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20.04.21
16:30 Uhr
B 90/Grüne

Eka von Kalben zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 1 – Änderung des Infektionsschutzgesetzes und den Pressesprecherin daraus folgenden Auswirkungen auf das Land Claudia Jacob Schleswig-Holstein Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Dazu sagt die Vorsitzende der 24105 Kiel Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Eka von Kalben: Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 141.21 / 20.04.2021


Wie auf Landesebene brauchen wir auch auf Bundesebene eine klare Strategie
Sehr geehrte Damen und Herren,
letzte Woche hatte ich mal wieder eine Veranstaltung zum Thema Corona. Natürlich di- gital. Menschen aus Pinneberg haben Fragen gestellt und ihre Meinung geäußert. Die Menschen sind auf unterschiedlichste Weise betroffen: als Eltern, als Unternehmer*in- nen, als Arbeitnehmer*innen, als Junge, als Alte, als Pflegekräfte, als Erkrankte oder als Angehörige von Corona-Opfern. Es gibt unzählige Beispiele. Sie wissen sicher alle, wo- von ich spreche.
Alle schauen auf die Pandemie aus Ihrer Betroffenheit. Aber es gab eine Frage, die alle hatten, egal aus welcher Perspektive: Was ist eigentlich gerade die Strategie der Politik? Oder anders gefragt: Wo führt uns die Regierung hin?
Und unabhängig davon, wo mir diese Frage bisher gestellt wurde: deutlich wird immer wieder, dass hier nicht wirklich differenziert wird, wer wo die politische Verantwortung hat, wer wo welche Entscheidung trifft: Bund, Land oder Kommune. Der Frust richtet sich an „die Politik“.
Nun soll es ein Bundesgesetz richten, weil sich die Ministerpräsident*innenkonferenz beim letzten Mal selber aus dem Spiel genommen hat und keine einheitliche Lösung fin- den konnte. Die Frage ist nun: Ist das vorgelegte Gesetz die Lösung, um aus der Dauer- pandemie und dem gefühlten Dauerlockdown zu kommen?
Es gibt zwei grundsätzliche Hoffnungen, die mit dem Gesetz verbunden sind:

Seite 1 von 4 Erstens: Das Gesetz setzt ein politisches Zeichen. Schaut hin, Bund und Länder haben die Regeln in ein Gesetz gegossen. Es gibt eine parlamentarische Legitimation. Dadurch nehmen manche Menschen und manch Landesregierung die vereinbarten Regeln viel- leicht ernster und vermeiden Kontakte.
Zweitens: Die Gesetzesregeln führen zu weniger Kontakten und weniger Infektionen. Da bin ich grundsätzlich skeptisch, weil wir in Schleswig-Holstein die meisten der Regeln schon umsetzen und auch noch nicht landesweit bei einem erwünschten Wert unter 50 oder gar 35 gekommen sind.
Die Kontaktbeschränkungen entsprechen in etwa dem, was in Schleswig-Holstein auch ab einer 100er Inzidenz gilt. Das ist gut. Und gut ist es auch, wenn es in Sachsen genauso gilt wie in Bremen oder sonst wo. Eine stärkere Unterscheidung zwischen Draußen und Drinnen, wäre aber das sinnvollere Vorgehen und ist im Gesetz nicht angelegt. Das halte ich für fatal.
Die Ausgangsbeschränkungen stellen eine Verschärfung dar. Bisher wurden sie in Schleswig-Holstein nur im Notfall genutzt. Ob sie wirklich Wirkung zeigen, ist umstritten. Der grundrechtliche Eingriff bei einer Inzidenz von 100 ist aber erheblich, auch wenn es nun wie beim Hamburger Modell Ausnahmen geben soll.
Menschen die Freiheit zu nehmen, ihre Wohnung zu verlassen, kann meines Erachtens nur dann zulässig sein, wenn vorher alle anderen Maßnahmen ergriffen wurden. Gleich- zeitige Lockerungen im Einzelhandel über 100 machen die Argumentation da nicht leich- ter. Theoretisch kann ich um 21:00 Uhr in einem Laden mit Anmeldung und getestet sein, aber nicht auf dem Weg dahin.
Ganz kompliziert wird es nun im Schulbereich. Wir begrüßen die Testpflicht, die wir ja auch in Schleswig-Holstein schon haben. Und vermutlich ist es für manche Länder auch nötig, deutlich zu machen, dass man zum Schutz der Kinder bei einer bestimmten Inzi- denz keinen Präsenzunterricht mehr machen muss, oder dass auch im Unterricht eine Maske hilfreich ist.
Aber dass nun die Zahl 165 statt 200 für Schulschließungen gewählt wurde. Das ist schon eine Witznummer. Es ist so entlarvend wie hier Maßnahmen entwickelt werden und erin- nert leider ein bisschen an einen Basar.
Wir hätten uns in der Arbeitswelt noch klarere Schutzmaßnahmen gewünscht. Gut ist die Pflicht zum Homeoffice, und dass die Arbeitgeber verpflichtend Testungen anbieten müs- sen. Unabhängig davon, dass schon jetzt viele Unternehmen dem Apell folgen und dies freiwillig tun. Noch immer stecken sich zu viele Menschen am Arbeitsplatz an.
Aber die Testungen müssen auch angenommen werden. Und wir finden, dass Arbeitneh- mer*innen auch dazu verpflichtet werden sollten. Denn Testungen ergeben ja nur Sinn, wenn alle mitmachen. Denn der Test schützt nicht die getestete Person, sondern alle anderen. Ein effektiver Arbeitsschutz ist nicht möglich, wenn sich nicht alle testen.
Und wenn es tatsächlich stimmt, dass es an Stimmen aus der SPD und der Gewerkschaf- ten gelegen hat, dass eine solche Pflicht nicht umgesetzt wurde, dann wäre das schon besonders bedauerlich.
Ob also die getroffenen Maßnahmen in Hochinzidenzgebieten greifen werden, bleibt ab- zuwarten. Die Bundesregierung suggeriert, mit dem Gesetz den großen Wurf zu landen.
2 Nun wird hier mal durchgegriffen. Dann sind wir angeblich alle ein paar Wochen zu Hause und der Spuk ist vorbei. Ganz ehrlich? Ich wäre froh, wenn die GroKo Recht behielte. Allein, der Glaube fehlt mir.
Die Länder haben ein Jahr lang Erfahrungen gesammelt. Ja, es war nicht alles einheitlich. Ja, die Zahlen gehen in manchen Ländern durch die Decke. Ja, die Intensivstationen schlagen Alarm. Aber schauen wir uns die Bilanz der Länder an und dagegen die Bilanz des Bundes: zu wenig Impfstoffe, keine oder verspätete Wirtschaftshilfen. Das spricht jetzt nicht dafür, dass ein zentraler Staat es besser macht.
Wir müssen uns in Schleswig-Holstein nicht verstecken. Denn es liegt nicht nur an den natürlichen Lüften zwischen den Meeren, dass bei uns die Zahlen zurzeit weniger dra- matisch sind als im Bund. Zuallererst ist es ein Verdienst der Menschen in Schleswig- Holstein, die sich in großer Mehrheit einfach umsichtig und verantwortlich verhalten. Und wir haben uns an die Verabredungen der Ministerpräsident*innenkonferenz gehalten.
Ja, unsere Corona-Zahlen im Land sind besser als in Deutschland und irgendwie ist es immer wieder schön, auf den Karten einen gelben oder sogar grün eingefärbten Flecken im Norden Deutschlands zu sehen.
Aber lassen Sie es mich klar sagen: Wir haben zwar das Ziel, die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten, aber angesichts der zum Teil dramatisch verlaufenden Krankheits- verläufe muss es auch immer noch unser Ziel sein, so viele Corona-Kranke wie möglich zu vermeiden. Und 72 Corona-Patient*innen auf 100.000 Einwohner sind eben auch noch deutlich zu viele.
Bundeseinheitliche Regelungen sind wichtig, das habe ich hier immer wieder betont. Nicht in dem Sinne, dass überall in Deutschland gleichzeitig gelockert oder verschärft wird, sondern in dem Sinne, dass es bundeseinheitliche Regeln gibt, was wann in wel- chem Bereich bei einer bestimmten Inzidenz unternommen werden muss. Das wäre ge- recht und nachvollziehbar. Und wie wichtig Transparenz für Akzeptanz ist, muss ich hier ja nicht nochmal wiederholen.
Die Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes ist dafür der richtige Weg. Es ist also zu begrüßen, dass der Bund das nun endlich angeht. Leider erst sehr spät. Wenn nicht sogar zu spät. Und leider ist der vorliegende Entwurf auch nicht genug. Die Anpassung des Bundesinfektionsschutzgesetzes wäre die Chance gewesen, um die Zahlen wirklich nach unten zu bringen. Und zwar dauerhaft.
Aber so, wie es jetzt aussieht, handelt es sich um ein Schutzgesetz, das nicht schützt. Zumindest nicht ausreichend. Genauso wie das bei uns auf Landesebene bereits der Fall ist, brauchen wir aber auch auf Bundesebene eine klare Strategie. Und zwar eine wirk- same Strategie. Einen Masterplan und keinen weiteren Notbehelf. Die Menschen müssen nachvollziehen können, was gilt und warum. Im Moment blickt doch wirklich keiner mehr durch.
Es ist unabdingbar, dass das Gesetz so ausgestaltet wird, dass wir die Pandemie zügig bekämpfen können. Denn Hammer and Dance ist zwar eine gute Taktik, aber ein endlo- ses Hin- und Her zwischen Lockdown-Light und hartem Lockdown zehrt an den Nerven und ist kaum noch zu ertragen.
Das Gesetz muss von einer breiten Mehrheit getragen werden. Nicht in allen Punkten, aber vom Grundgedanken. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen daran glauben,
3 dass der Staat die wichtigste Aufgabe wahrnimmt, die er hat: den Schutz der Bevölke- rung. Und gleichzeitig muss klar sein: Der Staat allein kann den Schutz der Bevölkerung nicht sicherstellen, kann die Pandemie nicht besiegen.
Die individuelle Freiheit, die wir in unserem demokratischen Staat zum Glück alle haben, geht mit einer Verantwortung einher: Jeder einzelne Mensch in diesem Land kann mit seinem Verhalten den Verlauf dieser Krise positiv oder negativ beeinflussen.
Ich bin dankbar dafür, dass die überwältigende Mehrheit unserer Mitmenschen sich die- ser Verantwortung bewusst ist und alles in ihrer Macht Stehende tut, damit die Corona- Pandemie in möglichst naher Zukunft Geschichte sein wird. An alle anderen Menschen möchte ich nochmal appellieren: Ja, viele der Maßnahmen sind schwer zu ertragen und gehen mit teils großen Sorgen und Entbehrungen einher. Es gibt vermutlich niemanden, der sich nicht von ganzem Herzen das Leben vor Corona zurückwünscht. Aber die Pan- demie ist da. Und Wünschen allein reicht nicht aus, damit sie verschwindet. Ebenso we- nig wie die Vogel-Strauß-Taktik. Wir bekommen die Lage nur in den Griff, wenn wir ent- sprechend handeln. Jede und jeder Einzelne von uns.
Bei all den Schicksalen, den über 80.000 Menschen, die in dieser Pandemie ihr Leben gelassen haben, und den vielen weiteren Menschen, die Freund*innen und Familienmit- glieder verloren haben, ist es auch ein Zeitpunkt, den Menschen zu danken. Den Men- schen, die die AHA-Regeln einhalten, sich testen lassen und einfach Geduld beweisen. Diesen Vielen gilt mein Respekt und Dank.
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