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18. Juni 2020 – Juni-Plenum

„Unbekannte“ Kolonialgeschichte ins Bewusstsein rücken

Geschichtsstunde im Landtag: Die koloniale Vergangenheit des Landes steht zur Debatte ‒ im Kontext zu heutigem Rassismus. Auch die Umbenennung von Straßen wird in diesem Zusammenhang diskutiert.

Kolonialzeit Straßennamen
Straßennamen, die an die deutsche Kolonialzeit erinnern, sind umstritten. Foto: dpa, Monika Skolimowska

Die europäischen Mächte haben über Jahrhunderte Ländereien auf anderen Kontinenten besetzt, ausgebeutet und die Bevölkerung unterdrückt. Deutschland war zwischen den 1880er-Jahren und dem Ersten Weltkrieg Besatzungsmacht in Kamerun, Togo, Namibia, Tansania, im chinesischen Tsingtau sowie auf mehreren Pazifikinseln – ein dunkles Kapitel auch für Schleswig-Holstein. So starteten viele Expeditionen in die „Schutzgebiete“ des Kaiserreichs im Kieler Marinehafen. Im Landtag herrscht Einvernehmen, dass es an der Zeit sei, diesen dunklen Fleck der Landesgeschichte stärker ins Bewusstsein zu rücken. Grundlage der Debatte war eine Große Anfrage des SSW.

„Die Leute kennen diese Geschichte nicht“, merkte Lars Harms (SSW) an. Deswegen müsse es darum gehen, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Noch heute gebe es problematische Straßennamen im Lande. Es müsse nicht jede Straße umbenannt werden, so Harms. Oft sei es besser, Hinweistafeln anzubringen und über die historischen Fakten aufzuklären. „Ich halte wenig von Umbenennung“, sagte auch Tobias von der Heide (CDU), denn Geschichte sei komplex. Statt einer „Verbannung aus dem öffentlichen Raum“ müsse es eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geben.  

Problemfälle Bismarck, Adenauer, Lettow-Vorbeck

Martin Habersaat (SPD) zählte eine Reihe von Personen auf, deren Lebenswerk heute kritisch gesehen wird. So habe der erste Reichskanzler Otto von Bismarck „die Aufteilung Afrikas moderiert“, und der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer sei zuvor Vizepräsident der deutschen Kolonialgesellschaft gewesen. Das Gewerbegebiet „Levo-Park“ in Bad Segeberg sei nach Paul von Lettow-Vorbeck benannt, der zwischen 1904 und 1906 als Kommandeur der „Schutztruppe“ im heutigen Namibia am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt war. „Noch immer tun wir uns schwer damit, uns von dieser historischen Bürde zu distanzieren“, so Habersaat.

Jan Marcus Rossa (FDP) richtete den Blick auf das „Ostafrika-Ehrenmal“ in Aumühle (Kreis Herzogtum Lauenburg). Dieses einfach zu entfernen, wäre eine „Leugnung unserer eigenen Geschichte“, so Rossa. Stattdessen empfahl er, es in ein Mahnmal an die Opfer umzuwidmen und gezielt „Gegendenkmäler“ gegen die Verherrlichung der Kolonialzeit zu errichten.

Gegen „Rasse“ im Grundgesetz

„Die Debatte über Rassismus ist oberflächlich, weil das Wissen darüber so gering ist“, merkte Aminata Touré (Grüne) an. Sie wiederholte ihre Forderung, den Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen, „weil es keine unterschiedlichen menschlichen Rassen gibt“. Die Gesellschaft müsse zudem das „schwarze Leben heute“ stärker wahrnehmen: „Wir sind hier, wir sind Teil der Gesellschaft und gestalten sie mit.“

Volker Schnurrbusch (AfD) nannte die Kontakte zwischen Kirchengemeinden in Deutschland und Tansania eine „stabile Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen“. Er rief dazu auf, die Kontakte nach Afrika zu intensivieren und dies nicht der „neuen Kolonialmacht China“ zu überlassen. Das Kaiserreich habe in seinen Kolonien die Wirtschaft, das Gesundheitswesen und das Schulsystem gefördert, erklärte die fraktionslose Abgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein. Deswegen gebe es dort noch immer „Achtung“ für Deutschland: „Einseitige Schuldzuweisungen sind fehl am Platz.“ Dieser Beitrag stieß auf heftige Kritik. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas im 21. Jahrhundert in einem deutschen Parlament möglich ist“, protestierte Beate Raudies (SPD).

Initiativen an Schulen, Unis und Museen

Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) stellte in Vertretung von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) die Initiativen der Landesregierung vor. So werde das Thema im Geschichtsunterricht der Sekundarstufen I und II aufgegriffen. An den Universitäten Kiel, Flensburg und Lübeck gibt es entsprechende Forschungen in den Bereichen Geschichte, Pädagogik, Geschlechterforschung, Geographie und Kulturwissenschaft. In 19 Museen im Lande läuft unter dem Motto „Zwischen Kolonialismus und Weltoffenheit“ ein Forschungsprojekt, um den Bestand an kolonialen Gütern zu erfassen und deren Herkunft zu klären.

Der Bildungsausschuss berät die Große Anfrage weiter.

Die europäischen Mächte haben über Jahrhunderte Ländereien auf anderen Kontinenten besetzt und ausgebeutet und die dortige Bevölkerung unterdrückt. Der Umgang mit dem kolonialen Erbe wird in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert. So hat der französische Staatspräsident Emanuel Macron 2017 angekündigt, sämtliche aus Afrika stammenden Gegenstände in französischen Museen zurückgeben zu wollen. Seitdem wird diese Debatte auch in Deutschland verstärkt geführt. Wie steht es um den Umgang mit dem kolonialen Erbe in Schleswig-Holstein? Hierzu hat der SSW eine Große Anfrage an die Landesregierung gerichtet. Die Antwort liegt nun vor und ist Debattenthema im Landtag.

Ein Ergebnis: Auch Schleswig-Holstein war Ausgangspunkt der Ausbeutung. Viele Expeditionen in die „Schutzgebiete“ des Kaiserreichs starteten im Kieler Marinehafen. Deutschland war zwischen den 1880er-Jahren und dem Ersten Weltkrieg Besatzungsmacht in Kamerun, Togo, in Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia), in Deutsch-Ostafrika (dem heutigen Tansania), im chinesischen Tsingtau sowie auf mehreren Pazifikinseln. Viele Museen im Lande haben Exponate aus dieser Zeit, etwa die Völkerkundesammlung der Kieler Universität.

Projekte an Schulen, Unis und in Museen

Neben staatlichen Aktivitäten gab es auch private Eingriffe, etwa die „Breklumer Mission“, die von Nordfriesland aus versuchte, Menschen in Afrika und in Britisch-Indien zum christlichen Glauben zu bekehren. Noch heute wird vielerorts in Schleswig-Holstein über Straßennamen diskutiert, die das koloniale Zeitalter verherrlichen. So wurden etwa zahlreiche Straßen nach Carl Peters benannt, der als Gouverneur in Deutsch-Ostafrika (Tansania) agierte, und der wegen seiner Brutalität gegenüber den Einheimischen als „Hänge-Peters“ galt.

Die Landesregierung weist darauf hin, dass das Thema im Geschichtsunterricht der Sekundarstufen I und II aufgegriffen wird. In zahlreichen Museen im Lande läuft unter dem Motto „Zwischen Kolonialismus und Weltoffenheit – die ethnologischen Sammlungen schleswig-holsteinischer Museen als Quelle kolonialer Landesgeschichte“ ein Langzeit-Forschungsprojekt, um den Bestand an kolonialen Gütern zu erfassen. An den Universitäten Kiel, Flensburg und Lübeck gibt es entsprechende Forschungen in den Bereichen Geschichte, Pädagogik, Geschlechterforschung, Geographie und Kulturwissenschaft.      

(Stand: 15. Juni 2020)

Große Anfrage

Aufarbeitung der Europäischen und Deutschen Kolonialgeschichte in Schleswig-Holstein
Große Anfrage der Abgeordneten des SSW – Drucksache 19/1599 (vom 18. Juli 2019)

Antwort der Landesregierung – Drucksache 19/2005