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24.11.21
10:43 Uhr
SPD

Serpil Midyatli zu TOP 25+26: Paradigmenwechsel rückwärts

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 24. November 2021
Serpil Midyatli: Paradigmenwechsel rückwärts TOP 25+26: Anträge zu Corona-Maßnahmen - Schleswig-Holstein gut durch den Winter bringen (Drs. 19/3406) „Wir stecken in der katastrophalsten Situation seit Pandemiebeginn! Die Warnungen aus epidemiologischer Sicht waren den gesamten Sommer über da, einige sogar bereits im Frühjahr 2021. Ich fürchte, wir müssen uns als Politik insgesamt eingestehen, dass wir dieses Thema im Zuge des Wahlkampfs aus dem öffentlichen Fokus verdrängt haben. Und ja, die Politik als Ganzes hätte die Lehren aus dem vergangenen Pandemiewinter ziehen müssen und bereits im Juli entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten sollen. Nichtsdestotrotz kann ich Sie hier nicht aus der Verantwortung lassen. Über den Sommer verdichteten sich die Anzeichen, dass wir nicht tatenlos bleiben können: Die Impfrate kam nahezu zum Erliegen. Gleichzeitig stiegen die Infektionen zwar in kleinen Zahlen, aber exponentiell an. Spätestens Ende September wurde es nötig zu handeln. Sie standen vor der Entscheidung: Gehen Sie den Weg des geringsten Widerstandes, folgen Sie dem Geiste derer, die von Freedom Days und einem Ende der Pandemie sprechen? Oder nehmen Sie die Lage ernst, ziehen die Lehren aus vergangenen Fehlentscheidungen und hören auf seriöse Prognosen? Die politische Frage vor knapp 10 Wochen lautete: Welchen Sound wollen Sie an die Bevölkerung vermitteln? Sie entschieden sich für easy-going… Wird schon werden… Ein fataler Fehler!
Machen wir es mal konkret. Am 23. September erklärte die Landesregierung an dieser Stelle ohne Not einen Paradigmenwechsel. Der war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Tagen in Kraft. Sie haben wörtlich verkünden lassen: „Wir machen einen großen Schritt in Richtung Normalität.“ Und weiter: „Es kehrt eine spürbare Lebensleichtigkeit zurück.“ Den Weg in die Normalität begründeten Sie mit einem entscheidenden Unterschied gegenüber dem Herbst 2020: Den Impfungen, deren Wirksamkeit von Expertinnen und Experten bescheinigt wurden. 1. Ihr Blick nach Dänemark war zu kurz gegriffen. Dort existiert bis heute ein ganz anderes Impf- Niveau. 2. Sie haben den viel wesentlicheren Unterschied gegenüber 2020 außer Acht gelassen. Mit der Delta-Variante haben wir es mit einem ca. 6-fach ansteckenderen Virus zu tun. Hätten Sie den ExpertInnen mal wirklich zugehört! Dann wüssten Sie, dass wir gegenüber der Infektiosität mit knapp 70 % Impfquote sogar bedeutend schlechter dastehen als noch im

1 letzten Jahr. 3. Szenarien des RKI gingen die ganze Zeit davon aus, dass wir mindestens 85 %, besser 95 % Impfquote benötigen, um der vierten Welle zu begegnen. Das wussten Sie alles bereits im September! Ich habe damals unmissverständlich deutlich gemacht, dass dieser wohlklingende politische Weg einer aus Holz sein wird. Eigentlich wäre bereits Ende September flächendeckendes 2G geboten gewesen. Stattdessen ermöglichten Sie unter 3G- Bedingungen weitreichende Lockerungen. Das Tragen einer Maske und die Einhaltung von Abstandsregeln in kritischen Situationen wurden zum „Gebot“. Die Kontaktnachverfolgung wurde ausgesetzt. Etwaige weitere Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht ernsthaft erwogen. Warum gingen Sie diesen Sonderweg? Sie haben mit ihrem Paradigmenwechsel bewusst die Signale auf Entspannung gestellt. Ausgerechnet die niedrigschwelligen Maßnahmen haben Sie fallengelassen. Die Menschen haben sich in falscher Sicherheit gewogen. Das war im Alltag auch deutlich zu spüren. Der Ernst der Lage wurde verdrängt. Wir alle wissen, dass das Verhalten der Einzelnen der wichtigste Faktor in der Pandemiebekämpfung ist. Fatal! Das RKI beschrieb bereits im Juli die Notwendigkeit, dass nur eine deutliche Verhaltensänderung eine vierte Welle im Herbst halbwegs abwenden kann. Sie haben das Gegenteil bewirkt!
Als Opposition haben wir Sie gewarnt. Hatten wir nicht genau dasselbe schon im letzten Jahr erlebt. War es klug, die Maßnahmen stark zu lockern, um sie später wieder verschärfen zu müssen? Wir glauben das nicht. Am Ende hatte Ihr groß angekündigter Paradigmenwechsel keine zwei Monate bestand. Ähnlich bei der Maskenpflicht in den Schulen. Die wurde von der Landesregierung am 1. November abgeschafft. Auch da haben wir als Opposition gewarnt, dass es zu früh ist. Wir hatten immer darauf gedrängt, das Ende der Herbstferien erstmal abzuwarten. Dann hätte man evaluieren können, mit welchen Auflagen wir sicher durch den Winter kommen. Stattdessen müssen Sie nur vier Wochen später diesen Schritt kassieren und die Pflicht wird wieder eingeführt. Dabei bekräftigte Ministerin Prien noch Ende Oktober und der Ministerpräsident am 11.11. diese Entscheidung. Zuerst feiern Sie sich für Ihre lockere Politik. Und vor zwei Wochen reißen dem Ministerpräsidenten und seinem Gesundheitsminister dann plötzlich die Geduldsfäden. Endlich wurde auch der Landesregierung klar, dass gehandelt werden muss. Wie zu erwarten, mussten Sie eine Woche später bereits weitergehende Maßnahmen verkünden. Die Halbwertszeit Ihrer Politik ist beachtlich kurz! 2 Monate, 4 Wochen, 1 Woche. Immer schneller müssen Sie Ihre Entscheidungen korrigieren. Herr Günther, genau das ist dieser Zick-Zack-Kurs, der die Menschen im Land gehörig nervt und verunsichert! Die traurige Tatsache ist, wir haben es jetzt schon 10 nach 12. Herr Günther lässt jetzt verkünden, dass eine allgemeine Impfpflicht nicht mehr ausgeschlossen werden darf. Die Grünen fordern sogar die Umsetzung zum 01.01. Herr Garg, was sagen Sie eigentlich zu einer



2 allgemeinen Impfpflicht? Von Regierungsseite kommen überhaupt keine Pläne zu einer möglichen Umsetzung. Keine Pläne, keine Konzepte, Keine Idee!
Herr Ministerpräsident, hören Sie auf abzulenken und handeln Sie! Wir sehen überall Schlangen vor den offenen Impfangeboten und Arztpraxen, aber sie schwadronieren von einer allgemeinen Impfpflicht. Regierungshandeln wäre es dafür zu sorgen, dass jeder Impfwillige auch ein Angebot zur Impfung erhält. Ihre neue Verordnung wird dem Ernst der Lage nicht gerecht. 2G alleine wird nicht mehr reichen, um die vierte Welle nachhaltig in den nächsten Wochen zu brechen. Und selbst eine allgemeine Impfpflicht kann nur langfristig helfen. Im Dezember bekommen wir das Infektionsgeschehen dadurch nicht mehr in den Griff. Auf Bundesebene haben wir nun ein neues Regelwerk, das den Ländern mehr Kompetenzen zuschreibt. Vielen Dank, dass Sie sich im Bundesrat nicht quer gestellt haben. Die Gesetzgebung der Ampel-Koalition gibt uns als Bundesland ausreichend Instrumente an die Hand, um die Welle zu brechen. Denn auch in Schleswig-Holstein sind die Zahlen extrem besorgniserregend. Erst recht, wenn wir den viel bemühten Vergleich zum Winter 2020 heranziehen. Die Maßnahmen der jüngsten Verordnung gehen bereits über die höchste Eskalationsstufe Ihrer vorherigen Verordnung hinaus. Es fehlt eine Perspektive, falls diese Maßnahmen wie zu erwarten nicht reichen sollten. Was machen Sie dann? Mindestens eine 2G+-Regelung bei weiter steigendenden Inzidenzen sollte erwogen werden. Ansonsten bliebe Ihnen nichts anderes mehr übrig als erneut regionale Lockdowns zu verhängen. Das ist in Österreich sowie teilweise in Bayern und Sachsen bereits Realität, das möchten wir nicht. Einige Forderungen unseres Antrages sind nun – es wundert mich nicht – bereits Teil Ihrer neuen Verordnung. Sie denken mögliche Szenarien aber nicht konsequent zu Ende. Beispiel Weihnachtsmärkte: Die Menschen sind verwirrt! Sie übertragen eine schwammige Verantwortung an die Kommunen, ohne genaue Vorgaben. Dabei sind Städte wie Kiel bereits viel weiter und fahren eine 0G-Strategie im Freien. Dann wissen die Leute wenigstens, woran sie sind!
Ich kann nicht oft genug betonen, wie dringend wir die Akzeptanz der Menschen brauchen. Es entzieht sich aber meinem Verständnis, weshalb Sie sich weder zu einer Wiedereinführung der bereits eingeübten Kontaktnachverfolgung noch zur Bereitschaft für 2G-Plus durchringen können. Die Vorlage eines negativen Test-Ergebnisses, unabhängig vom Impfstatus, ist die einzige Möglichkeit, um Lockdowns abzuwenden. Wenn Sie nun schon korrekterweise die Verwendung der Corona-Warn-App herausstellen, können doch auch gleichzeitig über Events in der App Kontaktdaten erhoben werden? Mir kann niemand erzählen, dass dieser kurze zweite QR-Code Scan einen ernsthaften Mehraufwand bedeutet. Sowieso, ein entscheidender Punkt wurde gar nicht von Ihnen adressiert. Wie möchten Sie die Einhaltung von Maßnahmen gewährleisten? Insbesondere nachdem Sie die letzten Monate für Ihren Schönwetter-


3 Paradigmenwechsel geworben haben. Wir brauchen flächendeckende, stichprobenhaltige Kontrollen. Das bedeutet im Zweifelsfall auch mehr Personal und entsprechende Mittel. Auch das geht über QR-Codes für die kontrollierten Personen sehr schnell und einfach. Was uns darüber hinaus Sorgen bereitet, sind die Konsequenzen für all die Betriebe, den Einzelhandel und die Gastronomie. Arbeitsplätze in der Kultur-branche. Die Schulen und die Hochschulen. Den Menschen, die jetzt wieder sozial vereinsamen könnten. Sie benennen keine Maßnahmen oder konkrete Hilfen. Wir müssen als Politik neben den richtigen Bekämpfungsmaßnahmen auch immer Perspektiven der Unterstützung aufzeigen. Die SPD- Fraktion fordert die Landesregierung daher auf, entsprechende Programme zu entwickeln. Ich befürchte, wir erleben gerade nur das nächste Kapitel im Zick-Zack-Kurs der Landesregierung. Nach Abwägung der wissenschaftlichen Prognosen, den bisherigen Erfahrungen und den bereits geltenden Maßnahmen in anderen Ländern, halte ich es für ziemlich sicher, dass Sie Mitte Dezember wieder nachschärfen müssen. Herr Günther, die Lage ist auch in Schleswig-Holstein sehr ernst. Es geht nicht um die coolste Performance. Und die Lage war auch im September sehr ernst. Ihr lockerer Paradigmenwechsel war falsch und Ihr jetziges Nachsteuern belegt das. Die Bevölkerung wird durch die vielen und teilweise widersprüchlichen Signale aus der Politik erneut verunsichert. Als Landesregierung müssen Sie eine klare Linie beweisen, um eine neue Sicherheit zu schaffen. Die SPD-Fraktion fordert Sie auf, dass Sie den jetzt wieder eingeschlagenen Pfad der Vernunft auch weiter gehen werden.“



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