Als Sandra Redmann im Jahr 2000 in den Landtag gewählt wird, stellt die Politik ihr bisheriges Leben auf den Kopf. Fraktionssitzungen, Informationsveranstaltungen und Ortstermine bestimmen seitdem ihren Tagesablauf. Die damals 35-Jährige war keine Abgeordnete wie jede andere. Denn: Junge, temperamentvolle, Jeans tragende Frauen waren im Landtag eher ungewöhnlich. Als erste Abgeordnete im Landesparlament, die während ihrer Amtszeit ein Kind bekam, managte die Alleinerziehende den Spagat zwischen politischer Verantwortung und den Pflichten einer Mutter.
Wie sieht ihr Tagesablauf heute aus, welche Themen sind ihr wichtig und was macht den Beruf der Politikerin so reizvoll? Ein Tag im Leben der schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten Sandra Redmann (Hinweis: Das Porträt stammt aus dem März 2019).
Zwischen Kind, Katze und Karriere
5:30 Uhr bis 6:30 Uhr. Bad Schwartau. Konzentration ist schon früh morgens angesagt. Denn in der Hektik soll nichts vergessen werden. Während Sandra Redmann mit ihrer 16-jährigen Tochter Brotstullen schmiert, will Katze Gretchen versorgt und der Tag organisiert werden. „Jeder Tag ist anders. Manchmal habe ich eine 60-Stunden Woche, manchmal arbeite ich 80 Stunden und dann gibt es auch Wochen, in denen weniger los ist“, sagt Redmann. An ihrem „Traumberuf Politikerin“ schätzt sie besonders, dass sie sich ihren Tagesablauf, abgesehen von festen Terminen, flexibel gestalten kann. Das war nicht immer so. Denn bevor sie Politikerin wurde, war sie Buchhändlerin und hatte festgelegte Arbeitszeiten.
Am heutigen Tag wartet auf die ehemalige stellvertretende SPD-Landesvorsitzende ein straffer Zeitplan mit verschiedenen Terminen. Weil ihr Beruf sie erfüllt, nimmt sie den Stress aber in Kauf. Die Politikerin ist sich bewusst, dass ihr Amt zeitlich begrenzt ist und sie weiß es als Privileg zu schätzen, dass sie mit anderen Abgeordneten die Zukunft des Landes gestalten und verändern darf. Bevor sie ins Auto steigt, ist für sie ein Blick in die „Lübecker Nachrichten“ und auf Facebook unverzichtbar, um sich über Neuigkeiten zu informieren.
44.000 Kilometer pro Jahr unterwegs
7:30 Uhr. Im Auto nach Molfsee bei Kiel. Dienstfahrten sind fester Bestandteil des Alltages: Rund 44.000 Kilometer hat Redmann im Jahr 2018 mit ihrem Auto während der Arbeitszeit zurückgelegt. Auf dem Weg zu einem Teamtreffen bei der Stiftung Naturschutz, deren Vorsitz sie seit 2014 ehrenamtlich innehat, hört die Abgeordnete Nachrichten übers Radio. Außerdem telefoniert sie mit ihrer Wahlkreismitarbeiterin aus Ostholstein über die Freisprechanlage, um zu erfahren, was es in ihrem Wahlkreis für Neuigkeiten gibt.
Als Mitglied des Umwelt- und Agrarausschusses, umweltpolitische Sprecherin und Vorsitzende des Fraktions-Arbeitskreises Umwelt, Energie und ländliche Räume liegt ihr der Naturschutz besonders am Herzen.
Wickelräume gab es noch nicht
10:30 Uhr. Kurs aufs Landeshaus in Kiel. Nach dem Termin in Molfsee geht es mit dem Auto in Richtung Landtag. Jetzt kann sie endlich den Abenteuern der „Drei Fragezeichen“ lauschen. Mit Hörbüchern kann sie während der Autofahrten gut entspannen. „Meine Tochter bittet mich immer, die CD bitte wegzulegen“, damit keiner auf die Idee komme, die CD sei von ihr, grinst Redmann. Als Teenager hat ihre Tochter andere Interessen als Politik, sie unterstützt ihre Mutter aber in ihrem Beruf, weil sie weiß, dass er ihr wichtig ist.
Familie und Beruf zu vereinen, stellte die Politikerin anfangs vor Herausforderungen. Sie war die erste Abgeordnete, die während ihrer Amtszeit im Landtag ein Kind zur Welt brachte. In den Anfängen ihrer politischen Karriere gab es weder Wickelräume noch Betreuungs- oder Spielmöglichkeiten für Kleinkinder. Dafür aber viele kritische Stimmen, die daran zweifelten, ob sie das alles schaffen würde.
Die Politikerin fand ihre eigenen Wege mit der Situation umzugehen. Zu einer Ausschuss-Sitzung nahm sie ihre Tochter einmal kurzerhand mit. „Es brauchte nur eine schlafende Zweijährige im Hintergrund und schon wurde die Sitzung zur friedlichsten, an die ich mich erinnern kann“, sagt die SPD-Abgeordnete und schmunzelt. Durch die Unterstützung vieler Abgeordneter und der Großeltern war es möglich, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen.
„Auch mal über sich selbst lachen“
11:00 Uhr. Fraktionsvorstand. Am Landeshaus angekommen geht es an den Pförtnern vorbei und mit dem Paternoster in den dritten Stock. Als Mitglied des Fraktionsvorstandes hilft die Sozialdemokratin mit, die Fraktionssitzungen vorzubereiten. Gemeinsam mit dem Pressesprecher analysieren die Politiker der SPD wöchentlich den aktuellen Stand der Landes- und Bundespolitik. Das Briefing ist wichtig, denn: „Als Politikerin kann ich nicht Fachfrau für alles sein“, sagt Redmann. „Auch wenn man sich mit der Zeit viel Wissen aneignet, ist das Anhören von Experten unerlässlich, um sich eine Meinung bilden zu können.“
Auch Unwissenheit gehöre zum Geschäft, betont die Abgeordnete: „Man muss dazu stehen, wenn man mal etwas nicht weiß“. Es sei schon vorgekommen, dass sie sich total verrannt habe und während einer Debatte gemerkt habe, dass sie „auf dem falschen Dampfer war“, räumt die Politikerin ein. „Dann lache ich auch mal über mich selbst. Ich kann mich aber auch entschuldigen, wenn ich falsch lag oder übers Ziel hinausgeschossen bin.“
Damit alle Aufgaben bewältigt werden können, bekommen die SPD-Abgeordneten Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Referentinnen und Referenten, die beispielsweise bei der Formulierung von Anträgen helfen. Bei Unklarheiten können die Fraktionsmitglieder außerdem die Landesregierung befragen.
Frust und Freude: Engagement zahlt sich aus
12:30 Uhr. Mittagessen. Szenenwechsel: In der Kantine des Landtages sitzt Redmann mit den Kolleginnen und Kollegen bei Kohlrouladen, Salat und Butterkartoffeln: „Jeder weiß, wenn ich nicht zu Mittag esse, bekomme ich schlechte Laune.“ Eine richtige Auszeit ist das Mittagessen aber nicht, denn manche Themen lassen die Abgeordnete auch in der Pause oder nach Feierabend nicht los. Vor allem Debatten zum Thema Flüchtlinge oder Mobbing und Gewalt an Schulen machen sie nachdenklich, manchmal auch traurig.
Dann gibt es aber auch Momente, die ihr Freude bereiten, etwa wenn sie merkt, dass sich ihr Engagement lohnt. „Toll war“, so Redmann, „als Kinderrechte in der Landesverfassung verankert wurden“ ‒ ein langer Prozess, fügt sie hinzu. Ein weiterer Erfolg, auf den die Politikerin stolz ist, war die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre und das Verbot von Pelztierhaltung in Schleswig-Holstein.
Präsent und gut vernetzt
13:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Im Büro. Wer das Arbeitszimmer der Politikerin im dritten Stock des Landeshauses betritt, dem fallen sofort zwei Dinge auf: Ein Wolf aus Porzellan und eine Vase mit rosa-weißen Stoffblumen. Normalerweise bevorzugt sie frische Schnittblumen. Aber: „Der Strauß ist von einem syrischen Praktikanten. Die Geste war so nett“, sagt die Politikerin. Zwischen Plenar- und Ausschusssitzungen ist das Büro oft nur ein Zwischenstopp. Ständige Präsenz widmet Sandra Redmann dagegen ihrem „politischen Zuhause“, den Ortsvereinen des Wahlkreises in Ostholstein.
In Bad Schwartau begann ihre Karriere 1989 mit dem Eintritt in die SPD. Durch Zufall wurde die damalige Buchhändlerin zu einer Sitzung des Ortsvereines eingeladen. Es folgten zehn Jahre als Stadtverordnete und 24 Jahre als Ortsvereinsvorsitz in Bad Schwartau. Dabei knüpfte sie viele Kontakte. „Gut vernetzt zu sein, ist das A und O“, findet Redmann.
Vom Schreibtisch aus telefoniert sie, kümmert sich um die Post, liest ihre Mails und beantwortet Anfragen auf Facebook. Ins Auge fällt ein Schild im Hintergrund, das an eine Magnetpinnwand geheftet ist: „Kinderzimmer – Betreten auf eigene Gefahr!“. Ein Geschenk ihres Ortsvereins und eine Anspielung auf ihre Position als damaliges Nesthäkchen, als sie im Jahr 2000 mit 35 Jahren direkt in den Landtag gewählt wurde: „Das war so aufregend, das vergisst man nicht“. Auf einen Schlag änderte sich ihr Leben. Sie war fortan viel unterwegs, „fing Feuer für die neuen Aufgaben“ und wurde schnell jugendpolitische Sprecherin der SPD. Als Kinder- und Jugendbeauftragte der damaligen Ministerpräsidentin Heide Simonis von 2001 bis 2003 kämpfte sie für die Rechte junger Menschen und wurde dann stellvertretende SPD-Landesvorsitzende.
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