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25.09.20
11:39 Uhr
SSW

Lars Harms: Zugewanderte sind eine Bereicherung für Wirtschaft und Gesellschaft

Presseinformation
Kiel, den 25.09.2020
Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 10 Die fiskalischen Lasten der Zuwanderung
Drs. 19/2126

Lars Harms: „Den wenigen Ausgaben in den Anfangsjahren, die die AfD abgefragt hat,
stehen immense Steuerzahlungen und ökonomische Gewinne in der Zukunft entgegen. Als
ordentlicher Kaufmann sagt man dann: Das war eine gute Investition!“


Was, meine Herren, wollen Sie mit dieser Anfrage suggerieren? Dass Geflüchtete den Staat Geld
kosten? Na, herzlichen Glückwunsch. Kinder kosten den Staat Geld. Straßen kosten den Staat Geld.
Polizei, Bundeswehr und Lehrkräfte kosten den Staat Geld. So ist das nun mal.
Die große Frage, die sich an diese Großen Anfrage unweigerlich anschließt, ist doch: Ist es das
wert?


Es ist eben so: man bekommt immer auch ein bisschen die Antworten, nach denen man fragt.
67 Seiten Abfrage über den fiskalischen Nutzen der Zuwanderung gäben ein anderes Bild ab, als
die vorliegen 67 Seiten über die sogenannten fiskalischen Lasten.
Und das ist es auch, was das Auseinandersetzen mit ihrer Fragestellung so anstrengend macht. Ihr
Blick auf das Thema Migration und Flucht ist uns ja klar, da habe ich auch mit keiner großen
Überraschung in Ihren Fragen gerechnet. Aber die Art und Weise, wie Sie Fragen stellen ist einfach 2

ermüdend. Zu oft müssen Sie korrigiert werden, zu oft müssen Ihre gruseligen Suggestivfragen
geradegerückt werden. Sie sprechen von einem „Großteil Wirtschaftsflüchtlinge“ und müssen
korrigiert werden, dass die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen vielfältig sind. Dass es
Krieg und Terror ist, der Menschen dazu bringt, in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen. „Krieg,
Vertreibung, Verfolgung, Hunger und Armut“, so steht es in der Antwort auf Ihre Frage. Auf Seite
4 wird die Landesregierung noch deutlicher. „Die Vorbemerkung der Fragensteller enthält Thesen,
die die tatsächlichen Entwicklungen verzerrt und zum Teil unrichtig [wiedergibt].“ Schämen würde
ich mich, an Ihrer Stelle, meine Herren.
Oder, da steigt etwas später die Frustration der Landesregierung verständlicherweise schon fast
ins Unermessliche, als die AfD die Behauptung aufstellt, die finanziellen Gesamtlasten der
Zuwanderungspolitik seien der Öffentlichkeit bisher nicht genannt worden. Die Landesregierung
kommt dann nicht umhin, zu erklären, wie sie in Kleinen Anfragen schon mehrfach versucht hat,
der AfD begreiflich zu machen, dass bei einer Vielzahl von Titeln im Landeshaushalt Maßnahmen
veranschlagt sein können, die nicht ausschließlich Flüchtlingsbezug haben. Da steckt also keine
Absicht dahinter, kein Vertuschen oder Verheimlichen. Eine Aufschlüsselung des Landeshaushaltes
in dieser Form ist schlicht nicht möglich.
Für mich ist durch ihre Anfrage wieder einmal, wie so oft, deutlich geworden, wie anders Sie auf
die Welt blicken als ich. Besonders auch durch die nicht öffentliche Anlage 2, in der Sie akribisch
aufgeschlüsselt haben wollen, wie sich die ausländische Bevölkerung Schleswig-Holsteins
insgesamt zusammensetzt. Zighunderte, ach, tausende Seiten haben wir nun digital vorliegen, die
man für wirklich gar nichts benutzen kann, außer man möchte in einem „Wir“ und in einem „die
Anderen“ festhängen. Und da bleibt natürlich die Frage, wie konstruieren sich diese
Zuschreibungen.
Die mit Abstand größte Gruppe Ausländer im Grenzgebiet sind – wer hätte das gedacht – dänische
Staatsbürger. Wenn Sie jetzt auch daran etwas auszusetzen haben, wäre ich zumindest dankbar
für einen kleinen Hinweis. 3

Wissen Sie, wenn wir auf die makroökonomischen Effekte von Zuwanderung schauen, dann geht
die Diskussion mal ein bisschen in die eine, mal ein bisschen in die andere Richtung. Aber die
Tendenz, dass sich Migration auf unsere Wirtschaft eher positiv auswirkt, ist doch mittlerweile
wirklich unumstritten.
Deutschland ist, das stellt die Landesregierung in ihren Antworten ganz richtig fest, ein
Einwanderungsland. Einwanderung nach Deutschland bedeutet für uns einen Wohlstandsgewinn.
Der Ausgang dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, wie gut oder schlecht einer Gesellschaft
Integration gelingt. Es ist von allergrößter Wichtigkeit, dass Geflüchtete so schnell es geht aus den
Sammelunterkünften rauskommen und in eigene Wohnungen ziehen können, deutsch lernen, sich
Arbeit suchen, ein soziales Umfeld aufbauen können. Es ist daher zwingend erforderlich, dass auch
Landesregierungen zusätzliche Mittel bereitstellen für Kitas und Schulen, für Sprachkurse, für
Dolmetscherkosten, für pädagogische Kräfte oder gegebenenfalls psychologische Betreuung.
Und trotzdem kommt die AfD zuverlässig zu den Haushaltberatungen angewackelt und möchte
die Kosten für Integration streichen. Dieser Logikfehler schreit doch zum Himmel!


Auffallend ist ja auch, dass die AfD in ihren Fragen munter zwischen den Kategorien Flüchtling,
Migrant und generell irgendwie Ausländer hin und her hüpft. Aber zumindest die Zahlen für die
Arbeitsmarktintegration Geflüchteter hätten sie doch vorliegen gehabt. Es ist
überraschenderweise doch schon ein Jahr her, dass wir uns hier im Plenum über den Bericht zur
Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen in Schleswig-Holstein ausgetauscht haben.
Ich fand damals schon, dass das erfreuliche Zahlen waren. Ein Anstieg der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den 8 wichtigsten Asylherkunftsländern um 49,9%
Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch bei den geringfügig Beschäftigten ein Anstieg um 14,4%.
Knapp 4000 Geflüchtete waren zum damaligen Zeitpunkt in Integrationskursen, 1.769 explizit in
Kursen berufsbezogener Sprachförderung. Und auch dieses Jahr lässt sich schon schlussfolgern,
dass uns die Integration auf dem Arbeitsmarkt gut gelingt. So jedenfalls sieht es das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung. In den drei Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland haben nun
schon 43 Prozent der Geflüchteten eine Beschäftigung gefunden. 4

Fünf Jahre nach Ankunft ist es schon fast jeder Zweite laut einer Studie des Instituts für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Und wissen Sie woran das liegt? An der stärkeren Investition
in Integrations- und Sprachkurse.


Unsere Sicht als Minderheitenpartei ist da ganz eindeutig. Wir leben alle mit mehreren Sprachen
und kulturellen Einflüssen. Wie es übrigens, das vergessen einige ja, historisch gesehen auch
üblich ist. Mehrsprachigkeit ist der Normalfall. Einsprachigkeit ist ein Mythos, diese Vorstellung
haben wir noch dem Nachwirken der Nationalromantik und der Nationalbewegungen in Europa
im 18. bis 19. Jahrhundert zu verdanken. Die gesellschaftliche und in einigen Fällen auch
individuelle Mehrsprachigkeit wird durch Migration wieder einen Aufschwung erleben.
Was ist das alleine für unsere Sprachenkompetenz für ein Zugewinn.


Und es ist doch nicht schwer, sich vorzustellen, was das auch für einen Mehrwert für unsere
Unternehmen bedeutet. Diese Menschen sind alle mehrsprachig und können perfekt
Vermittlungsfunktionen in internationalen Geschäftsbeziehungen übernehmen. Sie bringen
außerdem nicht nur Wissen über die Sprachen ihrer Herkunftsländer mit, sondern auch über
Kultur, Bedarfe und Innovationen.
Sicherlich gibt es immer noch einiges zu tun, ich denke da jetzt beispielsweise an die Anerkennung
ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse oder auch die stärkere Einbindung geflüchteter
Frauen. Aber ich habe keinerlei Zweifel daran, dass wir gesellschaftlich und wirtschaftlich sehr von
den Menschen profitieren, die nach Deutschland gekommen sind.


Und trotzdem hinterlassen diese Debatten für mich immer auch einen faden Beigeschmack. Denn
sie vermitteln einen irgendwie nüchternen, weil ökonomischen abwägenden Blick auf die Frage:
Wem nützt Migration? Wem nützt die Gewährleistung eines Freiheitsrechtes?
Aber jetzt kommen wir ja nicht umhin, uns einmal auf den Gedanken einzulassen. Immerhin, 2018
habe ich von einer Studie gelesen, in der der Verteilungsforscher Panu Poutvaara vom IFO-Institut
in München Daten über die Arbeitsmärkte von 20 Industrieländern analysiert hat. Er kommt zu 5

dem Ergebnis, dass in 19 von 20 Ländern die Einwanderung dazu führt, dass es der einheimischen
Bevölkerung wirtschaftlich besser geht. Die wirtschaftlichen Gewinne waren sichtlich größer als
die Kosten, die entstanden waren.
Der große Zugewinn, den unser Land tatsächlich von allen Menschen hat, die aus
unterschiedlichen Gründen hierher kommen, lässt sich eigentlich kaum beziffern. Den wenigen
Ausgaben in den Anfangsjahren, die die AfD abgefragt hat, stehen immense Steuerzahlungen und
ökonomische Gewinne in der Zukunft entgegen. Als ordentlicher Kaufmann sagt man dann: Das
war eine gute Investition!


Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/