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23.03.22
11:31 Uhr
SPD

Serpil Midyatli zu TOP 1+40: Schleswig-Holstein ist solidarisch!

Heimo Zwischenberger Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Adresse Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel Telefon 0431 988 1305 Telefax 0431 988 1308 E-Mail h.zwischenberger@spd.ltsh.de Webseite www.spd-fraktion-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: http://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek

LANDTAGSREDE – 23. März 2022
Serpil Midyatli: Schleswig-Holstein ist solidarisch! TOP 1+40: Regierungserklärung zu „Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Schleswig- Holstein“ sowie Antrag „Der Bundeswehr den Rücken stärken“ (Drs. 19/3740, 19/3730) „Russlands Präsident Putin überfällt seit knapp vier Wochen mit unfassbarer Brutalität sein Nachbarland. Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine ist verabscheuungswürdig und er ist furchtbar sinnlos. Sein einziger Zweck ist die Stabilisierung des russischen Regimes um Putin, das Angst vor der jungen Demokratie in seiner Nachbarschaft hat. Vieles spricht dafür, dass dieser skrupellose Plan nicht aufgeht. Der Krieg trifft immer stärker die Zivilbevölkerung in der Ukraine. Mit Bomben und Raketen gegen Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, die Zivilbevölkerung. Das ist die Folge des immer brutaleren russischen Vorgehens. Putin hat den Durchhaltewillen des ukrainischen Volkes massiv unterschätzt. Es ist das Verdienst der Menschen, dass trotz der russischen Übermacht heute niemand weiß, wie dieser Krieg enden wird. Mein Respekt vor diesem Durchhaltewillen ist grenzenlos. Die Menschen in der Ukraine verteidigen nicht nur ihr Land. Sie verteidigen auch unsere gemeinsamen Werte. Sie verdienen unsere Unterstützung!
Wenn man in dieser furchtbaren Zeit einen kleinen Lichtblick sucht, dann eint dieser Krieg zumindest Europa. Lange haben die Staaten der EU nicht mehr so schnell und entschlossen reagiert. Das ist das richtige Zeichen an diejenigen, die unsere Vielfalt immer nur für eine Schwäche halten. Die EU hat geschlossen harte Sanktionen auf den Weg gebracht, die ihre Wirkung schon jetzt zeigen. Und auch die Aktivierung der EU-Richtlinie zum vorüber-gehenden Schutz für Kriegsflüchtlinge war mit Blick auf die Situation konsequent. Ich kann den Frust nachvollziehen, dass dies 2015 nicht bereits passiert ist. Das ändert aber nichts daran, dass diese Entscheidung jetzt richtig ist. Die EU war, ist und bleibt der Garant für Demokratie, Freiheit, freie Meinungs-äußerung, Humanität, Wohlstand und Sicherheit. Und wer diese Werte der Union teilt, ist herzlich willkommen. Darum ist die Beitrittsperspektive für die Ukraine das richtige Zeichen, auch wenn diese Dinge nicht von heute auf morgen gehen werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Überfall eine Zeitenwende genannt. Nichts wäre zutreffender. Wir erleben den krassen Bruch mit der Friedensordnung der 90er und 2000er-

1 Jahre. Unsere Strategie von Verflechtung, Handel und gegenseitiger Abhängigkeit ist vorläufig gescheitert, weil Russland sie scheitern ließ. Das ändert aber nichts daran, dass es Frieden in Europa lang- und mittelfristig nur mit Russland geben kann. Der kalte Krieg mit seiner Logik von Aufrüstung, Abschreckung und Unfreiheit der Staaten in Mittel- und Osteuropa war eben kein Frieden, wie wir ihn uns für die Zukunft wünschen können. Deswegen bleibt Diplomatie selbstverständlich immer das Mittel der Wahl. Aber es wäre naiv, die Augen vor der neuen Realität zu verschließen. Die Bundes-regierung hat ein beispielloses Investitionspaket für die Bundeswehr angekündigt, um zu kitten, was in den vergangenen 16 Jahren schief lief. Wir wissen, dass es bei den Defiziten der Bundeswehr nicht nur um Geld, sondern vor allem um marode Strukturen und verkorkste Beschaffungen geht. Und beides ist sicher nicht die Verantwortung der Truppe vor Ort. Aber beides muss jetzt in Rekordzeit angepackt werden. Ich bin mir sicher: Der Ampel wird das gelingen. Noch größer ist die Herausforderung, unsere Energieversorgung auf eigene Beine zu stellen. Gas aus Katar statt aus Russland mag für die Übergangszeit das kleinere Übel sein. Jedem muss aber klar sein: Eine tragfähige Lösung ist es nicht.
Fossile Energien machen uns abhängig von Ländern, die unsere Werte nicht teilen und Menschenrechte mit Füßen treten. Und sie tragen zur Klimakatastrophe bei, deren Bekämpfung durch die Ereignisse der letzten Wochen nicht weniger dringlich geworden ist. Die Lösung können darum nur Erneuerbare Energien sein. Sie sind die saubere Alternative, sie machen uns unabhängig. Schleswig-Holstein wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Und ich weiß, dass einige darüber bis zum 8. Mai am liebsten gar nicht sprächen, aber der Ausbau der Erneuerbaren muss schneller gehen und er muss in anderen Dimensionen erfolgen, als die Landesregierung das bislang geplant haben. Dazu gehören auch die Brückentechnologien. Ich freue mich, dass Jamaika mittlerweile endlich eine gemeinsame Linie beim LNG zu haben scheint. Die Bundesregierung von Olaf Scholz hat ihren Teil dazu beigesteuert, dass wir nun Klarheit haben. Wir brauchen dieses Terminal in Brunsbüttel. Aber natürlich müssen wir auch darauf achten, dass es mit Blick auf Wasserstoff fit für die Zukunft ist.
Die vielen Zeichen der Solidarität in ganz Schleswig-Holstein sind großartig. Die Demonstrationen und Mahnwachen. Die Spendensammlungen und Hilfstransporte. Die Aufnahme von Geflüchteten in Ferienwohnungen oder Gästezimmern. So ist Schleswig- Holstein! Die große Herausforderung ist, dass wir schwer planen können. Weder kurzfristig, noch langfristig. Kurzfristig wissen wir nicht, wie viele Menschen zu uns kommen werden. Wir wissen noch nicht einmal sicher, wie viele bereits da sind, weil der erste Weg oft zu Verwandten oder Freunden führte. Und auch langfristig. Die Menschen, die jetzt ankommen, fliehen vor dem russischen Überfall. Die wenigsten sind auf der Suche nach einer neuen Heimat – zumindest jetzt noch nicht. Denn ob und wann sie zurückkehren können wird sich


2 zeigen. Das ist eine andere Situation als 2015. Die Menschen damals hatten oftmals schon eine lange Odyssee hinter sich und die Gewissheit, dass die Rückkehr in die Heimat eben keine Alternative ist.
Wie viele Menschen dauerhaft bei uns bleiben wollen oder müssen. Das ist aber auch unerheblich dafür, Aufnahme, Betreuung und Versorgung bestmöglich zu organisieren. Meine Rückmeldung aus den ersten Wochen ist: Die Landesregierung war nicht immer optimal aufgestellt. Vieles hat nicht so geklappt, wie man sich das wünschen würde. da mache ich Ihnen zunächst noch keinen Vorwurf. Diese schnelle Eskalation hat niemand kommen sehen. Und unabhängig von der weiteren Entwicklung wäre es auch falsch, die Weichen nicht bereits jetzt in Richtung Integration zu stellen. Ich sage das mit Blick auf die Kinder, die selbstverständlich ein Recht auf Bildung haben. Wie herausfordernd insbesondere die Inobhutnahme der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist, wissen wir. Aber auch mit Blick auf die Erwachsenen, die glücklicherweise beim Einstieg in den Arbeitsmarkt eine kleinere Hürde vorfinden als in der Vergangenheit, dafür aber schnell Sprachkurse benötigen. Der Paritätische beschreibt es richtig: Die Geflüchteten treffen auf ein überlastetes System, auf Fachkräftemangel in allen Bereichen der Sozialen Arbeit, auf knappen Wohnraum, auf Migrationsfachdienste, die alles allein über Projektfinanzierungen stemmen müssen. Und ich füge hinzu: Auf Menschen im sozialen Bereich, die nach zwei Corona-Jahren bereits weit über ihr eigenes Limit hinausgegangen sind. Der Wille ist da, aber die Kräfte bei Vielen aufgebraucht. Wir haben keinerlei Spielraum für handwerkliche politische Fehler. Ich sage das bewusst in Richtung der Landesregierung vor dem Hintergrund der Rückmeldungen, die ich in den letzten Tagen aus den Kommunen bekomme. Mein dringender Appell: Kümmern Sie sich darum, dass die Dinge funktionieren, für die Sie verantwortlich sind. Und lassen Sie es sein, Nebelkerzen zu zünden. Wir alle wissen, dass es am Ende am Geld aus Berlin nicht scheitern wird.
Liebe Landesregierung, ich kann Ihnen versichern: Sie haben uns bei allem Notwendigen an Ihrer Seite. Aber im Umkehrschluss erwarten wir auch vernünftige und zeitnahe Informationen. Dann, liebe Frau Finanzministerin, müsste man sich auch nicht ärgern, wenn die SPD die Pläne der Landesregierung als nicht ausreichend kritisiert. Und wir wissen, dass manches der knappen Zeit geschuldet ist. Aber wie die Bildungsministerin sollte man es trotzdem nicht machen. Um 16 Uhr soll sich auf unseren Antrag der Bildungsausschuss treffen. Um 15 Uhr stellt sich die Ministerin am selben Ort bereits vor die Presse. Das ist ein Umgang mit dem Parlament, der in diesem Haus nichts zu suchen hat. Und von dem ich hoffe, dass ihn auch die Koalitionsfraktionen deutlich zurückweisen werden – zumindest hinter geschlossenen Türen.



3 Schon zu Beginn des Jahres waren die Energiepreise auf ein Rekordhoch geklettert. Der weitere Anstieg stellt viele Menschen vor enorme Schwierigkeiten. Darum ist die Verdopplung des Heizkostenzuschusses richtig. Aber wir müssen gerade in einem Flächenland wie Schleswig- Holstein auch die Mobilität im Blick behalten. Ich halte den Vorschlag für ein Mobilitätsgeld, das sich am Einkommen orientiert, für eine gute Lösung. Und das insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir kein Interesse daran haben können, die Gewinne der Mineralölkonzerne weiter in die Höhe zu treiben, wenn es uns eigentlich um die Entlastung der Menschen geht. Verwundert bin ich über die Äußerungen einiger CDU-Wahlkämpfer. Da wird sich auf der einen Seite mit dem Handy in der Hand vor die Tankstelle gestellt und voller Empörung eine Spritpreisbremse gefordert. Selbstverständlich mit Verweis auf den Staat, der sich angeblich die Taschen voll stopft. Das kommt 1 zu 1 aus dem Lehrbuch des Populismus. Und besonders absurd wird es, wenn gleichzeitig aus der CDU vehement der sofortige Importstopp für russisches Öl und Gas gefordert wird. Mit jeder dieser Forderungen klettert der Ölpreis direkt in die Höhe. Das ist keine verantwortliche Politik.
Zum Schluss ist mir mit Blick auf Berichte in den vergangenen Tagen eines wichtig zu betonen. Wir wissen, dass dieser Krieg Putins Krieg ist. Es ist nicht der Krieg der mutigen Menschen in Russland, die unter hohem persönlichem Risiko dagegen auf die Straße gehen. Und es ist auch nicht der Krieg der vielen Menschen mit russischen Wurzeln, die in Schleswig-Holstein leben. Es war immer Teil von Putins Strategie, die russischsprachige Community zu instrumentalisieren, unsere Gesellschaft zu spalten. Lassen Sie uns dieser Strategie entschlossen entgegen treten. Wir treten entschlossen für die Ukraine ein. Wir nehmen Menschen auf, die unsere Hilfe brauchen. Aber wir stehen in diesen Tagen auch an der Seite derer, die allein wegen ihrer Herkunft Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren.
Vor uns in Schleswig-Holstein liegen in der kommenden Wochen und Monaten wirklich große Herausforderungen. Das gilt für die Flüchtlingsaufnahme genauso wie für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Dämpfung des enormen Preisanstieges. Aber wie klein werden diese großen Herausforderungen im Vergleich zur Situation in der Ukraine. Wir haben bereits in der Vergangenheit bewiesen: Schleswig-Holstein lebt Solidarität. Lassen Sie uns genau das wieder tun! Und lassen Sie uns gemeinsam immer wieder betonen: Dieser schreckliche Krieg muss ein Ende haben. So schnell wie möglich.“



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