Laut Statistik werden in Schleswig-Holstein täglich etwa 3,6 Hektar „versiegelt“. Das bedeutet: Unberührtes Grünland im Umfang von rund vier Fußballfeldern verschwindet jeden Tag, um Platz zu schaffen für Straßen, Wohnhäuser, Gewerbegebiete, Erholungsräume oder Solaranlagen. Der Innen- und Rechtsausschuss hat gestern (8. Oktober) mit Experten diskutiert, wie dieser „Flächenfraß“ heruntergeschraubt werden kann – und wo Konflikte entstehen mit dem Bau von Wohnungen und der Energiewende. Das Innenministerium hat das Ziel ausgegeben, dass bis 2030 nur noch 1,3 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Tag neu in Anspruch genommen werden sollen. Im Ausschuss waren sich viele Teilnehmer einig: Das Ziel wird schwer zu erreichen sein, und die Statistik ist teilweise irreführend.
Marcus Hrach vom Landesverband Erneuerbare Energien blickte auf den Plan der Landesregierung, Schleswig-Holstein zum „ersten klimaneutralen Industrieland“ zu machen. Dafür würden bis 2030 rund 3.100 Hektar für Freiflächen-Photovoltaikanlagen (PV) benötigt. Gemäß der 1,3-Hektar-Vorgabe stünden aber nur 1.890 Hektar für PV zur Verfügung, so Hrach. Er forderte, die Sonnenpaneele „rauszurechnen“, denn diese Flächen könnten „sehr leicht nach der Nutzung in ihren Urzustand zurückgeführt werden“, anders als bei anderen Siedlungs- und Verkehrsflächen. „Bei einem Hochhaus oder einem Umspannwerk ist die Fläche tatsächlich versiegelt“, befand auch der CDU-Abgeordnete Heiner Rickers. Bei einer Photovoltaikanlage mit Gras unter den Sonnenkollektoren werde die Flächennutzung hingegen „vor Ort wieder ausgeglichen“. Bernd Buchholz (FDP) sprach von einem „Zerrbild der Realität“ und rief die Landesregierung auf, ihre Vorgaben auf „echte, produktive Industrie- und Verkehrsflächen“ zu beschränken.
Jepsen: 1,3 Hektar eine „willkürlich gegriffene Zahl“
Thomas Jepsen (CDU) hielt das Ziel von 1,3 Hektar für eine „willkürlich gegriffene Zahl“, die „angesichts vieler Zielkonflikte mit Wohnraum und erneuerbaren Energien“ nicht realistisch sei. Der Wert stamme aus der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes. „Wir brauchen Flächenvorsorge für Industrie und Gewerbe und eine Flächenplanung für Energie“, so Jepsen. Daniel Kiewitz vom Gemeindetag forderte eine „ehrliche Debatte“: Die Politik in Bund und Land setze „in Wirklichkeit auf mehr statt weniger Flächenverbrauch“. Er nannte den Ausbau der Autobahnen A20 und A21, der Bundesstraße B5, der S-Bahnen rund um Hamburg, der Regional- und Fernbahnstrecken sowie die Fehmarnbelt-Querung.
Das Land hat ein „nachhaltiges Flächenmanagement“ gestartet. Es sieht vor, Innenstädte baulich zu verdichten, brachliegende Flächen heranzuziehen und leerstehende Gebäude zu modernisieren. Dies sei „richtig und gut“, betonte Alexander Blažek, Vorsitzender des Verbands „Haus & Grund“. Wohnraum müsse dort geschaffen werden, wo die Nachfrage hoch sei, nämlich in Ballungsräumen. Allein in Kiel könnten 7.000 neue Wohnungen durch Dachgeschossausbau entstehen. Probleme sah er durch den „Wohnungsbauturbo“ des Bundes – die Folge könnten Neubaugebiete auf der grünen Wiese sein, die wiederum neue Straßen, ÖPNV, Kitas und Schulen benötigten. Sybilla Nitsch (SSW) rief dazu auf, bei der Wohnraumplanung zwischen Städten und ländlichen Räumen zu unterscheiden.
Landwirtschaft sieht sich in der Konkurrenz
Das Erreichen des 1,3-Hektar-Ziels ist laut dem Regierungsbericht „aktuell noch nicht erkennbar“. Mehr noch: Das Projekt zum „nachhaltigen Flächenmanagement“ soll wegen der klammen Landeskasse „insgesamt nur mit begrenzten Mitteln fortgeführt werden“. Das prangerte Joachim Schulz vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) an. Es gebe „massive Umsetzungsdefizite im Flächenmanagement“, und das sei „ ein echtes Armutszeugnis“. Er sprach von einem „ungebremsten Flächenfraß“. Im Lande seien bereits 50 Prozent der gesetzlich geschützten Biotope verschwunden. Ulrike Täck (Grüne) erkannte aber auch eine „erfreuliche Nachricht“. Es seien bereits heute 67 Prozent der PV-Anlagen auf Dächern montiert – und nicht in der Landschaft. Das Klimaschutzgesetz des Landes sehe weitere Anlagen auf Dächern und über Parkplätzen vor.
Lennart Schmidt vom Bauernverband blickte auf die steigenden Preise für Acker- und Weideflächen. Die Landwirte bekämen Konkurrenz seitens der Industrie und der Energiebranche, aber auch seitens des Naturschutzes. Er forderte, „keine attraktiven landwirtschaftlichen Flächen aus der Produktion zu nehmen“, denn die Ernährungssicherheit habe „heutzutage ein anderes Gewicht bekommen“. Ähnlich äußerte sich Rixa Kleinschmit (CDU): „Die Begehrlichkeiten auf landwirtschaftliche Flächen sind immer größer geworden, und ich habe die Befürchtung, dass es in Zukunft noch mehr wird.“ Sie schlug eine „Doppelnutzung“ vor, etwa Biotope mit PV-Anlagen oder die energetische Nutzung von „Straßenbegleitgrün“.