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19.05.21
12:01 Uhr
SPD

Dr. Ralf Stegner zu TOP 20,27,29,30,32,38,43+47: Mit Vorsicht und Rücksicht Richtung Alltag!

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 19. Mai 2021
Dr. Ralf Stegner: Mit Vorsicht und Rücksicht Richtung Alltag! TOP 20,27,29,30,32,38,43+47: Finanzierung der Folgekosten der Pandemie - Notkredit bedarfsgerecht einsetzen und Anträge zur Corona-Pandemie (Drs. 19/2942, 19/2957, 19/2960, 19/2963(neu), 19/2964(neu), 19/2966, 19/2984, 19/2990, 19/2882, 19/2930) „Gefühlt sind viele mit Corona durch. Aber in der Realität ist die Corona-Pandemie leider nicht vorbei. Jeden Tag infizieren sich Menschen, erkranken teils schwer, sterben vielleicht sogar – immer noch ca. 200 Menschen täglich in Deutschland. Und nicht nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Intensivstationen sind trotz aller gegenteiligen Behauptungen nach wie vor in vielen Teilen des Landes am Limit. Das möchte ich zu Beginn noch einmal deutlich sagen. Denn das ging in den vergangenen Tagen zuweilen unter. Und vor uns liegen Wochen, in denen unserer Gesellschaft ein Spagat gelingen muss. Wir alle wünschen uns mehr Normalität. Absehbar wird das auch möglich sein. Wir freuen uns auf den ersten Besuch im Restaurant, das lange vermisste Treffen mit Freunden. Oder auf Kultur, von der wir hoffen, dass sie im Sommer an vielen Stellen wieder möglich sein wird. Und ich wundere mich, wenn es immer wieder heißt, dass die Menschen in unserem Land sich all das – also auch die gewohnten Freiheiten und Grundrechte - nun verdient hätten. Glücklicherweise leben wir nicht in einem Staat, der Wohlverhalten mit vermeintlichen Wohltaten belohnt. In dieser Form sollten wir die Rückkehr zur Normalität nicht verklären. Was nicht bedeutet, dass ich das Gefühl dahinter nach den langen Monaten des Dauer-Lockdown nicht gut nachvollziehen könnte. Aber trotz aller Hoffnungen gilt: Bis wir mit der Immunisierung unserer Bevölkerung noch ein großes Stück weitergekommen sind, bleibt Vorsicht unverzichtbar. Einige der Corona-Regeln werden wir noch viele Monate weiterhin beachten müssen. Nicht zuletzt zum Schutz derer, die solidarisch auf ihre Impfung warten. Oder die noch nicht geimpft werden können.
Die Impfungen bleiben unser bester Weg aus dieser Pandemie. Sie sind – möglicherweise incl. nötiger Auffrischungen - der Schlüssel, um die Infektionszahlen dauerhaft in den Griff zu bekommen und aus dem unheilvollen ständigen Kreislauf von Verschärfungen und Lockerungen auszubrechen. Darum ist Impfneid vollkommen fehl am Platz – im Gegenteil, wir sollten uns gemeinsam über jede Impfung freuen. Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Und diese Botschaft wird in den kommenden Wochen und

1 Monaten noch wichtiger werden. Wir sehen am Beispiel der USA, dass trotz unbestreitbarer Impferfolge die nächste Phase der Impfungen nicht leichter wird. Viele Impfzentren dort stehen praktisch still, Städte und Bundesstaaten überlegen sich Anreize, um Menschen von der Impfung zu überzeugen. Daraus sollten wir lernen. Und zwar indem wir alles vermeiden, was unnötigen Frust schafft. Die Menschen verstehen, dass nicht jeder sofort geimpft werden kann. Aber die Menschen verstehen nicht, dass sie Woche für Woche wieder Stunden vor dem PC verbringen sollen, um mit anderen digital um die knappen Termine zu ringen. Das ist frustrierend! Es kann nicht sein, dass derjenige am schnellsten zur Impfung kommt, der die meisten elektronischen Geräte hat, um sich viele Plätze in der digitalen Warteschleife zu sichern. Und es kann doch auch nicht ernst gemeint sein, dass vom Sozialministerium auf die lautstarke und berechtigte Kritik mit Tipps zum privaten Modus im heimischen Browser reagiert wird. Und für einige ist die Warteliste beim eigenen Hausarzt eine viel-versprechende Alternative. Aber auch nur dann, wenn nicht viele Hundert Menschen vor einem stehen oder – und das kommt häufiger vor als man denken sollte – es gar keinen Hausarzt gibt. Wie der Kollege Heinemann es so anschaulich ausgedrückt hat, Hausarzt in Düsternbrook heißt 1 Arzt pro Haus, in Gaarden oder anderen Stadtvierteln in Schleswig-Holstein sieht das ganz anders aus.
Das alles hätte man besser organisieren müssen. Und – lieber Herr Minister Garg - es ist richtig, dass die Landesregierung sich endlich bewegt – zumindest ein bisschen. Aber mir fehlt jedes Verständnis, dass man dafür Wochen benötigt hat. Schleswig-Holstein macht in dieser Pandemie sicherlich vieles richtig. Manches auch besser als andere Bundesländer. Und für die vergeigte Impfstoffbeschaffung sind wirklich andere verantwortlich. Wir wissen alle, wie stolz Sie von der Jamaika-Koalition auf Ihre Glückspielpolitik sind – aber vielleicht hätten Sie bei der Impfterminvergabe doch ein anderes Prinzip wählen sollen. Ihr Impfterminmanagement ist und bleibt ein Trauerspiel und dafür trägt niemand anderes Verantwortung als diese Landesregierung selbst. Hinterher sind alle schlauer – aber wir haben Ihnen das eben auch schon seit Monaten gesagt. Sie wollten es nur nicht hören. Es ist richtig, dass die Priorisierung bei den Haus- und Fachärzten ab dem 7. Juni wegfällt, weil das dem klaren Signal vieler Hausärzte entspricht – die ihre Patienten am besten kennen - und widerspiegelt, dass mit konstanteren Lieferungen zu rechnen ist. Aber umso wichtiger ist ein System, das die Menschen nicht zwingt, zu Egoisten zu werden, um an die Impfung zu kommen. Wenn die Landes-regierung sich endlich auf diesen Weg begibt und in zwei Wochen dann zumindest die Registrierung für Termine bei Impfzentren zulässt, unterstützen wir das gerne, auch wenn diese Erkenntnis reichlich spät kommt. Und das gilt, obwohl Sie sich ja angewöhnt haben, unserer zu erwartenden Kritik immer einen Tag vorher auf Pressekonferenzen den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.



2 Tempo ist jetzt das wichtigste. Und dafür braucht es alle: Haus- und Betriebsärzte, Impfzentren und auch die von meiner Fraktion geforderten mobilen Impfteams. Denn uns allen ist doch klar: wichtig ist es dort zu impfen, wo es besonders nötig ist, nicht dort, wo die Arzt- Quote besonders hoch ist. Frei nach Galileo Galilei „Und sie bewegt sich doch.“ Diese Landesregierung – und das ist auch gut so. Ich weiß, wie schwer das mit der deutschen Mentalität zuweilen in Einklang zu bringen ist. Aber Geschwindigkeit ist jetzt wirklich wichtiger als unsere heißgeliebte Bürokratie. Der Aufwand bei der Priorisierung war ja erheblich, gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern. Das sage ich ganz bewusst, weil uns auch andere Beispiele erreichen. Da gibt es etwa eine Schule, die in Eigeninitiative Impftermine organisiert. Ein Vorgang, über den wir alle uns alle freuen sollten, denn auch an den Schulen sind die Impfungen der Weg zur Normalität. Aber zumindest im Bildungsministerium scheint man die Freude nur sehr begrenzt zu teilen – vielleicht, weil offensichtlich wird, dass man sich selber nicht ausreichend gekümmert hat. Leider gibt es anstelle von Unterstützung ein hoheitliches Schreiben aus Kiel. Man habe bei der Planung solcher Aktionen darauf zu achten, den Schulbetrieb nicht über Gebühr zu beeinträchtigen. Na prima. Zuweilen, sehr geehrte Frau Bildungsministerin, muss man sich schon fragen, wer hier in Schleswig-Holstein den Schulbetrieb wirklich stört. Vielleicht sorgen Sie ja wenigstens über die KMK dafür, d ass – wenn es nun Impfstoffe für Kinder und Jugendliche gibt – die Kinder zuerst rankommen, die wieder zuerst in die Schule müssen und nicht erst die, die in Bayern Anfang August in die Ferien fahren wollen.
Auch nach 15 Monaten Corona gilt für uns: Wir kritisieren die Regierung dort, wo es nötig ist. Aber wir stehen auch in der Opposition zu unserer Verantwortung für Schleswig -Holstein. Das ist einer von so vielen Punkten, in dem wir uns von denen rechts außen unterscheiden, die sich lieber an Inzidenzwerten und Masken abarbeiten, wie wir heute wieder einmal erleben werden. Und weil wir zu unserer Verantwortung stehen, tragen wir auch die Umschichtungen beim Notkredit mit. Das Land muss jetzt handlungsfähig bleiben, um die Folgen der Pandemie so gut wie möglich zu bewältigen. Aber wir haben auch klar gemacht, dass unsere Zustimmung an eine Bedingung geknüpft ist: Wir wollen, dass die Unterstützung bei denen ankommt, die sie besonders dringend brauchen, nicht zuletzt die wirklich gebeutelten Familien. Und die Unterstützung des milliardenschweren Corona-Aufholprogramms ist ein großer Erfolg unserer Bundesminister. Schade, dass man dafür in Berlin mit der eigentlich zuständigen CDU- Bildungsministerin so lange ringen musste. Aber aus gegebenem Anlass will ich für meine Fraktion schon noch einmal klarstellen: Das Bundespaket soll dafür sorgen, dass durch Corona niemand auf der Strecke bleibt. Geradezu absurd wäre es, mit diesem Geld jetzt originäre Aufgaben des Landes finanzieren zu wollen – darauf werden wir sehr genau achten!



3 Es geht mit Blick auf die Familien aber nicht nur um die Bewältigung der Corona-Folgen, sondern auch um konkrete Entlastung. Das Land hat über viele Wochen den Appell an die Eltern gerichtet, ihre Kinder wann immer möglich zu Hause zu betreuen. Viele Familien sind dem nachgekommen und haben damit ihren Teil zur Pandemie-Bekämpfung geleistet. Obwohl das oftmals mit zeitgleichem Homeoffice, der Betreuung von Geschwisterkindern oder in kleineren Wohnungen eine enorme Belastung war. Es kann nicht sein, dass wir diese Eltern als Dank mit dem vollen Kita-Beitrag allein im Regen stehen lassen. Da muss eine Lösung möglich sein. Und auch dafür hat meine Fraktion heute einen Antrag gestellt. Und ich will gar nicht zu grundsätzlich werden. Aber es zeigt sich einmal mehr: Ohne Kita-Gebühren hätten wir dieses Problem nicht. Bildung muss kostenfrei sein, von der Kita bis zum Studium! Alle anderen norddeutschen Länder sind auf diesem Weg – da regieren ja auch Sozialdemokraten. Das wird sich in Schleswig-Holstein offenkundig erst ändern, wenn wir wieder die Regierung führen. Wir werden genau im Blick behalten, wie Sie mit dieser Forderung umgehen. Denn zur heutigen Debatte gehört auch unser Antrag aus dem März, bei dem es um die Abmilderung der Lockdown-Folgen ging. Wir hatten unter anderem eine Neustart-Prämie für die Zeit nach der Kurzarbeit gefordert. Mecklenburg-Vorpommern macht das bereits. Das wäre in erster Linie eine echte Unterstützung für Beschäftigte gewesen. Weil es geholfen hätte, einen Teil der Lücke zu schließen, die bei vielen Familien durch die Kurzarbeit entstanden ist. Dass Schwarz- Grün daran wenig Interesse hat, wissen wir. Die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern laufen bei Ihnen nicht erst seit Corona unter ferner liefen. Aber es ging eben auch um eine Unterstützung der Unternehmen, die besonders von Kurzarbeit betroffen waren. Die haben jetzt alle Hände voll zu tun, die Fachkräfte zu halten, die sie so dringend brauchen. Auf den Corona-Lockdown darf nicht der Fachkräfte-Lockdown folgen. Aber auch das hat sie offenbar nicht weiter interessiert, als sie unseren Antrag im Wirtschaftsausschuss ohne eigene Alternative beerdigt haben – leider kennen wir das ja von Ihnen.
Die Menschen im Grenzland, für die das Leben auf beiden Seiten der Grenze eigentlich so normal ist, waren in den letzten Monaten besonders gefordert. Das betraf Kontakte zur eigenen Familie, für viele aber auch das Pendeln auf die andere Seite der Grenze. Und ich will mich gar nicht zu PR-Terminen auf Autobahnparkplätzen äußern – wenn es Ihnen Freude macht, Herr Ministerpräsident - geschenkt. Aber der Einsatz für gute Nachbarschaft und das Miteinander in der Grenzregion ist natürlich noch sehr viel mehr. Und darum hat meine Fraktion auch dazu einen Antrag gestellt und wir sind dem SSW sehr dankbar für die zusätzlichen Anregungen – da könnte Jamaika ruhig mitmachen.
Die norddeutschen Länder haben im Vergleich zum Süden der Republik auffallend niedrige Inzidenzwerte. Und unter den Nordländern steht Schleswig-Holstein noch mal ein Stück weit besser dar. Das ist eine gute Nachricht. Und es mag ein Stück weit der Geographie geschuldet


4 sein, vielleicht auch der bei uns besonders ausgeprägten zurückhaltenden norddeutschen Art. Ich will aber den Anteil der Politik daran gar nicht klein reden – zumal vieles in gemeinsamer Verantwortung umgesetzt wurde. Trotzdem muss man mit Blick auf die Regierung festhalten: Am konstantesten war Ihre Leistung in der Abteilung Selbstlob und PR. Das stand in bemerkenswertem Kontrast zu den Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger in den Leserbriefspalten unserer Zeitungen. Und neben der wenig glorreichen Terminvergabe waren die Fehltritte immer dort am ärgerlichsten, wo sie ganz offensichtlich passiert sind, weil man auf die schnelle Schlagzeile aus war. Das gilt vor allem mit Blick auf Gastronomie und Tourismus, bei denen mit verfrühten Ankündigungen und falschen Versprechungen viel Vertrauen verspielt wurde. Es gilt auch mit Blick auf Bibliotheken und Museen, bei denen in der aktuellen Verordnung ganz offensichtlich Pannen passiert sind, die zu spürbaren Verschärfungen führen. Pannen, die man nicht etwa einräumt, sondern prompt umdeutet in Begleitmaßnahmen für den Touristen-ansturm – das ist ziemlich unsouverän, Herr Ministerpräsident. Für Tourismus und Gastronomie ist die landesweite Öffnung in dieser Woche eine gute Nachricht nach den langen Schließungen. Und vermutlich wird kaum jemand den fünf Modellprojekten eine Träne nachweinen, die sich zeitgleich selbst abwickeln. Aber auch dieses Hin-und Her war natürlich keine Glanzleistung und Ihre gespielte Überraschung darüber wenig überzeugend.
Die Impfungen bringen den Alltag zurück. Für die einen schneller als für die anderen. Das führt zuweilen zu Missgunst und darum ist es wichtig zu betonen: Niemandem geht etwas verloren, wenn der 80-jährige Nachbar nach vielen einsamen Monaten ein wenig früher ungetestet ins Museum darf. Oder sich das Lieblingslokal über ein paar zusätzliche Gäste freut. Davon profitieren wir doch eigentlich alle – zumindest auf mittlere Sicht.
Ich habe einleitend auf den Spagat hingewiesen, der vor uns liegt. Einige kehren langsam zurück zum weitgehend normalen Leben. Andere können das nicht. Denn viele haben in den letzten Monaten einen lieben Menschen verloren, einige werden es noch. Corona hat viele Opfer gefordert, über 80.000 alleine in Deutschland. Ich bin meiner Kollegin Serpil Midyatli darum sehr dankbar für ihren Vorschlag zu einem Corona-Gedenkort. Und ich denke, dass wir als Landtag gut daran tun, darüber in der kommenden Tagung ausführlich zu sprechen.
Von dem Schriftsteller Karl Immermann stammt der Satz: „Der Alltag ist das elementare Dasein.“ Wie sehnsüchtig wir doch auf diesen Alltag warten, dessen Schönheit noch vor 1 ½ Jahren unseren Blicken entgangen ist. Jetzt heißt die Devise: Mit Vorsicht und Rücksicht in Richtung Alltag!“



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