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28. September 2022 – Landtagspräsidentin im „100-Tage“-Interview

„Ich bin keine Ein-Thema-Präsidentin“

Die ersten 100 Tage als Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages liegen hinter Kristina Herbst. In einem Interview mit der Redaktion des Referats Öffentlichkeitsarbeit im Landtag zieht sie eine erste Bilanz ihrer Amtszeit.

Porträt der neuen Landtagspräsidentin im Präsidialbüro.
Landtagspräsidentin Kristina Herbst in ihrem Amtszimmer – mit liebgewonnenem Blick auf die Kieler Förde. Foto: Landtag

Am 7. Juni 2022 hat der neu konstituierte Schleswig-Holsteinische Landtag Kristina Herbst zur Parlamentspräsidentin gewählt. Sie ist nach Lianne Paulina- Mürl (SPD, 1987 bis 1992) und Ute Erdsiek-Rave (SPD, 1992 bis 1996) die dritte Frau in diesem Amt und das insgesamt vierzehnte Parlamentsoberhaupt in Schleswig-Holstein. Die 45-jährige Diplom-Kauffrau, die Mitglied der CDU ist, arbeitete zuvor seit 2006 im ministeriellen Politikbetrieb. Seit 2017 war sie Staatssekretärin im Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung. 

In diesen Tagen repräsentiert und leitet Kristina Herbst nunmehr 100 Tage den nördlichsten Landtag in der Bundesrepublik. In einem Interview mit der Redaktion des Referats Öffentlichkeitsarbeit zieht die Landtagspräsidentin eine erste Bilanz ihrer bisherigen Amtszeit.

Frau Herbst, Sie sind nach Ihrer Wahl Anfang Juni inzwischen 100 Tage als Landtagspräsidentin im Amt. Haben Sie sich bereits ins Alltagsgeschäft eingelebt?

 „Ja, das habe ich. Mir wurde es aber auch sehr leicht gemacht, denn ich bin sehr herzlich von den Kolleginnen und Kollegen der Landtagsverwaltung empfangen worden und so macht es mir täglich viel Freude, ins Haus zu kommen. Das Amt und das Alltagsgeschäft machen mir sehr viel Spaß. Mittlerweile habe ich vom Büro aus auch freie Sicht auf die Kieler Förde, nachdem der Ausblick zunächst von einem Gerüst versperrt war. Seitdem sitze ich noch ein bisschen lieber in meinem Büro.“

Sie sind vom Posten einer Staatssekretärin im Innenministerium ins Amt der Landtagspräsidentin gewechselt. Fiel es Ihnen schwer, sich vom Regierungsgeschäft auf die Rolle als oberste Repräsentantin des Parlaments umzustellen?

 „Natürlich war es ein kompletter Rollenwechsel – raus aus der Fachlichkeit, hinein in eine überparteiliche und repräsentative Funktion. Mein Anspruch an das Amt als Landtagspräsidentin war und ist es auch, für alle Fraktionen ansprechbar zu sein und übergreifend und integrativ zu agieren. Insbesondere der Wechsel von der Fachlichkeit war eine Umstellung, aber vor allem habe ich mich darauf gefreut und fand es spannend, zumal ich Herausforderungen mag. Nicht neu war für mich die Aufgabe als Verwaltungschefin und ich wusste, dass ich in ein gut aufgestelltes und kompetentes Haus wechseln würde.“

Wie ist es, wenn die CDU-Abgeordnete Kristina Herbst als Parlamentspräsidentin neutral bleiben muss – auch wenn es in einer Debatte hoch hergeht?  

 „Da musste ich mich deutlich weniger umstellen (lacht). Als Staatssekretärin war ich auch neutral, musste fünf Jahre auf der Regierungsbank sitzen, ohne eine Miene zu verziehen oder beispielsweise zu klatschen. Das war eine gute Übung, um etwaige Gefühlsausbrüche auch weiterhin im Zaum halten zu können…“

Bei ihrem Amtsantritt haben Sie dazu aufgefordert, parteipolitisch mehr „bunt“ statt „schwarz und weiß“ zu denken. Ist das Parlament auf diesem Gebiet auf einem guten Weg?

 „Das würde ich ganz klar bejahen. In den ersten Plenartagungen dieser Wahlperiode habe ich die Diskussionen als sehr lebhaft, aber auch sehr zugewandt und konstruktiv wahrgenommen. Dadurch, dass wir aufgrund der parteipolitischen Zusammensetzung eher ein ´Parlament der Mitte´ sind, so möchte ich es mal nennen, können alle Fraktionen vernünftig und offen miteinander reden.
 Darüber hinaus ist der Landtag mit der Wahl deutlich jünger und weiblicher geworden. Nach Hamburg haben wir in Schleswig-Holstein die meisten weiblichen Landtagsmitglieder. Gerade die große Altersspanne zwischen den Abgeordneten ist eine gute Mischung – die Kombination aus frischem Wind und Erfahrung. Wir sind generell ein buntes und modernes Parlament. Ich bin sicher, davon profitieren wir, die dort sitzen, aber auch die Gesellschaft.“

Derzeit steht im Landtag eine große schwarz-grüne Mehrheit mit 48 von 69 Sitzen einer kleinen SPD/FDP/SSW-Opposition mit zusammen lediglich 21 Sitzen gegenüber. Die Koalition hat aus eigener Kraft eine verfassungsändernde Mehrheit. Ein Stresstest für die Demokratie?

 „Als Stresstest würde ich das nicht bezeichnen, zumal es das in der Vergangenheit schon mehrfach gab – auf Bundes-, aber auch auf Landesebene. Mit Blick auf das Parlament sehe ich darin sogar eher eine Chance. Gerade bei einer großen Regierungskoalition liegt ein besonderer Fokus auf dem Landtag, da hier die Opposition ihre Bühne hat. Und das haben wir in den ersten Plenartagungen und in den Ausschusssitzungen auch gemerkt. Dass ihre Rechte durchgesetzt werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Und wir haben gleich zu Beginn der Wahlperiode bereits dort nachjustiert, wo Oppositionsrechte angesichts einer großen Koalition – die dann ja auch gebildet wurde – möglicherweise zu kurz gekommen wären.“

Auf der jüngsten Konferenz der Landtagspräsidentinnen und Landtagspräsidenten in Bremen wurde die „Bremische Erklärung“ verabschiedet. Darin wird eine „frühzeitige und effektive Mitwirkung der Landesparlamente“ angeregt, etwa bei Grundgesetzänderungen, bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die EU oder beim Abstimmungsverhalten der Landesregierung im Bundesrat. Müssen die Landtage selbstbewusster auftreten, damit ihre Beschlüsse gehört und beachtet werden?

 „Diese Kritik kann man durchaus formulieren, aber sie geht in zwei Richtungen. Das Parlament muss eigenständig seine Auffassung vertreten und wenn nötig auch durchsetzen, definitiv. Und in manchen Fällen könnte es auch stärker die Initiative ergreifen und lauter sein.
 Was es aber eben auch immer braucht, ist eine angemessene mediale Öffentlichkeit. Ohne die geht es nicht. Wenn der Fokus vor allem auf der Regierung liegt, müssen wir uns in den Landtagen eben besonderes Gehör verschaffen. Meiner Wahrnehmung nach hat sich das in den vergangenen Jahren aber bereits etwas geändert, auch angesichts der Krisen, die wir durchleben. Die Debatten zu den wichtigen Entscheidungen finden im Bundestag und in den Landtagen statt.“

In der Corona-Pandemie haben die Regierungen teils per Verordnung weitreichende Beschlüsse getroffen, während die Parlamente nur unter erschwerten Bedingungen tagen konnten. Was muss der Landtag tun, um auch in einer möglicherweise wieder angespannten Corona-Lage im kommenden Winter seine Rolle als „oberstes Organ der politischen Willensbildung“ zu behaupten?

 „Vorweg möchte ich nochmal festhalten: Die Corona-Bekämpfungsverordnungen erlassen nun mal die Landesregierungen, das sieht das Infektionsschutzgesetz des Bundes so vor. Davon abgesehen hatte der Schleswig-Holsteinische Landtag aber keine Probleme, sich zu behaupten. Unser Parlament war beispielsweise das erste, das verschiedenste Schutzmechanismen wie Lüftung, Plexiglas und Testen etabliert hat. Dadurch konnte binnen kürzester Zeit wieder in voller Stärke getagt werden. Außerdem hat der Landtag schon in einem frühen Stadium der Pandemie Expertenanhörungen durchgeführt, sich inhaltlich stark eingebracht und in den Plenarsitzungen wurden die Entscheidungen immer frühzeitig und transparent debattiert. Hinzu kommt, dass der Landtag sich beispielsweise durch das Instrument eines Notausschusses für die Zukunft selbst krisenfester gemacht hat.
 Auch jetzt werden wir Abgeordnete uns nicht von der pandemischen Entwicklung treiben lassen – für Anfang November plant der Sozialausschuss erneut eine große Anhörung. Wir waren und sind ein handlungsfähiges, starkes Parlament und nehmen unsere Rolle als oberstes Organ der politischen Willensbildung selbstbewusst wahr.“

In Schleswig-Holstein gibt es Sorgen wegen der Energieversorgung im kommenden Winter und wegen steigender Preise. Was entgegnen Sie Menschen, die dafür die deutsche Politik verantwortlich machen?

 „Ich glaube, es dürften sich – mit wenigen Ausnahmen – alle einig sein, dass die deutsche Politik nicht dafür verantwortlich ist. Es ist selbstverständlich, dass wir Politikerinnen und Politiker die Aufgabe haben, die Gesellschaft verantwortungsvoll und so gut wie irgend möglich durch diese Krise zu führen. Das ist unser Selbstverständnis. Ich bin sicher: Alle Politikerinnen und Politiker, die für die Bevölkerung Verantwortung tragen, geben ihr Bestes, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Und wir wissen um die Not, in die große Teile der Gesellschaft durch die aktuelle Situation jetzt schon und in den kommenden Monaten geraten werden.
 Es ist keine leichte Zeit. Es ist auch keine leichte Zeit, um Politik zu machen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nicht nur um Verständnis für die Politik werben, sondern auch dazu aufrufen, sich selbst zu einzubringen. Gerade jetzt brauchen wir Menschen, die sich politisch engagieren und zum Beispiel um ein Mandat bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr bewerben. Und ich möchte dazu aufrufen, dass wir zusammenstehen und uns nicht auseinanderbringen lassen. Gemeinsam können wir auch diese schwere Zeit bewältigen.“

Ihre Amtsvorgänger hatten jeweils Schwerpunktthemen, für die sie sich in ihrer Präsidentschaft besonders eingesetzt haben. Bei Heinz-Werner Arens war das die Zusammenarbeit im Ostseeraum, bei Martin Kayenburg die Föderalismusreform, bei Klaus Schlie die Überarbeitung der Landesverfassung. Was soll das Kernstück Ihrer Präsidentschaft sein? 

 „Jetzt nur einen Schwerpunkt zu nennen, greift mir zu kurz. Ich bin keine Ein-Thema-Präsidentin. Wenn das Leben und das Parlament bunt sind, dann ist es meine Amtszeit auch. Geleitet werde ich immer davon sein, eine verständliche und klare Sprache zu sprechen und auf die Bürgerinnen und Bürger zuzugehen. Das wird sich zusammen mit diesen drei Themen als roter Faden durch meine Amtszeit ziehen: Ich möchte für das Ehrenamt werben und Menschen ermutigen, sich zu engagieren. Außerdem möchte ich nachhaltiges Denken und Handeln in den Vordergrund rücken und, wo immer nötig und möglich, etablieren. Und es ist mir ganz wichtig, unserer Bundeswehr, unserer Marine, unseren Soldatinnen und Soldaten immer und zu jeder Zeit Rückhalt zu geben.“

Was war das bisherige „Highlight“ Ihrer 100 Tage im Amt?

 „Ein besonderes Highlight war natürlich die Vereidigung des Ministerpräsidenten und des gesamten Kabinetts. Es ist aber insgesamt einfach schön, die Aufgabe zu übernehmen, weil sich die Menschen freuen, wenn die Präsidentin kommt. Das bereitet selbst natürlich auch sehr viel Freude.
 Ein weiteres Highlight war der Vorab-Besuch bei der Mannschaft der Gorch Fock Anfang September nach ihrer Auslands-Ausbildungsreise. Ich durfte an Bord klettern, bevor die Mannschaft selbst im Kieler Heimathafen an Land gegangen ist, und sie willkommen heißen. Das war wirklich etwas ganz Besonderes. Ich hoffe, es wird noch viele solche Momente geben!“

(Interview: Karsten Blaas, Amelie Berg)