Schleswig-Holstein zum Beginn des 21. Jahrhunderts: Es wird geraucht. Angestellte qualmen in ihren Büros, Schüler paffen in der Raucherecke, Zugreisende rollen im Raucherabteil durch die Landschaft, und Restaurantgäste zünden sich nach dem Hauptgang einen Glimmstängel an. Heutzutage, 25 Jahre später, ist der blaue Dunst weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Bis Teer und Nikotin aus der schleswig-holsteinischen Luft verbannt waren, dauerte es allerdings mehr als sechs Jahre.
Den Aufschlag machte die CDU-Abgeordnete Frauke Tengler im November 2001 mit ihrer Forderung nach rauchfreien Schulen. Die damals oppositionelle Christdemokratin rief die rot-grüne Koalition auf, das Rauchen „im gesamten Schulgebäude, auf dem Schulhof und bei Schulveranstaltungen“ zu verbieten – außer, die Schulkonferenz beschließt Ausnahmen. „Wenn wir Kinder und Jugendliche vor der Sucht schützen wollen, dann ist die Umsetzung unseres Antrages ein Beitrag dazu und der Anfang vom Ende der Kapitulation vor dem Rauchen an unseren Schulen“, so Tengler im Landtag.
Rauchfreie Schulen seit 2005
Die Koalition reagierte skeptisch. „Was aber passiert, wenn wir Verbote erlassen?“, fragte die Grünen-Abgeordnete Angelika Birk. „Es wird auf den Toiletten geraucht, und es wird auf der Straße gegenüber geraucht.“ Ihre Folgerung: „Wenn wir hier überregulieren, dann erreichen wir gar nichts.“ Es blieb bis auf Weiteres den Schulen selbst überlassen, wie sie mit den Rauchern in Schüler- und Lehrerschaft umgingen. Die rauchfreie Schule kam schließlich Ende 2005 – per Erlass der neuen Landesregierung aus CDU und SPD.
Im Dezember 2005 setzten die Grünen, inzwischen in der Opposition, das Thema erneut auf die Agenda. Sie forderten, den Qualm aus „allen Gebäuden der Landesregierung und nachgelagerter Behörden“ zu verbannen. Auch im Landeshaus, wo Aschenbecher in der Vorhalle des Plenarsaals bereitstanden, sollten nach Vorstellung der Grünen keine Zigaretten mehr entzündet werden. „Abgeordnete, insbesondere bei Plenarsitzungen, geben ein denkbar schlechtes Bild ab“, so die Grünen-Parlamentarierin Monika Heinold. „Besuchergruppen, darunter sehr viele Schülergruppen, stoßen als Erstes auf rauchende Abgeordnete und Minister, wenn sie in einer Plenarwoche zu uns kommen.“ FDP-Sozialexperte Heiner Garg, nach eigener Aussage „ein ehemaliger Raucher, der seit viereinhalb Jahren nicht mehr raucht“, warnte dagegen vor einer „permanenten Diskriminierung von Rauchern“. Das sei „verfehlt angesichts der Tatsache, dass im Bundeshaushalt 2004 fast 14 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Tabaksteuer fließen“.
Grünen-T-Shirts erhitzen die Gemüter
Die Grünen-Fraktion untermauerte ihre Forderung mit einer Aktion im Plenarsaal. Die vier Abgeordneten trugen T-Shirts, auf denen eine durchgestrichene Zigarette zu sehen war. So etwas sei „Bestandteil von politischer Kultur“ und gehöre „zur Demokratie dazu“, betonte Karl-Martin Hentschel (Grüne), der zudem gestand: „Ich rauche seit 30 Jahren.“
In den anderen Fraktionen reagierte man mit Ablehnung und Spott. CDU-Fraktionschef Johann Wadephul, nach eigenem Bekenntnis „ebenfalls ehemaliger Raucher“, erinnerte an die „Würde des Hauses“. Das Parlament dürfe „nicht zu einer Klamaukbude verkommen“. Sein FDP-Kollege Wolfgang Kubicki („Ich bin Nichtraucher“) rief dazu auf, „dass wir uns hier im Haus nicht mit solchen demonstrativen Aktionen belästigen“. Entspannter zeigte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Holger Astrup („Vor Ihnen steht ein bekennender Raucher“). Mit Blick auf die Grünen in ihren T-Shirts merkte er an: „Einige sehen besser aus als sonst.“ Persönlich enttäuscht äußerte sich Astrup jedoch über einen Grünen-Kollegen: „Karl-Martin Hentschel kriegt im Gegensatz zur Vergangenheit von mir nie wieder eine Zigarette!“ Landtagspräsident Martin Kayenburg kündigte „eine sehr deutliche Auseinandersetzung im Ältestenrat“ über die Protest-T-Shirts an.
Kontroversen über die Gastronomie
Nach dem Grünen-Vorstoß wurde auch die Landesregierung aktiv und legte im Juni 2007 einen Entwurf für ein umfangreiches Nichtraucherschutzgesetz vor. Viele der Punkte waren inzwischen unstrittig: ein absolutes Rauchverbot in Kindergärten, Schulen, Sporthallen, Unis, Kliniken, Theatern und Museen. Heftige Kontroversen gab es aber über die Gastronomie. Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) wollte das Rauchen in Kneipen und Restaurants weitgehend untersagen. Ausnahmen sollte es aber für „abgeschlossene Nebenräume“ geben, die „baulich so wirksam abgetrennt werden, dass eine Gesundheitsgefahr für andere durch passives Rauchen verhindert wird“. Dies sei ein „guter und praktikabler Kompromiss“, so Trauernicht im Juli 2007 im Landtag. Bei Verstößen wurde eine Strafe von bis zu 4.000 Euro angedroht. Das Gesetz sei „löchrig“, urteilte dagegen die Grünen-Politikerin Heinold. Das Recht der Beschäftigten auf einen „rauchfreien Arbeitsplatz“ werde nicht erfüllt.
FDP-Mann Garg ging der Plan hingegen viel zu weit: „Die Landesregierung dehnt den Begriff des öffentlichen Raumes willkürlich auf private Angebote an die Öffentlichkeit aus.“ Eine Eckkneipe sei etwas anderes als ein Finanzamt oder ein Krankenhaus. Die Liberalen machten sich dafür stark, das Rauchen weiter zu erlauben, sofern Lokale sich als „Raucher-Gaststätte“ oder „Raucher-Disco“ kennzeichnen. Und: Die Raucherlaubnis sollte nach Willen der FDP auch in Bars gelten, die über leistungsstarke Entlüftungsanlagen verfügen. Ähnlich wie die Freidemokraten argumentierten Wirtschaftsverbände. Insbesondere der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA fürchtete eine Pleitewelle bei kleinen Kneipen ohne Nebenraum. Der Verband war kritischer Begleiter der weiteren Beratungen im Sozialausschuss.
Ausnahmen für Eckkneipen
Die Proteste zeigten Wirkung. Als der Landtag im November 2007 abschließend beriet, enthielt das Gesetz weitere Ausnahmen für die Branche, die bis heute gelten. Eckkneipen mit weniger als 75 Quadratmetern Fläche dürfen seitdem „Raucherkneipen“ bleiben, wenn sie keine Speisen anbieten und wenn Kinder und Jugendliche vor der Tür bleiben. Auf Hochzeitsfeiern in Landgasthöfen darf ebenfalls geraucht werden, wenn das Brautpaar in einen „Nebenraum“ lädt – auch, wenn dieser „Nebenraum“ größer ist als der Rest des Gasthofs. Und auch in Festzelten darf gequalmt werden, wenn sie nicht länger als 21 Tage am selben Ort stehen. Die Höchststrafe wurde auf 1.000 Euro gesenkt.
Trotz der Aufweichungen sprach die CDU-Abgeordnete Tengler von einem „Riesenschritt nach vorn“. Schleswig-Holstein bekomme ein „liberales, guten Nichtraucherschutzgesetz“. Ihr SPD-Kollege Peter Eichstädt äußerte sich ähnlich positiv: „Nun wird endgültig der Paradigmenwechsel eingeläutet, der das Rauchen von Nikotin zur Ausnahme und das Nichtrauchen sowie den Schutz vor passivem Rauchen zur Regel macht.“ Zum 1. Januar 2008 trat das Gesetz in Kraft.
Aus der Opposition kam erneut Kritik. Lars Harms (SSW) monierte das „Einknicken der Großen Koalition und der Regierung vor Lobby-Gruppen“ und forderte einen konsequenteren „Nichtraucherschutz ohne weitgehende Ausnahmen“. Wer rauchen wolle, könne dies privat tun, so Harms – „da regelt der Staat überhaupt nichts“. In öffentlich zugänglichen Räumen solle der blaue Dunst aber grundsätzlich untersagt werden, so Harms.
Andere Länder, andere Regeln
Wie in Schleswig-Holstein, so wurde auch in anderen Bundesländern vehement gestritten. Das Gaststättenrecht war mit der Föderalismusreform 2006 an die Länder gegangen. Ähnlich liberal wie Schleswig-Holstein verfahren die Nachbarn Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen. Die Nord-Regierungschefs sprachen sich ab, um einem Raucher-Tourismus über die Landesgrenzen und einer Pleitewelle in grenznahen Lokalen vorzubeugen. Einen anderen Kurs sind etwa Bayern, Nordrhein-Westfalen und das Saarland gegangen. Dort herrscht ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie.
Karsten Blaas