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16. Oktober 2025 - Oktober-Plenum

Landesverfassung: größte Reform seit elf Jahren gestartet

Koalition, FDP und SSW wollen die Landesverfassung erweitern – unter anderem um Staatsziele zu Klimaschutz, Kinderrechten, Antidiskriminierung und bezahlbarem Wohnraum.

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CDU-Fraktionschef Tobias Koch: „Miteinander statt gegeneinander, Einigkeit statt Konfrontation.“
© Foto: Thomas Eisenkrätzer

Antidiskriminierung, Klimaschutz, Kinderrechte, bezahlbarer Wohnraum und noch einiges mehr: Die schleswig-holsteinische Landesverfassung soll um eine Reihe von Staatszielen ergänzt werden. Das sieht ein gemeinsamer Antrag von CDU, Grünen, FDP und SSW vor. Der Landtag verfahre nach dem Prinzip „miteinander statt gegeneinander, Einigkeit statt Konfrontation“, betonte CDU-Fraktionschef Tobias Koch. Der Vorschlag enthalte „grundlegende Ziele, hinter denen sich alle Fraktionen versammeln können“. Die umfangreichste Überarbeitung seit 2014 soll nach Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss Mitte kommenden Jahres in Kraft treten. In den Diskussionen wird es auch um weitere mögliche Verfassungsinhalte gehen, die bereits jetzt auf dem Tisch liegen. Themen sind die Digitalisierung, die Investitionsquote im Landeshaushalt, ein Gottesbezug und ein Klagerecht für jedermann vor dem Landesverfassungsgericht.   

Die Koalitionsfraktionen sowie Liberale und SSW legen insgesamt zwölf Änderungsvorschläge vor. So sollen „die natürlichen Grundlagen des Lebens“ in die Präambel aufgenommen werden. Der Schutz des Klimas und der Artenvielfalt werden verankert, ebenso wie der „Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Das „kulturelle Erbe“ des Landes wird herausgestellt, „einschließlich der jüdischen Kultur und der Kulturen der nationalen Minderheiten und Volksgruppen“. Zudem soll der Satz „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden“ eingefügt werden. 

Interreligiöses Bündnis wirbt für Gottesbezug

 

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Martin Habersaat (SPD) warnte vor einer „Politisierung von Gott“
© Foto: Thomas Eisenkrätzer

Die Kinderrechte, die bereits seit 2007 Verfassungsrang haben, sollen präzisiert werden. So sollen Kinder bei politischen Entscheidungen künftig „in angemessener Weise“ beteiligt werden. Wie das genau geschehen soll, wird laut Entwurf später in einem eigenen Gesetz geregelt. Der bereits festgeschriebene „Schutz pflegebedürftiger Menschen“ soll ergänzt werden um ihre „pflegenden Angehörigen“. Weitere geplante neue Verfassungsinhalte sind der „bezahlbare Wohnraum“ und die „angemessene Infrastruktur“ – dazu zählen demnach Mobilität, Handel sowie Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur. 
Auch „digitale Basisdienste“ und den „digitalen Zugang zu seinen Behörden und Gerichten“ soll das Land „nach dem Stand der Technik“ garantieren. 

Ein interreligiöses Bündnis von Christen, Juden und Muslimen wirbt darüber hinaus für die Aufnahme eines Gottesbezugs in die Verfassung. Ein ähnlicher Vorstoß war im Jahr 2014 knapp gescheitert. Seine Fraktion habe „große Sympathie“ für eine solche „Demutsformel“, so der Christdemokrat Koch, und seine Fraktionskollegin Anette Röttger sprach von einem wichtigen „Appell an unser Gewissen“. Aus SPD, FDP und Grünen kamen skeptische Stimmen. Er persönlich sei nicht überzeugt, dass ein solcher Passus in die Verfassung gehörte, entgegnete der Grünen-Fraktionsvorsitzende Lasse Petersdotter: „Demut geht sehr gut ohne Gott.“ Und Martin Habersaat (SPD) warnte vor einer „Politisierung von Gott“. 

SPD besteht auf analogen Zugang zu Behörden

Die FDP will zudem festschreiben, dass mindestens zehn Prozent der Ausgaben im Landeshaushalt für Investitionen reserviert werden müssen. Dazu zählen für die Freidemokraten Baumaßnahmen und der Erwerb von Eigentum sowie von Unternehmensbeteiligungen, Wertpapieren, Forderungen und „sonstigem Kapitalvermögen“. Mit der Vorgabe soll erreicht werden, so Christopher Vogt (FDP), dass „auch in schwierigen Zeiten nicht zulasten der Substanz gewirtschaftet wird“. Christian Dirschauer (SSW) erinnerte daran, dass bereits seit 2022 ein Vorschlag seiner Fraktion für eine allgemeine Verfassungsbeschwerde vorliege. Derzeit müssten Bürger bis vors Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen, um ihre Grundrecht einzuklagen, so Dirschauer, denn im Lande sei dies für Einzelpersonen nicht möglich. Das sei ein Demokratiedefizit. „Wir trauen unseren Bürgerinnen und Bürgern zu, ihre Rechte selbst in Anspruch zu nehmen“, betonte Dirschauer.

Die SPD hat den Änderungsvorschlag als einzige Fraktion nicht mitgezeichnet. Zwar sei man mit den meisten Änderungen „ausdrücklich“ einverstanden, unterstrich die Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli. Aber: Das Recht auf analogen Zugang zu Behörden und Gerichten solle gestrichen werden. „Das ist aus unserer Sicht ein Fehler“, so Midyatli. Ältere Menschen und Menschen mit Behinderung seien nach wie vor auf einen persönlichen oder schriftlichen Kontakt angewiesen: „Die Verfassung darf niemanden ausschließen.“ Zudem habe die holprige Umstellung der Landes-IT auf Open-Source-Produkte gezeigt: „Wir sind noch nicht so weit.“ Dem widersprach CDU-Mann Koch: „Wir wollen unser Bundesland zum Vorreiter in Sachen Digitalisierung machen. Die Aufgabe kann es nicht sein, das Fortbestehen von Papierformularen zu schützen.“

Klimaschutz, Kinderrechte, bezahlbarer Wohnraum, Antidiskriminierung und noch einiges mehr: Die schleswig-holsteinische Landesverfassung soll um eine Reihe von Staatszielen ergänzt werden. Das sieht ein gemeinsamer Antrag von CDU, Grünen, FDP und SSW vor. Es ist die umfangreichste Überarbeitung seit 2014. Über eine Nachschärfung der Verfassung wird seit Längerem öffentlich diskutiert, auch der schwarz-grüne Koalitionsvertrag enthält mehrere entsprechende Ankündigungen. Die FDP will zudem einen Passus einfügen, der eine Investitionsquote im Landeshaushalt von mindestens zehn Prozent vorschreibt. Die SPD ist als einzige Fraktion nicht mit an Bord und bringt einen Änderungsantrag ein.

Die Koalitionsfraktionen sowie Liberale und SSW legen insgesamt zwölf Änderungsvorschläge vor. So sollen „die natürlichen Grundlagen des Lebens“ in die Präambel aufgenommen werden. Der Schutz des Klimas und der Artenvielfalt werden verankert, ebenso wie der „Schutz vor Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Das „kulturelle Erbe“ des Landes wird herausgestellt, „einschließlich der jüdischen Kultur und der Kulturen der nationalen Minderheiten und Volksgruppen“. Zudem soll der Satz „Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden“ eingefügt werden.

SPD mit eigenem Änderungsantrag

Die Kinderrechte, die bereits seit 2007 Verfassungsrang haben, sollen präzisiert werden. So sollen Kinder bei politischen Entscheidungen künftig „in angemessener Weise“ beteiligt werden. Wie das genau geschehen soll, wird laut Entwurf später in einem eigenen Gesetz geregelt. Der bereits festgeschriebene „Schutz pflegebedürftiger Menschen“ soll ergänzt werden um ihre „pflegenden Angehörigen“. Weitere geplante neue Verfassungsinhalte sind der „bezahlbare Wohnraum“ und die „angemessene Infrastruktur“ – dazu zählen demnach Mobilität, Handel sowie Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur. Auch „digitale Basisdienste“ und den „digitalen Zugang zu seinen Behörden und Gerichten“ soll das Land „nach dem Stand der Technik“ garantieren. Zwei Artikel, die den Sanierungspfad gemäß der Schuldenbremse bis 2020 und die allererste Wahl von Landesverfassungsrichtern im Jahr 2008 betreffen, sollen wegfallen, weil sie sich erledigt haben.

Die SPD hat den Änderungsvorschlag als einzige Fraktion nicht mitgezeichnet. Zwar sei man mit den meisten Änderungen einverstanden und habe einige davon sogar entscheidend geprägt, heißt es aus der Fraktion. Aber: „Insbesondere die geplante Streichung des Rechts auf analogen Zugang zu Gerichten und Behörden in Artikel 14 Absatz 2 ist aus unserer Sicht ein Fehler.“ Bisher wird dort der „persönliche“ und „schriftliche“ Kontakt zu den Ämtern erwähnt, und es wird betont: „Niemand darf wegen der Art des Zugangs benachteiligt werden.“ Laut dem Mehrheitsentwurf soll dies ersetzt werden durch den Satz: „Das Land stellt die digitale Teilhabe an dem Zugang zu Behörden und Gerichten (...) für die Bürgerinnen und Bürger sicher, ohne dass dabei jemand benachteiligt werden darf.“ Die Sozialdemokraten fordern in einem Änderungsantrag, die bisherige Formulierung beizubehalten. Insbesondere Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Behinderungen seien auf die persönliche Erörterung ihrer gerichtlichen oder verwaltungsbezogenen Anliegen angewiesen: „Eine Begrenzung auf den digitalen Zugang führt faktisch zu einer Benachteiligung bestimmter Personengruppen.“

FDP fordert Investitionsquote in der Verfassung

Die FDP will zudem in der Landesverfassung festschreiben, dass mindestens zehn Prozent der Ausgaben im Landeshaushalt für Investitionen reserviert werden müssen. Dazu zählen für die Freidemokraten Baumaßnahmen und der Erwerb von Eigentum sowie von Unternehmensbeteiligungen, Wertpapieren, Forderungen und „sonstigem Kapitalvermögen“. Zur Begründung verweist die FDP auf den Sanierungsstau im Lande, der laut einem Regierungsbericht zum Jahresende 2023 insgesamt 15,73 Milliarden Euro betragen hat.

Die Landesverfassung hat 1990 die aus dem Jahr 1949 stammende Landessatzung ersetzt. Seitdem wurde sie mehrfach überarbeitet. Für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Landtag nötig, über die die Koalition aus CDU und Grünen derzeit aus eigener Kraft verfügt.

TOP 2+3:

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, Grüne, FDP, SSW:

Drucksache 20/3684

Gesetzentwurf der FDP-Fraktion:

Drucksache 20/3690

Änderungsantrag der SPD-Fraktion:

– Drucksache 20/03706