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24. Juli 2025 - Juli-Plenum

Die Lage der Justiz: Rechtsstaat steht unter Druck

Lange Verfahren, fehlendes Personal, schleppende Digitalisierung: Die Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage stand im Mittelpunkt einer Debatte über den Zustand der Justiz.

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP zur Lage der Justiz im Land hat eine angespannte Personalsituation, lange Verfahrensdauern und erhebliche Herausforderungen bei der Digitalisierung offengelegt. Auf rund 140 Seiten listet das Justizministerium Zahlen zu Arbeitsbelastung, Personalbestand und Reformvorhaben auf – und betont, dass insbesondere die Staatsanwaltschaften stark gefordert seien. „Die Verfahren werden immer komplexer“, sagte Justizministerin Kerstin von der Decken – dies sei auch unabhängig von zusätzlichen Belastungen wie etwa durch die Cannabis-Legalisierung im vergangenen Jahr.

Die scharfe Kritik der Liberalen wies die Justizministerin zurück und verwies auf geplante Reformen und eine Reihe bereits umgesetzter Maßnahmen: So seien bei den Staatsanwaltschaften zwischen 2023 und 2025 insgesamt 42 neue Stellen geschaffen worden, ein neues Referat zur Nachwuchsgewinnung habe im Juli dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen. Auch die Digitalisierung der Justiz schreite voran und sei „von strategischer Bedeutung“. Die elektronische Akte mache Verfahren effizienter und moderner. „Mein Haus arbeitet stetig daran, das Fundament der Justiz angesichts der wachsenden Herausforderungen zu stärken“, so von der Decken.

Warnung vor Erosion des Rechtsstaats

 

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Die CDU-Abgeordnete Marion Schiefer betonte die hohe Leistungsfähigkeit der Justiz.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Bernd Buchholz (FDP) würdigte zwar die Detailtiefe der Regierungsantwort, zeichnete aber ein dramatisches Bild: „Die Lage der Justiz in Schleswig-Holstein ist in einigen Bereichen schwierig, in anderen kritisch und in weiteren katastrophal.“ Besonders deutlich kritisierte er den Zustand bei den Staatsanwaltschaften – dort sei jede fünfte Stelle unbesetzt, nur zwölf Prozent der Verfahren gelangten überhaupt zur Anklage. Auch bei den Verwaltungsgerichten bestehe akuter Handlungsbedarf. Die schleppende Digitalisierung verschärfe die Probleme zusätzlich: An Amtsgerichten säßen hochbezahlte Fachkräfte „vor der Eieruhr, weil die E-Akte nicht lädt“. Buchholz forderte zudem, eine bundesweit einheitliche Richterbesoldung in den Blick zu nehmen – dies sei ein Mittel, um den Landesdienst attraktiver zu machen. Die geplante Reform der Amtsgerichtsstruktur lehnte er entschieden ab: „Lassen Sie die Finger davon!“

Die Regierungsfraktionen stellten sich hinter den Kurs des Ministeriums. CDU-Abgeordnete Marion Schiefer betonte die hohe Leistungsfähigkeit der Justiz und lobte das Engagement der Beschäftigten: „Die Justiz in Schleswig-Holstein verkörpert eine hohe Leistungsfähigkeit.“ Gleichzeitig räumte sie Herausforderungen bei der Nachwuchsgewinnung, den steigenden Eingangszahlen und der Digitalisierung ein – letztere sei ein Kraftakt, dem man sich entschlossen stelle. Die häufig kritisierten Verfahrenseinstellungen seien allerdings häufig sachlich und rechtlich begründet. Jan Kürschner (Grüne) betonte den gesellschaftlichen Wert der Justiz: „Das darf nicht reißen, damit Recht Recht bleibt.“

SPD fordert politischen Kurswechsel

 

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Jan Kürschner (Grüne) betonte den gesellschaftlichen Wert der Justiz: „Das darf nicht reißen, damit Recht Recht bleibt.“
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

 

Die SPD stellte sich an die Seite der Liberalen. „Die Landesregierung ist mit der Justiz überfordert“, sagte Fraktionsvize Marc Timmer und machte strukturelle Unterversorgung sowie politische Versäumnisse für die aktuellen Probleme verantwortlich. Die Strafjustiz sei vielerorts überlastet, die Zahl der Verhandlungstage nehme deutlich zu – mit Folgen bis hin zur Verjährung von Straftaten. Auch die elektronische Akte verursache bislang zusätzliche Arbeit, statt zu entlasten. Eine auf Haushaltszwänge ausgerichtete Justizpolitik sei nicht zukunftsfähig. Timmer plädierte für eine klare Prioritätensetzung bei Personal und Digitalisierung – und sprach sich entschieden gegen die Strukturreform aus: Statt neue Unruhe zu stiften, müsse die Landesregierung „die Probleme lösen, die auf dem Tisch liegen“.

Sybilla Nitsch (SSW) kritisierte vor allem fehlende Konsequenzen aus der Datensammlung. Der Bedarf an Personal sei enorm – insbesondere bei Rechtspflegern und in den Serviceeinheiten. Die Kettenverträge müssten beendet, Digitalisierungsprojekte praktikabler umgesetzt werden. Die Antwort auf die Große Anfrage wurde einstimmig zur weiteren Beratung an den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen.

 

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SPD-Fraktionsvize Marc Timmer: „Die Landesregierung ist mit der Justiz überfordert“.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Mit einer Großen Anfrage hatte die FDP-Fraktion im Februar Daten zur Situation von Gerichten und Staatsanwaltschaften im Land abgefragt – und sieht ihre Befürchtungen nun bestätigt: Die Justiz sei in Teilen überlastet, der Rechtsstaat drohe Schaden zu nehmen. FDP-Fraktionsvize Bernd Buchholz verweist auf eine hohe Einstellungsquote bei Strafverfahren. Demnach werden 88,5 Prozent aller Verfahren von den Staatsanwaltschaften eingestellt. In Kombination mit langen Verfahren und unbesetzten Stellen sei das ein „Alarmsignal“, so Buchholz. Die Ergebnisse der Anfrage sollen am Donnerstagvormittag als erstes Thema im Landtag debattiert werden.

Zwar habe die Landesregierung die Zahl der Stellen bei den Staatsanwaltschaften in der laufenden Legislaturperiode um über 16 Prozent erhöht, doch aus Sicht der FDP reicht das nicht aus. Die Fraktion fordert zusätzliche Maßnahmen, etwa externe IT-Fachkräfte zur Beschleunigung der elektronischen Aktenführung. Zudem werde die steigende Verfahrensdauer durch komplexere Abläufe und technische Probleme zusätzlich verschärft.

Kritik an Strukturreform der Amtsgerichte

Neben Personal und Digitalisierung richtet sich die Kritik auch gegen eine geplante Reform der Amtsgerichtsstruktur: Die Reduzierung der Gerichtsstandorte sei nicht zielführend, so Buchholz, und spare keine relevanten Kosten. Vielmehr müsse die Ministerin die Handlungsfähigkeit der Justiz stärken – statt Standorte infrage zu stellen.

Die Landesregierung verweist dagegen auf Fortschritte bei der Personalausstattung und betont, dass Verfahrenseinstellungen häufig auf rechtlich vorgesehene Gründe zurückgehen – etwa Geringfügigkeit oder Auflagen. Der von der FDP kritisierte Zustand sei aus Regierungssicht kein Beleg für ein strukturelles Versagen, sondern Folge steigender Anforderungen, auf die man schrittweise reagiere.

Top: 15

Große Anfrage der FDP
– Drucksache 20/2980

Antwort Justizministerium
– Drucksache 20/3276