomie oder der Tourismus wurden wieder einmal vertagt. Da wäre nicht zuletzt mit Blick auf die vom Robert-Koch-Institut beigesteuerte Vorlage definitiv mehr möglich gewesen. Damit meine ich nicht zwangsläufig eine frühere Öffnung, aber doch eine klare Perspektive für die, die zunehmend mit Verzweiflung und manchmal mit Wut hier vor dem Landeshaus stehen, sich an uns in den Wahlkreisen wenden oder die Verantwortung „der Politik“ anmahnen. Und es ist niemandem zuzumuten, seitenlange Beschlusstexte zu wälzen, um die Logik der bundesweiten Corona- Regelungen nachzuvollziehen. Das mag für eine Parlamentsdebatte noch funktionieren, an der Lebensrealität der Menschen geht es meilenweit vorbei. Auch das ist ein großes Problem für die notwendige Akzeptanz – zur Kommunikation komme ich gleich noch einmal. Ich glaube übrigens, dass die Akzeptanz für die erforderlichen Maßnahmen zwar zurückgeht, aber insgesamt immer noch erstaunlich groß ist. Man darf da auch Lautstärke nicht mit Quantität gleichsetzen.
Meine Fraktion hat in der vergangenen Sondersitzung beantragt, zumindest eine norddeutsche Lösung für einen verbindlichen Stufenplan auf den Weg zu bringen, wenn schon eine bundesweite Lösung nicht möglich ist. Das hat die Koalition leider weggestimmt und im Ergebnis haben wir zwar jetzt den Umriss eines bundesweiten Stufenplans, aber noch ist nicht klar, was das für die norddeutsche Nachbarschaft konkret bedeutet. Ob Tourismus oder Einzelhandel, Gaststätten oder Hotels, wir kriegen Riesenprobleme besonders in der Metropolregion, wenn bei wichtigen Fragen des täglichen Lebens auf der einen Seite der Straße etwas anderes gilt als auf der anderen. Und sollte es bei unterschiedlichen Inzidenzraten eine Öffnung der Geschäfte auf der einen Seite, aber nicht auf der anderen Seite geben, kann man sich leicht vorstellen, was dieser „Pull-Effekt“ mit den Inzidenzzahlen machen würde. Deshalb bin ich dankbar für jedes Gespräch, das auf norddeutscher Ebene stattfindet, um größtmögliche Gemeinsamkeit zu erreichen. Auch hier beteiligen wir uns als Oppositionsfraktion selbstverständlich an den Bemühungen um Gemeinsamkeit. Aber wir haben mittlerweile März und ich frage mich schon, ob da nicht schon mehr möglich gewesen


3 wäre. Und natürlich wird es auch Unterschiede im Lande geben und da ist es Ihre Verantwortung, Herr Ministerpräsident, die Kreise und kreisfreien Städte nicht alleine zu lassen. Sondern jede Unterstützung zu geben, die notwendig ist um gut durch die Krise zu kommen. Dazu gehören auch die Folgen für umliegende Kreise, wenn es Beschränkungen wie zur Zeit in Flensburg gelten.
Herr Ministerpräsident, meine Fraktion hat große Bauchschmerzen bei Ihren Ankündigungen zum Tourismus. Ja, daran hängen viele Arbeits-plätze und Existenzen in Schleswig-Holstein. Wir sind ein gastfreundliches Land und die monatelangen Schließungen sind eine enorme Belastung. Und mit Testungen, Hygienekonzepten und Dokumentationspflichten wäre ja auch manches vorstellbar. Und ja, die Menschen verdienen eine Perspektive. Aber Sie verdienen auch eine ehrliche Einschätzung. Herr Günther, Sie haben gestern einer Vereinbarung zugestimmt – ohne distanzierende Protokollerklärung -, mit der eindringlich appelliert wird auf alle nicht zwingend notwendigen Reisen im Inland weiterhin zu verzichten. Und in der auch vereinbart wurde, die Homeoffice-Verordnung aus epidemiologischen Gründen bis zum 30. April zu verlängern. Wir alle wissen, wie lange es gedauert hat diese Verpflichtung rein zu bekommen. Wie soll das dazu passen, Schleswig-Holstein am 1. April für den bundesweiten Osterurlaub zu öffnen? Das scheint mir die nächste Bruchlinie für die gesellschaftliche Akzeptanz zu sein, erst recht wenn Schleswig-Holstein - dann entgegen der gemeinsam getragenen Vereinbarung - auf einen Alleingang zusteuern sollte. Und zumindest auf Grundlage der heute vorliegenden Informationen würde meine Fraktion diesen Widerspruch auch nicht mittragen.
Auch wenn Öffnungen in Sicht sind, wird die Situation für viele – vor allem kleine – Unternehmen absehbar kritisch bleiben. Deutschland hat Hilfen auf den Weg gebracht, die im europäischen Vergleich ein enormes Volumen haben. Und trotzdem fallen nach wie vor viele durchs Raster. Darum ist der von Bund und Ländern finanzierte Härtefallfonds so wichtig. Und entscheidend ist jetzt, dass man sich bei der Umsetzung nicht am Tempo orientiert, dass der Bundeswirtschaftsminister vorgelegt hat um nach langen Wochen endlich eine Plattform für Anträge auf den Weg zu bringen. Dafür hat zu Recht niemand Verständnis. In Teilen waren die letzten Wochen wirklich eine Vorlage dafür, wie Kommunikation in einer so besonderen Lage nicht laufen darf. Aus dem monatelang verfolgten 50er-Richtwert wurde bei der letzten MPK der 35er-Wert. Die Begründung dafür waren die Mutationen. Aber schon da war die Kommunikation absolut unprofessionell, wodurch die Änderung bei vielen als Willkür ankam. Und alles andere als hilfreich war, dass sich in den folgenden Tagen gleich mehrere Ministerpräsidenten, die diese Entscheidung doch selber getroffen haben, öffentlich davon distanziert haben. Herr Günther, das gilt leider auch für Sie. Gestern folgte dann die Rolle rückwärts. Aus 35 wird wieder 50, obwohl sich an den Mutationen nichts geändert haben dürfte


4 – im Gegenteil, ihre Verbreitung nimmt offenbar weiter zu. Die Entscheidung mag im Ergebnis mit Blick auf die Stimmung und gesamtgesellschaftliche Folgen richtig sein. Und man kann politisch zu dem Ergebnis kommen, dass dieser rasche Kurswechsel erforderlich war. Aber insgesamt hat dieser Zickzack-Kurs unnötige Zeit gekostet und die Reputation des Corona- Managements der politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern nicht gerade gestärkt – um es sehr freundlich auszudrücken. Wenn man es deutlicher sagen will: Das war politischer Dilettantismus, der in enormem Umfang Glaubwürdigkeit vernichtet hat. Und ich befürchte, gestern Abend wurde die Akzeptanz vieler Menschen verspielt, die bislang mit viel Verständnis und Geduld hinter der Corona-Strategie standen.
Ähnlich unbefriedigend lief die Kommunikation zu den Schnelltests. Das, was der Herr Bundesgesundheitsminister hier abgeliefert hat – manche sagen, auf Intervention der Frau Bundeskanzlerin abliefern musste -, ist völlig indiskutabel. Gestern hat man die massive Ausweitung von Schnell- und Selbsttests zu recht als Grundlage für die Aufhebung von Beschränkungen verein-bart. Aber es ist noch nicht lange her, dass ihr Nutzen auch von einigen hier im Haus vehement bestritten wurde, ich spreche da z.B. Sie an, Frau Bildungsministerin, was die Schulen angeht, als meine Fraktion sie mehrfach beantragt hat. Und da verstehe ich schon, dass einige kaum noch hinterherkommen. Mit Blick auf die Akzeptanz ist auch das gefährlich. Und in dieselbe Kategorie gehört leider auch die Auseinandersetzung um den Stufenplan für Schleswig-Holsteins Schulen, den die Bildungsministerin sogar im Hochglanzdruck verteilt hat. Angekündigt war ein Start mit Wechselunterricht für die Klassen 1-6, tatsächlich begann es mit Präsenzunterricht für die Klassen 1-4. Und auch jetzt herrscht wieder Unverständnis an den Schulen, warum von den Ankündigungen abgewichen wird und im einen Kreis Wechsel-unterricht bleibt, während bei gleicher Inzidenzlage im Nachbarkreis der Präsenzunterricht startet. Stichwort Präsenzunterricht: Wenn die Landesregierung schon ankündigt, dass Lehrerschaft und Schülerinnen und Schüler getestet werden sollen, müssen auch die Kapazitäten vor Ort vorhanden sein. Unsere Schulen sind wirklich engagiert. Aber sie brauchen ein Mindestmaß an Verlässlichkeit. Und das Trommelfeuer von beinahe täglichen Dienstanweisungen und Richtlinien, die oft genug eine eben erst erlassene Regelung wieder kassieren, ist eine echte Belastung. Und entweder sind wir die einzigen, die dazu reihenweise Mails und Anrufe bekommen, oder aber die Koalition hat in dieser Frage eine wirklich bemerkenswerte Geduld mit der Frau Bildungsministerin. Und ich drücke mich heute ausgesprochen freundlich aus. Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner mussten lange warten, haben Sie gesagt, Herr Ministerpräsident. Sie meinten damit die Öffnungsperspektiven und nicht, wie ich zuerst dachte, die Impfungen. Die Impfungen bleiben der zentrale Baustein im Kampf gegen die Pandemie. Sie sind sogar das einzige Mittel auf dem Rückweg zu einem „normaleren Leben“. Das Erreichte ist ein Erfolg und trotzdem wären wir heute alle zusammen sicher gerne


5 bereits weiter. Bei aller Notwendigkeit nach vorne zu blicken, möchte ich schon feststellen, die Fehler bei der unzureichenden Beschaffung von Impfstoffen haben schwere Gesundheitsschäden und Menschenleben gekostet und damit viel vermeidbares Leid in Familien gebracht. Dieses Kapitel wird zu gegebener Zeit politisch aufgearbeitet werden müssen – zumal andere Staaten weitaus besser abgeschnitten haben, auch solche, über die manche sich in der Anfangszeit der Pandemie – was das Krisenmanagement angeht – teilweise mit großem deutschen Selbstbewusstsein geäußert haben. Der neue amerikanische Präsident will bis Ende Mai alle Erwachsenen (ca. 260 Millionen Menschen) durchgeimpft haben. Beim gegenwärtigen Tempo werden wir in Deutschland (ca. 69 Millionen Menschen) dasselbe Ziel erst im Januar 2022 erreichen. Das ist nicht akzeptabel. Immerhin wollen wir bis Ende März eine halbwegs funktionierende Test-Strategie auf die Beine stellen. Bravo! Darauf komme ich gleich noch zurück.
Wir werden in den kommenden Monaten hoffentlich in eine Situation kommen, in der nicht mehr die Knappheit der Impfstoffe, sondern die Impfkapazitäten bestimmen, wie schnell wir impfen können. Zumindest beim AstraZeneca-Impfstoff, dessen Reputation auch ein Kapitel missratener Kommunikation ist, sagt jetzt auch die Regierung, dass wir offensiver auf Rückstellungen für die zweite Dosis verzichten können, um direkt möglichst vielen Menschen mit der ersten Impfung bereits einen relativ guten Schutz bieten zu können. Und damit gleichzeitig die Kapazitäten unserer Impfzentren möglichst effektiv zu nutzen. Das scheint uns der richtige nächste Schritt zu sein. Auch die Zulassung für über 65-Jährige steht bevor. Ich will aber schon erwähnen, dass wir sehr verwundert über den heutigen Bericht in den LN waren. Wenn tatsächlich der Bundesgesundheitsminister bereits Mitte Februar zu einer vorgezogenen Erstimpfung geraten hat und das in Schleswig-Holstein an IT-Problemen gescheitert sein sollte, wundern wir uns sehr, davon aus der Zeitung zu erfahren. Und das wird spätestens im kommenden Sozialausschuss aufgeklärt werden müssen. Jede Impfung rettet Leben! Ebenso ist mit der Zulassung des Impfstoffs von Johnson & Johnson absehbar zu rechnen und all dies erlaubt dann die geplante Verimpfung in den Arztpraxen, mit der erst eine breit angelegte Impfstrategie die notwendige Massenwirksamkeit entfalten kann. Es ist zu früh, auf die Priorisierung bei den Impfungen gänzlich zu verzichten, weil wir natürlich den Schutz der besonders gefährdeten Menschen weiterhin im Blick behalten müssen. Dennoch kann man natürlich die gesellschaftliche Diskussion über Aufwand und Ertrag von Priorisierungsverfahren nicht unterdrücken. Immerhin: Bevor wir Termine ungenutzt lassen, scheint es uns die bessere Lösung zu sein, zumindest die nächste Prioritätengruppe möglichst schnell in die Impfungen einzubeziehen. Und darum war es richtig, dass der Sozialminister genau das heute Vormittag vorgestellt hat. Und Herr Garg, lassen Sie mich die Gelegenheit zu einem weiteren Hinweis nutzen: Wir bekommen nach wie vor viele Beschwerden über die Impfhotlines. Ich kann verstehen, wenn Impfstoff fehlt. Ich kann auch verstehen, wenn es nur


6 eine gewisse Zahl an Impfzentren gibt. Aber warum ausgerechnet die Hotlines wegen fehlender Callcenter-Kapazitäten der Flaschenhals sein sollen und im Land für Frust sorgen, das erschließt sich mir nicht. Und das muss dringend gelöst werden – erst recht, wenn ab kommendem Dienstag auch die Grundschullehrkräfte und das Kita-Personal versuchen an Termine zu kommen. Neben den Impfungen hat auch die Teststrategie eine enorme Bedeutung. Das unterstreicht auch der gestrige Beschluss noch einmal. Es ist schon ein besonderes Armutszeugnis, dass wir ein Jahr nach Beginn der Pandemie immer noch keine vernünftige Teststrategie haben und bis gestern Abend auch hier über Liefermengen, Vertriebswege, Dokumentationen unter Beteiligung der Bundesregierung gerätselt worden ist. Das ist auch im internationalen Vergleich beschämend für eine führende Industrienation – und die für das Wochenende angekündigten günstigen Selbsttests, die von großen Drogerieketten vertrieben werden, können darüber nicht hinwegtäuschen. Und ich spare mir an dieser Stelle jeden Kommentar zu den Reaktionen, die meine Fraktion bekommen hat, als wir anlasslose Tests in größerer Zahl hier in der Vergangenheit gefordert haben. Oder auch zu den Steinen, die man dem Kreis Rendsburg-Eckernförde in den Weg gelegt hat, der seit Wochen an der sehr konkreten Umsetzung einer eigenen Teststrategie arbeitet. Der gestrige Beschluss nimmt nicht zuletzt die Unternehmen für die Tests bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die Verantwortung. Und das ist genau richtig so. Wir hätten es allerdings begrüßt, wenn es nicht bei Appellen geblieben wäre. Bürger werden per Verordnung zu Einschränkungen verpflichtet, die Wirtschaft wird gebeten. Dieses Ungleichgewicht hatten wir schon beim Homeoffice. Und das wird in den nächsten Monaten sicherlich nicht so bleiben können. Denn der Grundsatz muss weiterhin sein: Wer kann, arbeitet von zu Hause aus und wer das nicht kann, muss Anspruch auf bestmöglichen Schutz haben. Auch vor dem Hintergrund bin ich nicht sicher, ob Schleswig-Holsteins Urlaubspläne – bei aller individuell verständlichen Freude - das richtige Signal sind. Hamburg hat übrigens bereits 2 Millionen Schnelltests für seine Schülerinnen und Schüler bestellt. Es ist gut, wenn der Beschluss von gestern jetzt auch bei uns für Tempo sorgt. Meine Fraktion und der SSW haben zur heutigen Sondersitzung einen Antrag vorgelegt, weil wir überzeugt sind, dass an den Schulen dringend nachgesteuert werden muss. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Schülerinnen und Schüler durch die Pandemie auf der Strecke bleiben. Darum braucht es schnell mehr Unterstützung und wir schlagen dafür Konzepte vor, die andere Länder bereits auf den Weg gebracht haben. Wir wollen, dass schnell und unkompliziert Verstärkung an die Schulen kommt. Durch Studierende, Dozentinnen und Dozenten aus der Weiter-bildung, aber auch durch Lehrkräfte im Ruhestand. Denn wir brauchen wirklich jede mögliche Unterstützung. Und wir wollen einen Verfügungsfonds für jede Schule, damit vor Ort schnell auf Missstände reagiert werden kann, bevor sie zu echten Problemen werden. Das gilt für Hygienemaßnahmen genauso wie für technische Ausstattung oder DaZ-Angebote.. Wir


7 finden, dass Bremen mit der Integration der Lernplattform „Sofatutor“ in das auch dort verwendete itslearning einen richtigen Schritt gegangen ist, ebenso wie Mecklenburg- Vorpommern für individuelle Lernlücken eine interessante Lösung gefunden hat, indem pro Schüler 30 Nachhilfestunden übernommen werden. Denn seien wir ehrlich: Ein Teil der Familien kann und wird diese Hilfe ohnehin in Anspruch nehmen, für andere ist sie unbezahlbar. Und wenn wir nicht wollen, dass es nach den Sommerferien einen tiefen Graben in den Klassen gibt, ist das der richtige Weg.
Ich habe in jeder meiner vergangenen Reden auf die beunruhigende Situation unserer Krankenhäuser im Land hingewiesen. Die ersten kommunalen Krankenhäuser benötigen Millionenzuschüsse ihrer Träger, weil sie ausgerechnet wegen der niedrigen Inzidenzen vor Ort durchs Raster fallen. Andere haben große Sorge, wie sie Gehälter bezahlen sollen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb haben wir auf allen Ebenen in Bund und Land versucht mitzuhelfen, dass das Problem gelöst wird. Der Beschluss von gestern muss noch konkretisiert werden, aber immerhin scheint es ein gemeinsamer Erfolg in diesem Haus zu sein, dass unserer Krankenhäuser für 2021 die pandemiebedingten Einnahmeausfälle erstattet bekommen. Das ist gut so und darüber freut sich meine Fraktion, denn unsere Krankenhäuser sind in Stadt und Land für die Daseinsvorsorge zwingend notwendig. Das langsame Wiederanfahren unserer Gesellschaft wird ein Drahtseilakt, bei dem wir zum einen ganz genau im Blick behalten müssen, dass Einschränkungen kein Selbstzweck sind und das Grundrechte nicht gewährt werden, sondern jedem zustehen. Aber bei dem wir eben auch mit aller Vorsicht auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens achten müssen. Und meine Fraktion bleibt dabei: In den Fokus gehören diejenigen, die es besonders schwer haben. Darum darf es bei allen Öffnungen nicht darum gehen, diejenigen zufrieden zu stellen, die den lautesten Protest organisieren. Sondern denen Priorität zu geben, bei denen die Betroffenheit am Größten ist. Wir haben bereits im Herbst darauf hingewiesen, dass man keine Regeln beschließen darf, die man nicht bereit ist durchzusetzen. Beschränkungen, die mit einem Augenzwinkern begleitet werden, taugen nichts. Und dieser Maßstab muss auch bei jeder Verlängerung von Einschränkungen gelten. Darum ist es richtig, dass die Kontaktregeln angepasst werden. Sie waren lebensfremd und wurden auch deshalb von vielen sicher nicht eingehalten. Wer kann schon wollen, dass nicht beide Eltern zu Besuch kommen können oder Kinder ihren Partner nicht mitbringen dürfen. Ich habe vor ein paar Tagen einen klugen Satz gelesen: In der Pandemie lernt man mindestens so viel über Menschen wie über Viren. Das kann ich uneingeschränkt unterschreiben. Es gilt im Schlechten wie im Guten. Da gibt es die einen, die sich vordrängeln beim Impfen, die bei Förderprogrammen betrügen, die versuchen, aus der Not anderer einen Reibach zu machen, die andere mit ihren Luxusproblemen behelligen oder gar als Corona-Leugner bei Massenveranstaltungen die Infektionsrate nach oben treiben. Und dann gibt es die vielen


8 anderen, die sich unermüdlich für andere engagieren, die schuften, damit andere durch die Krise kommen, die sich um die Einsamen kümmern, die bei Nachbarschaftshilfe, als Freiwillige in Impfzentren oder Heimen berührende Beispiele menschlicher Solidarität zeigen. All diesen Menschen sind wir zutiefst dankbar. Sie sorgen dafür, dass wir gute Beispiele haben, an denen wir uns orientieren können. Jeder für sich in der Verantwortung, die wir alle haben. Und ich wiederhole es gerne: Wir haben es gemeinsam in der Hand, wie wir durch die nächsten Wochen kommen. Am besten mit Umsicht, Einsicht und Rücksicht.“



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