
Will Nachtrag vorlegen: Finanzministerin Silke Schneider (Grüne).
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Foto: Landtag, Sönke Ehlers
Trotz Hilfe aus Berlin und relativ günstiger Steuerprognose – Schleswig-Holstein wird in den kommenden Jahren auf Sparkurs gefahren. „Wir werden weiter und mehr konsolidieren müssen“, kündigte Finanzministerin Silke Schneider (Grüne) in einer Regierungserklärung an. Die Handlungsbedarfe seien „auch in den kommenden Jahren hoch“. Aus der Opposition kam heftige Kritik an der Haushaltspolitik der Koalition, insbesondere am Umgang mit dem jüngsten Haushaltsurteil des Landesverfassungsgerichts. „Die Günther-Regierung hat die Verfassung gebrochen“, monierte SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli, und Schwarz-Grün habe keine Antwort auf den Sanierungsstau im Lande.
Das Schleswiger Gericht hat Mitte April den von Koalition und SSW beschlossenen Haushalt für das Jahr 2024 als verfassungswidrig eingestuft (Az. LVerfG 1/24). Die Landtagsfraktionen von SPD und FDP hatten die Normenkontrollklage eingereicht. Grund für das Urteil sind die drei im Vorjahr aufgenommenen Notkredite, mit denen die Folgen der Sturmflut an der Ostseeküste im Oktober 2023, des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der Corona-Pandemie gelindert werden sollten. Deren Notwendigkeit sei nicht ausreichend begründet worden, und es fehle ein Tilgungsplan, so das Verfassungsgericht. Das Gericht habe für „Rechtsklarheit“ gesorgt und „Leitplanken geschaffen“, sagte Ministerin Schneider.
Notkredite sollen aufgelöst werden

Beklagt Verfassungsbruch: Die SPD-Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli.
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Als Konsequenz aus dem Urteil will die Landesregierung die Notkredite auflösen. Dabei geht es um 492 Millionen Euro aus dem vergangenen Haushaltsjahr und 271 Millionen Euro aus dem laufenden. Für den diesjährigen Kredit kündigte Schneider die Prüfung eines Nachtrags noch vor der Sommerpause an. Zunächst müssten in Berlin die Ausführungsgesetze für die dort beschlossenen Grundgesetzänderungen verabschiedet werden: „Der Bund muss jetzt liefern.“ Nach der im März von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Regelung kann das Land jedes Jahr bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an neuen Schulden aufnehmen. Das sind nach Schneiders Worten 521 Millionen Euro.
Außerdem erwartet Schleswig-Holstein seinen Anteil am Infrastrukturpaket des Bundes. 100 Milliarden Euro sollen an die Länder gehen, für den Norden wären das 288 Millionen Euro pro Jahr für die kommenden zwölf Jahre. Schneider kündigte Gespräche mit den Kommunen „noch im Juni“ an, um die Verteilung dieser Mittel zu besprechen. Und sie stellte klar: Der Nachtrag werde keine Gelder für die aktuell höchst fragliche Northvolt-Ansiedlung bei Heide mehr enthalten, „da derzeit nicht abzusehen ist, wann mit einer Auszahlung dieser Mittel zu rechnen ist“. Der Bau der Batteriezellenfabrik ist gefährdet, weil der schwedische Mutterkonzern in finanzieller Schieflage ist.
Midyatli beklagt „Arroganz der Macht“

Verwahrte sich gegen den Vorwurf des „Verfassungsbruchs mit Ansage“: CDU-Fraktionschef Tobias Koch.
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Oppositionsführerin Midyatli attestierte der Regierung, ein „finanzpolitisches Desaster“ angerichtet zu haben, und warf Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) „Arroganz der Macht“ vor. Das Schleswiger Urteil sei „trauriger Höhepunkt von schlechtem Regierungshandeln“. Nun böten die Berliner Beschlüsse neue Spielräume: „Die Reform auf Bundesebene hilft Ihnen, die Folgen Ihres eigenen Verfassungsbruchs zu kaschieren.“ Aber Schleswig-Holstein sei nicht vorbereitet. Midyatli verwies auf einen Investitionsbedarf von 15 Milliarden Euro im Lande für Krankenhäuser, Schulen, Kitas, Wohnungsbau und Klimaneutralität. Zudem habe die Landesregierung „kein Wort zur Zeitenwende“ gesagt – auch auf die „veränderte Sicherheitslage“ sei der Norden nicht vorbereitet.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Koch (CDU) attackierte im Gegenzug SPD und FDP. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf der Liberalen, die Koalition habe einen „Verfassungsbruch mit Ansage“ begangen. Diese Kritik gehe „weit über eine angemessene Sachdebatte hinaus“. Rechts- und Linksradikale würden angesichts eines solchen Streits im demokratischen Lager „feixen“, so Koch. Die SPD wiederum habe mit ihrer Klage das Gegenteil von dem erreicht, was sie gewollt habe. Denn nun fließe weniger Geld in Investitionen, weil die Mittel für die Tilgung der Notkredite benötigt würden. Insgesamt sei das Land „auf einem soliden und verantwortungsvollen Kurs“, betonte Koch. Um den Haushalt nachhaltig zu sanieren, sei in den kommenden Jahren ein „wirtschaftlicher Wachstumskurs“ nötig.
Schuldenbremse falsch eingeschätzt

Räumte Fehler ein: Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter.
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Lasse Petersdotter (Grüne) verteidigte die Haushaltspolitik der Koalition, räumte jedoch zugleich unter anderem Versäumnisse bei der Begründung der Notkredite ein. „Da haben wir einen Fehler gemacht“, sagte er im Rückblick auf den Haushalt 2024. Man habe die Möglichkeiten der Schuldenbremse falsch eingeschätzt und werde daraus lernen. Einen sofortigen Nachtragshaushalt, wie von SPD und FDP gefordert, lehnte Petersdotter als voreilig ab: „Es wäre absurd, wenn wir heute ein Kürzungspaket schnüren und in zwei Monaten neue Ausgaben beschließen.“
In Bezug auf die Schuldenbremse sagte er, sie sei zwar verfassungskonform, aber in ihrer jetzigen Form nur schwer anwendbar. Sie bedürfe einer Reform, denn man dürfe „nicht so naiv sein zu glauben, dass es in den nächsten Jahren keine Krisensituation mehr geben würde“.
Tilgungsplan für Notkredite gefordert

Verlangt „unverzüglich“ einen Nachtragshaushalt: Annabell Krämer (FDP).
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Mit scharfen Worten kritisierte Annabell Krämer (FDP) die Haushaltspolitik der Landesregierung. Diese habe „den vierten verfassungswidrigen Haushalt in Folge“ vorgelegt und zentrale Vorgaben des Landesverfassungsgerichts missachtet. „Das war Verfassungsbruch mit Ansage“, so Krämer. Statt auf ein Durchführungsgesetz aus Berlin zu warten, müsse die Finanzministerin selbst handeln.
Der aktuelle Haushalt sei ebenfalls nicht verfassungskonform – ein Nachtragshaushalt daher „unverzüglich“ erforderlich. Die FDP fordere klare rechtliche Korrekturen und einen Tilgungsplan für die Notkredite – noch vor der Sommerpause. Die Verzögerung gefährde das Vertrauen in demokratische Prozesse.
Verschuldungsmöglichkeiten verantwortungsvoll nutzen

Warnt vor Sparmaßnahmen im Sozialen: SSW-Fraktionschef Christian Dirschauer.
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Christian Dirschauer (SSW) begrüßte den Fahrplan der Landesregierung zur Umsetzung des Urteils, warnte jedoch vor Sparmaßnahmen zulasten des sozialen Zusammenhalts. „Wir dürfen nicht an der Zukunftsfähigkeit des Landes sägen“, sagte er. Statt pauschaler Kürzungen brauche es gezielte Konsolidierung – durch Bürokratieabbau, Digitalisierung und nachhaltige Investitionen, etwa in Häfen, Schienen und die Grenzregionen an der Westküste.
Die neuen Verschuldungsmöglichkeiten seien „Schulden von morgen“ und müssten verantwortungsvoll genutzt werden. Für den Nachtragshaushalt forderte Dirschauer eine faire Mittelverteilung und einen gemeinsamen Kraftakt aller Fraktionen.