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4. Dezember 2025 - Finanz- sowie Wirtschafts- und Digitalisierungsausschuss

Das „Königsrecht“ als Marathonlauf 

Rund 21 Milliarden Euro will die Landesregierung im kommenden Jahr ausgeben. Das geht nur mit der Zustimmung des Parlaments. Wie der Landtag den Haushalt beschließt – eine Reportage.

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Beraten über den Haushalt: Abgeordnete, Regierungsmitglieder und Experten im Ausschuss.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Es ist 11 Uhr an einem Mittwochvormittag im November, und Christian Dirschauer weiß: „Wir haben einen langen Tag vor uns.“ Der SSW-Fraktionschef ist im Nebenamt Vorsitzender des Finanzausschusses, und er blickt voraus auf eine Marathonsitzung. „Ich werde versuchen, strukturiert durch den Tag zu leiten“, sagt er und schaut in die Runde. Etwa 25 Personen sitzen im Karree. Im Schleswig-Holstein-Saal des Landeshauses haben heute die Finanzexperten der fünf Fraktionen gemeinsam mit den Mitgliedern des Wirtschafts- und Digitalisierungsausschusses Platz genommen. Es geht um den Landeshaushalt für das kommende Jahr. Rund 21 Milliarden Euro will die Landesregierung ausgeben – und dafür braucht sie die Zustimmung des Landtages. Die Hoheit über die Finanzen gilt als „Königsrecht“ des Parlaments. Die Regierung muss den Abgeordneten detailliert darlegen, wie viele Euro sie für welchen Zweck einplant. 

16 Einzelpläne umfasst der schleswig-holsteinische Landeshaushalt. Jedes Ministerium hat einen eigenen Posten, zentrale Bereiche wie IT-Technik, Baumaßnahmen oder das Infrastrukturprogramm IMPULS werden gesondert aufgelistet, hinzu kommen der Landtag, das Landesverfassungsgericht und der Landesrechnungshof. Zusammen genommen ergeben die Einzelpläne einen Aktenberg von knapp 2.000 DIN-A4-Seiten. „Wir sind heute am dritten von vier langen Tagen“, stellt Dirschauer fest. „Sie kennen das Prozedere.“ In den vorherigen XXL-Sitzungen war es um Landwirtschaft, Umweltschutz, Justiz und Soziales gegangen. Heute sind die Budgets der Staatskanzlei und des Wirtschaftsministeriums an der Reihe. Dirschauer wendet sich an Staatskanzleichef Dirk Schrödter, der ihm gegenübersitzt: „Sie haben Zeit für ein Eingangsstatement von fünf Minuten!“

Staatskanzlei hat relativ kleinen Haushaltsposten

Der Haushalt hat zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Stationen durchlaufen. Die Ministerien beginnen bereits im Frühjahr mit den Planungen, im August einigt sich das Kabinett auf einen Gesamtentwurf, und im September berät der Landtag darüber in Erster Lesung. Dann beginnt die Kleinarbeit. Die Fraktionen nehmen das Zahlenwerk unter die Lupe, Titel für Titel und Untertitel für Untertitel. Wenn sie Klärungsbedarf sehen, dann haken sie nach. Bis Ende Oktober hat die Regierung Zeit, schriftlich zu antworten, und diese Antworten füllen erneut tausende Seiten. „Die fünf Minuten wurden eingehalten“, freut sich Dirschauer, nachdem der Chef der Staatskanzlei seine Ausführungen beendet hat: „Das ist gut für uns alle.“ Die Staatskanzlei hat einen relativ kleinen Haushaltsposten von rund 46 Millionen Euro. Die Summe fällt in der Regierungszentrale überwiegend für Personal- und Verwaltungskosten an. Dennoch gibt es Fragen – etwa nach einem Sportraum für Mitarbeiter, nach den Kosten der Öffentlichkeitsarbeit und nach einer Finanzspritze für einen Spielmannszug aus dem nordfriesischen Rödemis, der zur Steuben-Parade in New York eingeladen wurde. Schrödter ist zudem für Digitalisierung zuständig, und damit für den Umstieg auf Open-Source-Software, für die Beschaffung von Computern oder die Datensicherheit. Auch zu diesen Themen muss er eine Reihe von Fragen beantworten. 

Als Schrödter alle gewünschten Informationen geliefert hat, ist es 14 Uhr. Die angepeilte Mittagspause fällt für die Abgeordneten aus. Statt Makkaroni oder Chili con Carne in der Landtagskantine gibt es mitgebrachte Müsli-Riegel. Dirschauer gewährt eine fünfzehnminütige Pause: „Aber laufen sie nicht zu weit weg!“ Für das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus stehen anschließend die Staatssekretärinnen Julia Carstens und Susanne Henckel Rede und Antwort. Gut eine Milliarde Euro sind für dieses Ressort eingeplant, etwa fünf Prozent des Gesamtetats. Darunter befindet sich „recht viel Fördergeschäft“, so Carstens in ihrer Einführung. Auch sie hält sich an die Fünf-Minuten-Vorgabe – Dirschauer hatte gemahnt: „Wir lassen nicht zu, dass massiv überzogen wird, weil wir einen ehrgeizigen Zeitplan haben.“

Diskussion um Fördermittelvergabe

 

Nicht nur Abgeordnete, sondern auch Experten und Mitglieder der Landesregierung kommen in den Ausschuss.
Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Nun geht es um größere Summen als ein paar tausend Euro für einen Spielmannszug. 251 Seiten umfassen die Fragen der Fraktionen zum Wirtschaftsressort, und es sind hauptsächlich die Oppositionsvertreter, die Redebedarf anmelden. SPD-Finanzexpertin Beate Raudies ist auf ein Projekt namens „Zentrales Fördermittelmanagement Schleswig-Holstein (ZFM.SH)“ gestoßen, für das 200.000 Euro veranschlagt sind: „Davon habe ich noch nie gehört – was verbirgt sich dahinter?“ Es handele sich um ein „Pilotprojekt“, erwidert Carstens, um die „sehr komplizierte“ Ausschüttung von EU-Fördergeldern zu steuern. Raudies bleibt skeptisch: „Für die Verteilung von Geld ist doch eigentlich das Finanzministerium zuständig.“ 

Die SSW-Abgeordnete Sybilla Nitsch unterstützt zwar, dass 2,5 Millionen Euro für die „Innovationsförderung für schleswig-holsteinische Werften“ vorgesehen sind. Sie kenne mehrere „innovative Projekte in der Schlei-Region“, so Nitsch, aber dort werde über zu viel Bürokratie und „hohe Hürden“ bei den Förderanträgen geklagt. „Es wurde noch kein Projekt abgelehnt, weil kein Geld da war“, antwortet Carstens. Falls es Probleme gebe, bietet sie persönliche Gespräche an. Annabell Krämer (FDP) hat die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur“ als Knackpunkt ausgemacht. Dort biete der Bund 500.000 Euro Fördermittel für das Land an – allerdings muss Schleswig-Holstein die Gelder kofinanzieren. Sprich: Für jeden Euro aus Berlin muss Kiel einen eigenen Euro dazulegen. Doch dafür sind im Landesetat keine Mittel eingeplant. „Man kann doch nicht 500.000 Euro einfach liegen lassen!“, protestiert Krämer. Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter springt der Landesregierung zur Seite. Es wäre schön, wenn das Land diese Summe aufbringen könne, so Petersdotter, „aber im Zuge der Konsolidierung ist das nicht mehr leistbar.“

139 Seiten mit Fragen und Antworten

Das „Königsrecht“ des Parlaments ist in der Öffentlichkeit in erster Linie eine Sache der Opposition. Deren Aufgabe ist es in einem demokratischen System, das Regierungshandeln kritisch zu begleiten und Alternativen aufzuzeigen, um bei der nächsten Wahl im Idealfall selbst in Regierungsverantwortung zu kommen. Doch auch die Vertreter der Koalitionsfraktionen CDU und Grüne, die im Saal der Opposition gegenübersitzen, sind konzentriert dabei. Und auch sie haben Fragen zum Haushaltsentwurf eingereicht. So interessieren sich die Grünen für die Wiederbelebung von Bahnstrecken, den Radwegebau und die Kosten der Straßenverwaltung. Die CDU holt Informationen zum Digital-Ausbau im ländlichen Raum, zu den Planungskosten der Marschbahn nach Sylt oder zu den S-Bahnen am Hamburger Rand ein. Allerdings geben sich die Koalitionäre in der Regel mit der schriftlichen Antwort zufrieden und nehmen ihre Regierungsvertreter nicht ins Verhör. 

Die 251 Seiten zum Wirtschaftsministerium sind um 17:55 Uhr abgearbeitet, und Dirschauer gestattet „eine kurze Bewegungspause“ von zehn Minuten, verbunden mit der Ankündigung: „Ich fange pünktlich wieder an!“ Letzter Tagesordnungspunkt an diesem Tag ist der Etat des Energiewende- und Umweltministeriums. Aus diesem Bereich waren am vorherigen Freitag noch 139 Seiten mit Fragen und Antworten übrig geblieben. Staatssekretär Joschka Knuth beschränkt sein Einführungsstatement auf wenige Sätze. Die Abgeordneten schenken sich Kaffee ein, vertiefen sich in ihre Aktenordner und Laptops und stellen erneut ihre Fragen – diesmal zu Stromleitungen, Klimaschutz und kommunaler Wärmeplanung. Um 19:20 Uhr blickt Dirschauer ein letztes Mal in die Runde und kann bekanntgeben: „Tschüss und bis morgen!“ Denn der Haushaltsmarathon geht am folgenden Donnerstag in die letzte Runde. Dann werden die Gelder des Innen-, des Bildungs- und des Finanzministeriums verhandelt. Erneut ist ein ganzer Tag angesetzt, die schriftlichen Fragen und Antworten füllen insgesamt 798 Seiten.

Nach getaner Arbeit kommt noch mehr Arbeit

Und auch danach bleibt noch ein langer Weg, bis Schleswig-Holstein einen Haushalt für 2026 hat. Denn in der Woche nach den vier Marathonsitzungen legt die Landesregierung ihre Nachschiebeliste vor, mit der sie ihren Entwurf nachschärft und Änderungen im zweistelligen Millionenbereich vornimmt. Das Frage- und Antwort-Spiel beginnt danach erneut – sowohl mündlich als auch schriftlich. Anschließend haben die Fraktionen eine Woche Zeit, um ihre eigenen Änderungsanträge zu formulieren. Die Opposition nutzt dieses Instrument, um Gegenposition zur Landesregierung zu beziehen. Die Papiere aus Regierung und Fraktionen sind Anfang Dezember ein letztes Mal Thema im Finanzausschuss. Die Koalition beschließt dabei in aller Regel ihre eigenen Vorschläge. Aus der Opposition hatte in den vergangenen Jahren der SSW die größte Chance, eigene Projekte mit Hilfe der Mehrheitsparteien durchzubringen. Mitte Dezember folgt schließlich die endgültige Beschlussfassung im Landtagsplenum. Die Debatte dauert dann erneut einen ganzen Tag, davon verschlingen allein die Abstimmungen über die zahlreichen Anträge mehr als eine Stunde. 

Und im Frühjahr beginnt der Prozess von vorne, denn auch 2027 braucht das Land einen Haushalt. Christian Dirschauer wird als Finanzausschussvorsitzender wieder aufs Tempo drücken, um rechtzeitig vor Weihnachten fertig zu sein.

 

Die Anwesenheit aller Ausschussteilnehmenden muss per Unterschrift dokumentiert werden.
Foto: Landtag, Sönke Ehlers