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29.08.19
10:22 Uhr
SPD

Tobias von Pein zu TOP 21: Die Gefahr ist real

Es gilt das gesprochene Wort!


Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

Kiel, 29. August 2019



Top 21: Besserer Schutz von Demokrat*innen gegen rechtsextreme Bedrohungen (Drs. 19/1605)


Tobias von Pein:


Die Gefahr ist real „Kennen sie Carlos Fernando? Oder Dieter Manzke? Nein? Aber sicher doch Mehmet Turgut? Amadeu Antonio? Dies sind die Namen einiger Mordopfer rechtsextremer Gewalt. Sie stehen stellvertretend für die mindestens 196 Todesopfer rechtsextremer Gewalt, die die Amadeu- Antonio-Stiftung – benannt nach einem der Opfer – allein seit der Wiedervereinigung gezählt hat, bei einer hohen Dunkelziffer. Die meisten dieser Menschen wurden Opfer von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, Verachtung von Obdachlosen und anderen. Andere wurden zu sogenannten „Kollateralschäden“, etwa die Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 vom NSU ermordet wurde. Was ich sagen will: Die Gefahr ist real, auch wenn man selbst vielleicht nicht ins klassische „Beuteschema“ der Rechten passt. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist nur das jüngste und prominenteste Beispiel, dass im Juni in die kollektive Aufmerksamkeit der Bundesrepublik eingehämmert wurde. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass wir die Drohungen in der Anonymität des Internets ernstnehmen müssen!
Es gibt direkte und indirekte Bedrohungen von Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit engagieren. Viele von uns hier im Saal werden schon ihre Erfahrungen mit anonymen Briefen und Telefonanrufen gemacht haben. Das Ziel ist immer dasselbe: den Betroffenen soll Angst gemacht werden. Sie sollen davon abgehalten werden, 2



ihrer zivilgesellschaftlichen Arbeit nachzugehen. Mord und die Drohung mit seiner Umsetzung ist die perfideste Form der „politischen Kommunikation“, die wir kennen. Aber das ist es, womit wir es zu tun haben: mit organisierten Rechtsextremisten, die vor nichts mehr zurückschrecken. Und das Internet hat wie so vieles auch ihre Organisation erleichtert. Sie vernetzen sich und aus der Anonymität des Internets heraus ist es umso leichter, unentdeckt zu bleiben. Das gilt für die Reichsbürger, die hier im Hause bereits Thema waren, sowie für die sogenannten „Prepper.“ Das gilt aber natürlich ebenso für ihre bürgerlich anmutenden Wegbereiter einer bestimmten rechtspopulistischen Partei. Deren Flanke nach ganz rechts steht weit offen, wenn etwa die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende sich als widerständig sieht, für die Interessen von Volk und Vaterland engagiert und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze für mehr als enttäuschend hält, dann ist ihr Engagement für einen Verein, in dem verurteilte Holocaust- Leugner Mitglieder sind, vielleicht doch kein Zufall. Die Neonazis in den Straßen von Chemnitz, die dort im vergangenen September regelrechte Hetzjagden betrieben, bezeichnete sie folgerichtig als „tausende deutsche Patrioten.“
Die Ermittlungen zu rechten Terrornetzwerken wie dem „Nordkreuz“ haben gezeigt, dass „Prepper“ auch innerhalb der Sicherheitsbehörden aktiv sind und sich ganz konkret auf Bürgerkriegsszenarien vorbereiten. Dazu gehören neben dem Diebstahl von Waffen und Munition sowie der Bestellung von Löschkalk und Leichensäcken auch die Sammlung von Namen und Daten von Menschen, die für Demokratie und Menschenwürde eintreten, in diesem Fall 25.000 „flüchtlingsfreundlichen“ Politiker*innen, Künstler*innen, linken Aktivist*innen, Punks und anderen. In der Öffentlichkeit wurde dies als Todesliste bekannt. Auch Walter Lübcke stand auf einer solchen Todesliste.
Der Umgang mit diesen Daten ist schwierig und es gibt keinen „Königsweg“. Was jedoch grundfalsch ist, ist die Angelegenheit zu verharmlosen, wie Mecklenburg-Vorpommern Innenminister Caffier es tat. Das lässt die Bürgerinnen und Bürger nämlich erst recht das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und letztlich den Staat insgesamt verlieren. Eine pauschale Veröffentlichung kommt auch nicht in Frage. Wenn auch die erste Reaktion der Sicherheitsbehörden war, die Information für sich zu behalten, weil die in diesen Listen Geführten aktuell nicht gefährdet seien. Das könnte sich noch bitter rächen. Hoffentlich nicht. Aber wir wollen nicht hoffen und wir wollen uns auch nicht daran gewöhnen, von Rechten bedroht zu werden!
Nach öffentlicher Kritik hat das LKA Hamburg inzwischen eine Hotline eingerichtet. Andere Länder, nämlich Bayern, Thüringen und Hessen, haben alle betroffenen Personen per Post informiert. Wenn es bei diesen Maßnahmen bliebe und man sie damit alleinließe, fände ich das 3



auch schwierig, weil es die Betroffenen natürlich zutiefst verstört, wie sie mit dieser Information umgehen sollen. Die allermeisten Menschen werden es sich nicht leisten können, eine Handvoll Bodyguards einzustellen, die sie rund um die Uhr bewachen. Wir wissen aber auch, dass die Opfer von solchen Drohungen nicht proaktiv nach Angeboten wie einer Hotline suchen. Wir müssen auf sie zugehen, die Polizei muss sich bei Bekanntwerden an sie wenden und gleich klarmachen, was die Optionen sind. Deshalb wollen wir 1. dass Menschen, die auf derartigen Listen verzeichnet sind, darüber informiert werden, 2. muss diese Information mit sachgerechter Beratung verbunden werden. Die Betroffenen müssen 3. eine schnell und problemlos erreichbare Anlaufstelle genannt bekommen, an die sie sich wenden können, um zu erfahren, wie sie mit dieser Information umgehen und welche Gegenmaßnahmen, bis hin zum Polizeischutz, ihnen zur Verfügung stehen. Diese Möglichkeiten der Beratung und des Schutzes müssen auch denjenigen offenstehen, die sich aktuell nicht auf einer der den Behörden bekannt gewordenen Listen befinden, die aber Grund zu der Annahme haben, sie könnten auf solchen „Feindeslisten“ geführt werden.
Lassen Sie uns die Fehler, die bei der Aufarbeitung des NSU begangen wurden, nicht wiederholen. Lassen Sie uns die Gefahr, die von rechtem Terror ausgeht, endlich ernstnehmen. Und lassen Sie uns am fragilsten Ende der Kette beginnen: bei den Opfern. Ich gehe davon aus, dass das Innenministerium sich gerade in dieser Frage intensiv mit den Innenministerien der anderen Länder und des Bundes austauscht, um in der Perspektive ein bundesweit einheitliches Verfahren zu finden.
Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.“