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24.03.23
12:18 Uhr
B 90/Grüne

Jan Kürschner zum Landtagsantrag "Vertrauen in den Rechtsstaat stärken" und zum Messerangriff in Brokstedt

Presseinformation

Landtagsfraktion Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 39 – Vertrauen in den Rechtsstaat stärken Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dazu sagt der innen- und rechtspolitische Sprecher Zentrale: 0431 / 988 – 1500 der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Durchwahl: 0431 / 988 - 1503 Mobil: 0172 / 541 83 53 Jan Kürschner: presse@gruene.ltsh.de www.sh-gruene-fraktion.de
Nr. 112.23 / 24.03.2023


“Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik“

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete,
uns allen ist der furchtbare Messerangriff in Brokstedt noch sehr präsent. Wir können nicht oft genug allen Betroffenen unser Mitgefühl ausdrücken. Zwei junge Menschen ha- ben ihr Leben verloren. Es ist schwer, dieses Leid der Angehörigen, der Freund*innen, der Bekannten, in Worte zu kleiden.
Das Mindeste, was wir tun können, ist, dass wir uns als Abgeordnete hier im Landtag mit allen Kräften bemühen, das Risiko solcher Gewalttaten in Zukunft zu verringern. Doch bin ich realistisch genug zu erkennen, dass solche Taten nicht komplett verhindert wer- den können, bei allen Anstrengungen.
Ich will in meiner Rede im Schwerpunkt auf die Gewaltpräventionsambulanz eingehen: Was wenig bekannt ist: Wir alle haben ein einprozentiges Risiko, einmal im Leben von einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis betroffen zu sein. Ein Prozent – das sind für Schleswig-Holstein knapp 29.000 Menschen. Diese Erkrankung geht sehr oft mit einer Psychose einher. Ganz wichtig ist mir festzuhalten, dass psychisch erkrankte Menschen keine generell erhöhte Wahrscheinlichkeit für Kriminalität haben. Speziell bei der Personengruppe unter Psychose schätzen Wissenschaftler*innen aber das Potenzial auf drei bis fünf Prozent für mögliche Gewalttaten. Dabei geht es leider um schwere Ge- walt bis zu Tötungsdelikten. Opfer sind dann oft Personen aus dem familiären oder sozi- alen Nahbereich, aber auch gänzlich Unbeteiligte.
Um diese Personengruppe wird es bei der Gewaltpräventionsambulanz vorrangig gehen. Ich höre es von der Polizei, dass sie vermehrt mit psychisch auffälligen Personen zu tun hat. Der Strafvollzug hat viel mehr psychisch auffällige Gefangene, dementsprechend Seite 1 von 2 haben wir psychologische und psychiatrische Angebote stetig ausgebaut. Auch Bewäh- rungshilfe und die Staatsanwaltschaften spiegeln mir den gestiegenen Bedarf. Und das schlimmste: Die Forensischen Kliniken laufen voll. Man muss dabei verstehen, dass fast hinter allen Forensikpatient*innen in Neustadt eine Gewalttat steckt. Der Anteil der psy- chotischen Patient*innen beträgt dabei zirka 70 Prozent. Die Situation ist tatsächlich so dramatisch, wie ich sie hier schildere.
Warum steigen die Zahlen? Wir haben eine Krankenhauskrise. Die wirkt sich eben auch im Bereich der Allgemeinpsychiatrien aus. Hinzu tritt, dass Zwangsbehandlung sehr kom- pliziert zu erreichen ist, obwohl in einer Psychose eine medikamentöse Behandlung oft das einzig erfolgversprechende Mittel ist und in einer Psychose in aller Regel krank- heitsimmanent keine Krankheitseinsicht möglich ist.
Außerhalb der Kliniken sind die sozialpsychiatrischen Dienste zuständig. Diese können aber eine flächendeckende Betreuung dieser Patient*innen nicht leisten. Das könnte in den Kreisen und Kommunen besser werden, aber auch das wird auch Geld kosten.
Meine Damen und Herren, ich zitiere erneut den Strafrechtler Franz von Liszt, “Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik“. Kriminalpolitik hat präventiv zu wirken, unter Einbeziehung aller verfügbaren Instrumente. Wir haben Anti-Gewaltprojekte, wir haben forensische Fachkliniken und Fachambulanzen, wir haben Allgemeinpsychiatrien, sozial- psychiatrische Dienste, wir haben aufsuchende Sozialarbeit. Wir wollen aber ein weiteres Präventionsmodell installieren, die Gewaltpräventionsambulanz. Ein multiprofessionelles Team, bestehend aus Psychiater*innen, Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und psy- chiatrischen Pflegefachkräften, bei denen das wichtigste Kriterium sein muss, dass sie große Erfahrung mit dieser Patient*innengruppe haben. Dafür haben wir erfreulicher- weise auch gleich Mittel in den Haushalt gestellt.
Forensische Nachsorge nach einer Tat ist bekannt, eine Vorsorge vor einer Tat in diesem Sinne bisher so nicht. Daher möchten wir das Angebot verbinden mit einer landesweiten Aufklärungskampagne.
Abschließend möchte ich mich an dieser Stelle erneut bei den couragierten Bürger*innen bedanken, die im Zug eingegriffen haben und auch den vielen Einsatzkräften an diesem Tag, der mir – wie vielen anderen hier - für immer in Erinnerung bleiben wird.
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