Schleswig-Holstein will seine Ostseepolitik „neu fokussieren“ und eine „neue Dynamik“ im „Meer der Möglichkeiten“ entwickeln. Das kündigte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in einer Regierungserklärung vor dem Landtag an und nannte eine Vielzahl von Politikfeldern ‒ von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über den Umweltschutz und die Energiepolitik bis zur Kooperation in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Kultur. Zudem sei die Ostsee ein „Chancenraum“ für Frieden, Völkerverständigung und Demokratie, so der Regierungschef mit Blick auf Russland und Polen. Die SPD folgte inhaltlich den von Günther skizzierten Schwerpunkten, warf Jamaika allerdings zu wenig konkrete Taten vor.
Dänemark sei der „Premiumpartner“, sagte Günther, und die geplante Fehmarnbelt-Querung zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland eine „Jahrhundertchance“ mit „riesigen Wirtschaftschancen“. Allein der Bau des Tunnels schaffe 3.000 Arbeitsplätze, und Gewerbeflächen in der Region würden bereits jetzt gebucht. Günther warb beim Bund um Unterstützung für den Bau einer Demontageplattform, auf der geborgene Munition aus der Ostsee entsorgt werden kann. Die Kieler Werft TKMS verfüge bereits über entsprechende Pläne, die Plattform könne „in ein bis zwei Jahren“ fertig sein. An den Schulen und Hochschulen regte der Ministerpräsident „ein stärkeres Wir-Gefühl“ als Signal gegen Nationalismus an. Um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern, werde es im Lande künftig mehr englischsprachige Studienangebote geben.
„Wohlklingende Worthülsen“
Oppositionsführerin Serpil Midyatli (SPD) betonte ebenfalls die Bedeutung des Ostseeraums für Schleswig-Holstein und verwies auf die Rolle früherer SPD-geführter Landesregierungen in diesem Bereich. Dem Ministerpräsidenten warf sie vor, lediglich „wohlklingende Worthülsen“ zu verbreiten: „Eine neue Vision entwickeln Sie nicht.“ Die anstehenden Veränderungen, etwa durch Klimaschutzmaßnahmen, müssten stets „sozial verträglich“ gestaltet werden, so Midyatli, denn „ohne die Zustimmung der Menschen“ würden die Ziele nicht erreicht. Trotz erheblicher Differenzen dürfe der Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen, forderte Midyatli und regte an, den Austausch mit der Partnerregion Kaliningrad zu intensivieren.
Der CDU-Abgeordnete Peter Lehnert hob die Bedeutung der festen Fehmarnbelt-Querung auch unter Klimaschutzaspekten hervor. „Kürzere Lieferketten schützen die Umwelt durch deutlich geringere Emissionen beim Transport“, so Lehnert. Schleswig-Holstein wachse durch das Infrastrukturprojekt „noch stärker mit Skandinavien zusammen“. Mit Blick auf die osteuropäischen Staaten sagte Lehnert, die CAU in Kiel pflege „vorbildliche Partnerschaften zu vielen osteuropäischen Ländern“. So sei es Studierenden sogar möglich, im jeweils anderen Partnerland einen Abschluss zu erwerben.
„Musterregion für Demokratie und Wohlstand“
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben, wies die Kritik von Midyatli zurück, Jamaika habe keine konkreten Vorhaben in der Ostseepolitik genannt. „Konkreter sind Ihre Vorschläge auch nicht“, sagte sie mit Blick auf die Rede der Sozialdemokratin. Grundsätzlich sah von Kalben keine großen Unterschiede bei den Positionen der Fraktionen. „Wir müssen darauf achten, dass die Region keine reine Transitregion wird“, sagte sie. Es könnten vermehrt Logistikzentren entstehen, die keine nachhaltigen neuen Arbeitsplätze sicherten.
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt hob die Bedeutung der festen Fehmarn-Belt-Querung hervor. Sie verbinde nicht nur die Metropolregionen Kopenhagen und Hamburg, sondern Nord- mit Mitteleuropa. „Es ist ein Projekt europäischer Dimension“, so Vogt. Auch sollte sich die junge Generation der Ostsee-Region sollte sich noch besser kennenlernen. Großes Potential sehe er dabei in der Wissenschaft. „Jeder Student sollte ein Auslandssemester machen und das am besten in einem Ostsee-Anrainer-Staat“, so Vogt. Er hoffe vor allem wieder auf eine bessere Kooperation mit Russland und Polen. Die Ostseeregion sollte spätestens in der nächsten Generation „Musterregion für Demokratie und Wohlstand“ werden.
Kultur und eigene Identität bewahren
Mehr Wertevermittlung im Ostseeraum und eine intensivere Friedens- und Minderheitenpolitik forderte Lars Harms (SSW). Aber: Andere Staaten müssten ihre eigene Kultur und ihre eigene Identität bewahren dürfen. Für bessere europäische Verbindungen müsse die A7 auf deutscher beziehungsweise die E45 auf dänischer Seite sechsspurig aus- und vor allem die A20 mit der westlichen Elbquerung weitergebaut werden, sagte Harms. Der SSW-Vorsitzende im Landtag verlangte zudem, die Nährstoffeinträge in die Ostsee „radikal zu reduzieren“.
Jörg Nobis (AfD) nannte den Ostseeraum „einen Chancenraum“. Dafür müsse man aber auch andere Ansichten zulassen und dürfe sich nicht in innere Angelegenheiten eines Landes, etwa Polen, mischen. Wie sein Vorredner hob auch Nobis den Ausbau der Autobahnen hervor und ergänzte: „Auch die B202 muss dazugehören, damit auch Kiel profitieren kann.“