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17. August 2022 – Innen- und Rechtsausschuss

Entlassungen aus der U-Haft: Gerichte stehen unter Druck

Die Personalsituation an Schleswig-Holsteins Strafgerichten ist „schon seit Jahren angespannt“. Das hat Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) im Innen- und Rechtsausschuss eingeräumt. Die Opposition spricht von einem „nicht akzeptablen Zustand“.

Blick auf einen Wachturm in der Lübecker Justizvollzugsanstalt
Weil die Verfahren zu lange dauern, wurden in Schleswig-Holstein mehrere Verdächtige frühzeitige aus der U-Haft entlassen. Foto: Landtag, Yvonne Windel

Laut der Antwort des Justizministeriums auf eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Marc Timmer sind im Lande im vergangenen Jahr elf Verdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil ihre Verfahren zu lange dauerten. Dies sei zwar ein „Ausreißer“ gewesen, so die Ministerin, aber in der Justiz herrsche grundsätzlich eine „Überlast“. 2021 gab es in Deutschland mindestens 66 aufgehobene Haftbefehle wegen zu langsamer Verfahren. Schleswig-Holstein und Sachsen meldeten die höchsten Zahlen. Hintergrund: Wenn jemand in Untersuchungshaft kommt, muss die Verhandlung nach spätestens sechs Monaten beginnen. Andernfalls sind Inhaftierte zu entlassen, trotz Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr. Bei den elf Fällen im Lande sei es um Drogenhandel, Raubdelikte und Bankrott gegangen, sagte von der Decken. Ein Tatverdächtiger sei geflüchtet, konnte aber wieder in Haft genommen werden. 

Die Gerichte stünden vor wachsenden Herausforderungen, betonte die Justizministerin: „Die Strafverfahren dauern immer länger“. Es gebe mehr aufwendige „Großverfahren“ mit mehreren Angeklagten. Ein Grund: Die Polizei hat verschlüsselte Chats im Internet geknackt und anschließend zahlreiche Verdächtige im Bereich Drogen- und Waffenhandel festgenommen. Das Land bemühe sich um Abhilfe, so die Ministerin. Mit dem „Pakt für den Rechtstaat“ seien im ganzen Land neue Richterstellen geschaffen und neue Strafkammern ins Leben gerufen worden. Außerdem forderte sie die „schnellstmögliche Neuberechnung“ der Personalbedarfszahlen, die bundesweit nach dem System PEPSI ermittelt werden. Dies dürfe nicht erst, wie geplant, im Jahr 2024 geschehen.  

„Mehr als nur ein Ausreißer“ 

Der FDP-Abgeordnete Bernd Buchholz, der das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hatte, sprach von einem „nicht akzeptablen Zustand“. Die Ausführungen der Ministerin seien „nicht in allen Teilen überzeugend“ gewesen, so Buchholz. Es sei „mehr als ein Ausreißer“, wenn das System PEPSI offenbar grundsätzlich nicht funktioniere und Gerichte strukturell unterbesetzt seien. Zudem gebe es große Unterschiede zwischen den Gerichtsbezirken im Lande. Auch dies habe die Ministerin nicht erklären können.  

Der Ausschussvorsitzende, der Grünen-Abgeordnete Jan Kürschner, wies darauf hin, dass der Bund das Strafrecht an mehreren Stellen verschärft habe, etwa bei sexuellem Missbrauch und bei Geldwäsche. Zudem habe die Polizei den Kampf gegen Kindesmissbrauch verschärft. „Das wird eine Vielzahl von Verfahren produzieren“, mahnte Kürschner. Birte Glißmann (CDU) wies darauf hin, dass nicht nur Gerichte und Staatsanwaltschaften überlastet seien, sondern auch die Wachtmeisterei und die Geschäftsstellen. Dies bestätigte die Ministerin: In der Regel werde jeder Angeklagte vor Gericht von zwei Wachtmeistern begleitet.