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30.09.22
12:40 Uhr
B 90/Grüne

Catharina Nies zur Aufnahme von Afghan*innen

Presseinformation

Landtagsfraktion Es gilt das gesprochene Wort! Schleswig-Holstein TOP 31 – Afghanistan nicht vergessen! Pressesprecherin Claudia Jacob
Dazu sagt die migrationspolitische Sprecherin Landeshaus der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Catharina Nies: Zentrale: 0431 / 988 – 1500 Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 223.22 / 30.09.2022

Wir dürfen Afghanistan nicht vergessen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Kolleg*innen,
Bilder aus Afghanistan sind vielleicht aus der Tagesschau verschwunden, das bedeutet aber nicht, dass sie aus unseren Köpfen verschwinden dürfen. Menschen haben das Recht, selbstbestimmt, frei und in Würde zu leben. Und in Afghanistan ist das kaum noch möglich, insbesondere für Mädchen und Frauen.
Ja, wir haben zahlreiche innenpolitische Herausforderungen zu händeln und ja, wir haben den schlimmen Ukraine-Krieg direkt vor der eigenen Haustür. Aber in Schleswig-Holstein leben auch tausende afghanische Menschen, als Teil unserer Gesellschaft, die sich täg- lich um die Sicherheit ihrer Familien und ihrer Freund*innen in ihrem Heimatland sorgen.
Schon vor dem Sommer 2021 war Afghanistan nach Jahrzehnten im Kriegszustand zer- rüttet und unsicher. Es ist wichtig, auch diese Realität aufenthaltsrechtlich anzuerkennen. Seit die Taliban aber im August letzten Jahres die Macht übernommen haben, besteht kein Zweifel daran, dass ein ganzes Land in Angst, Armut und akuter Bedrohung lebt.
Wir hören von Menschen, die gejagt, gefoltert und umbracht werden. Wir hören, dass die weibliche Bevölkerung aus ihrem Leben gerissen wird, aus Schule, Studium, ihrer Be- rufstätigkeit oder ihrer politischen Arbeit.
Über Jahrzehnte hart erkämpfte Räume von Emanzipation und Gleichbehandlung wur- den zugeschüttet. Die Arbeit von Menschenrechtsaktivist*innen zerstört.
Und als sei das nicht schon genug, wird das Land von Erdbeben heimgesucht und es herrscht Armut in einem unvorstellbaren Ausmaß. Es gibt immer wieder brutale Seite 1 von 3 Bombenanschläge mit vielen Toten – so wie heute Morgen.
Es zerreißt mir das Herz. Und sehr oft frage ich mich: Wie fühlen sich diejenigen, die hier in Schleswig-Holstein leben und Familie in Afghanistan haben? Ihre Sorge um die Men- schen, die sie lieben und vermissen, muss unvorstellbar groß sein. Und ebenso die Zer- rissenheit zwischen dem Leben hier und den Gedanken an die zurückgebliebene Familie in der Heimat.
Viele haben uns angeschrieben. Viele derjenigen, die vor über einem Jahr das Landes- innenministerium um die Aufnahme gefährdeter Familienmitglieder gebeten haben. Da- mals hat Schleswig-Holstein dem Auswärtigen Amt 227 Personen für die Evakuierung vorgeschlagen – 23 davon sind bisher in Schleswig-Holstein angekommen.
Sie haben uns ihre Namen geschickt, die Namen ihrer Schwestern, Brüder, ihrer Mütter und Väter, ihrer Onkel, Tanten, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen und die Na- men ihrer erwachsenen Kinder und deren Familien.
Sie haben uns beschrieben, unter welch grausamen Bedingungen Menschen in Afgha- nistan leben, wie sie sich in Kellern und an geheimen Orten verstecken, wie sie immer weiter fliehen und ständig die Unterkunft wechseln, wie sie versucht haben, sich nach Kabul durchzuschlagen, um evakuiert zu werden und zu spät kamen, oder wie sie versu- chen, mit ihren Familien über die Grenze nach Pakistan zu kommen, wie sie ihre Pässe und andere Dokumente verschwinden lassen mussten, damit die Taliban sie nicht iden- tifizieren konnten.
Wie ein gehörloser Bruder zurückblieb und gefoltert wurde, wie gefährlich es ist als Trans- Frau in Afghanistan zu leben, wie Verwandte, die für ein Ministerium gearbeitet haben, immer wieder auf dem Handy angerufen wurden, und man ihnen sagte, dass man sie und ihre Familie bald finden werde.
Das und vieles mehr. All das Leid ihrer Familien aufzuschreiben, muss schwer gewesen sein, aber es war es richtig und wichtig dies zu tun. Und ich möchte mich dafür bei ihnen bedanken.
Denn sie sind der Grund, warum wir uns in den Koalitionsverhandlungen im Mai dazu entschieden haben, dass wir als Bundesland Schleswig-Holstein mehr tun wollen. Wir werden das geplante Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan unterstützen und zusätz- lich wollen wir über 200 Afghan*innen mit verwandtschaftlichen Bezug nach Schleswig- Holstein holen.
Nämlich genau diejenigen Personen, die das Landesinnenministerium vor 14 Monaten dem Auswärtigen Amt zur Evakuierung schon einmal vorgeschlagen hat und deren Auf- nahme aus unterschiedlichen Gründen noch nicht realisiert werden konnte. Gemeinsam mit dem Bund werden wir ausloten, welche Aus- und Einreisewege es gibt.
Ich muss dazu aber deutlich sagen, dass das bei der aktuellen Sicherheitslage und ohne die bewährten Unterstützungsorganisationen vor Ort nicht einfach wird. Als Bundesland werden wir darauf angewiesen sein, dass der Bund die von uns benannten Personen mit evakuiert oder die Ausreise über Nachbarländer ermöglicht.
Auch wenn wir die Aufnahme in Schleswig-Holstein also rechtlich wollen und darauf hin- arbeiten werden, gibt es keine Garantie dafür, dass dies operativ auch gelingt. Und viel- leicht schaffen wir es am Ende auch nur für einen Teil der vorgesehenen Gruppe.
2 Aber wir stehen hier heute und sagen dennoch: wir möchten es wenigstens versuchen. Denn jede einzelne gerettete Person wird es wert sein.
Und gerade, weil die Rahmenbedingungen für ein Bundesaufnahmeprogramm Afghanis- tan so schwierig sind, ist es umso wichtiger, der Bundesregierung hier heute deutlich zu zeigen, dass wir als Bundesland bei der Aufnahme Schutzsuchender aus Afghanistan unsere volle Unterstützung zur Verfügung stellen werden.
Und ich bitte alle Fraktion in diesem Landtag, unseren Antrag mitzutragen. Denn wir dür- fen Afghanistan nicht vergessen. Zeigen wir: Der Landtag Schleswig-Holstein ist solida- risch! Wir stehen an der Seite der hier lebenden Afghan*innen, wir stehen an der Seite der Zivilgesellschaft in Afghanistan und wir sind bereit, Schutzsuchende in unserer Mitte aufzunehmen.
Vielen Dank!
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