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Bessere Suchthilfe für Jugendliche und junge Erwachsene

Bundesweit gibt es nur insgesamt 240 Plätze, aufgeteilt auf 20 Einrichtungen in der stationären Suchtbehandlung für Jugendliche und junge Erwachsene. Es herrscht eine flächendeckende Unterversorgung. Wir benötigen mehr stationäre und ambulante Suchthilfen für die genannte Altersgruppe. Der Großteil der schädlich konsumierenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen weist eine Doppeldiagnose auf, d.h. der Ursprung ist in einer seelischen/psychischen Erkrankung zu erklären. Der Konsum ist eine Flucht vor den eigenen Emotionen, seelischen Schmerzen, Anforderungen der Gesellschaft usw.. Häufig entwickeln sich durch den Konsum - insbesondere durch Cannabis - psychiatrische Erkrankungen wie Psychosen, Angststörungen, Schizophrenie usw. Der Griff zu Benzodiazepinen oder auch sedierenden Opiaten ist die Folge. Konsum wird zur Überlebensstrategie.
Es dauert, bis ein Jugendlicher / junger Erwachsener sich selber eingesteht, dass eine lebensbedrohliche Sucht entstanden ist. Häufig sind die Jugendlichen dann bereits in einem desolaten psychischen und körperlichen Zustand und benötigen sofortige Hilfe. Die Wartezeit auf einen freien Platz in einer Entzugs- und Therapieklinik wird zu einem Kampf auf Leben und Tod. Sie sterben, weil sie die Wartezeit nicht mehr schaffen. Trotz Einweisungenscheinen und akuten Psychosen. Das ist ein nicht akzeptabler Zustand. Jeder einzelne Todesfall ist einer Zuviel und wäre vermeidbar, wenn genügend Ressourcen vorhanden wären. Ein Kind stirbt, weil es keine akute Hilfe erhält aufgrund Unterversorgung.
Wie der Bundesdrogenbeauftragte Herr Burkhard Blienert jüngst mitteilte, haben wir im Jahr 2023 soviele registrierte Drogentote wie noch nie gehabt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Weiterhin fordert Herr Blienert aus, dass die Prävention und Hilfe vor Ort fit gemacht werden muss. Insbesondes gefährdete Jugendliche müssen früh und konsequent unterstützt werden. Sie dürfen nicht einfach abgeschrieben werden. Denn genau das ist es, was in der Realität passiert. Die Jugendlichen werden von öffentlichen Stellen und den Hilfesystemen abgeschrieben. Die Familien werden alleine gelassen und unterliegen einem großen Stigmata.
Es bedarf mehr Mittel für Präventionsarbeit, Entzugskliniken, Therapieplätzen sowie Anlaufstellen für akute Notfälle wo die Jugendlichen sofort medizinisch versorgt werden können. Sowas leistet keine Notaufnahme.
Der Petitionsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages hat die von 2.053 Personen unterstützte öffentliche Petition auf der Grundlage der von der Petentin vorgetragenen Gesichtspunkte und Stellungnahmen des Ministeriums für Justiz und Gesundheit beraten.
Mit der öffentlichen Petition wird eine grundsätzliche Verbesserung der stationären und ambulanten Suchthilfe für Jugendliche und junge Erwachsene gefordert. Die aus einer vermuteten Unterversorgung resultierende lange Wartezeit auf einen freien Platz in einer Entzugs- und Therapieklinik sei für suchtkranke Jugendliche und junge Erwachsene oft lebensgefährlich. Es müssten daher mehr stationäre und ambulante Suchthilfen für die genannte Altersgruppe eingerichtet werden. In der Versorgung müsse der für die Betroffenen lebensgefährliche Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen berücksichtigt werden. Die Behandlung der Betroffenen müsse sich an dem lebensbedrohlichen Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen ausrichten. Bei dem Substanzmissbrauch stelle insbesondere der Konsum von Benzodiazepinen oder Opiaten ein großes Risiko dar. Diese seien aktuell viel zu einfach zu beschaffen und sollten zukünftig ausschließlich über Betäubungsmittelrezepte verordnet werden. Um suchtkranke Kinder und Jugendliche nachhaltig zu unterstützen, seien außerdem niedrigschwellige Präventionsarbeit und Hilfe vor Ort sowie Maßnahmen gegen eine Stigmatisierung der Betroffenen und ihrer Familien erforderlich.
Der Petitionsausschuss stimmt der Petentin zu, dass insbesondere für psychisch erkrankte Menschen spezielle Therapieangebote sowie ein besonders niedrigschwelliger Zugang zu geeigneten Leistungen von hoher Relevanz sind. Oft ist die Hemmschwelle hoch, über psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen zu sprechen und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Auch vor dem Hintergrund der von der Petentin zu Recht benannten schweren gesundheitlichen Risiken durch einen Substanzmissbrauch müssen Hilfestellen bekannt und schnell verfügbar sein.
Hinsichtlich der Versorgungsstrukturen in Schleswig-Holstein verweist das Ministerium zunächst auf den Landeskrankenhausplan. Dieser verfolgt das Ziel, eine umfassende und flächendeckende stationäre Versorgung mit Krankenhausleistungen sicherzustellen. Der Plan kann auf der Internetseite der Landesregierung abgerufen werden (Themen ÿ Gesundheit & Verbraucherschutz ÿ Gesundheitsversorgung ÿ Krankenhäuser ÿ Krankenhausplan). Der Landeskrankenhausplan weist Planbetten und tagesklinische Kapazitäten im Bereich der Psychiatrie, Psychosomatik und Kinder- und Jugendpsychiatrie aus. Im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren beziehungsweise in einigen Fällen auch bis zu einem Alter von 21 Jahren, behandelt, stehen an den Standorten in Schleswig, Kiel, Lübeck und Elmshorn 275 Planbetten sowie 128 tagesklinische Plätze zur Verfügung. Der Petitionsausschuss begrüßt, dass im Rahmen einer Erweiterung der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Zentrum für Integrative Psychiatrie Kiel die Errichtung einer Adoleszenz-Station vorgesehen ist. Diese ermöglicht eine Behandlung über das 18. Lebensjahr hinaus und kann somit die sonst üblichen Behandlungsbrüche zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Erwachsenenpsychiatrie reduzieren und auch junge Erwachsene in einem altersgerechten Umfeld behandeln.
Darüber hinaus betont das Ministerium, dass ein Krankenhaus mit einem entsprechenden Versorgungsauftrag bei Bedarf grundsätzlich zur Versorgung von Patientinnen und Patienten verpflichtet ist. Notfallpatientinnen und Notfallpatienten, von denen im Falle einer psychiatrischen Erkrankung eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung ausgeht, gilt es vorrangig zu behandeln. Ferner kann die Behandlung von Suchterkrankten in sogenannten psychiatrischen Institutsambulanzen erfolgen. Diese erbringen Leistungen insbesondere für psychisch Kranke, die wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Erkrankung ein besonderes, krankenhausnahes Versorgungsangebot bedürfen.
Der Petitionsausschuss nimmt zur Kenntnis, dass gegenwärtig in Schleswig-Holstein basierend auf der Krankenhausreform des Bundes eine grundlegende Neuaufstellung des Landeskrankenhausplans vorgesehen ist. Hinzu wurde unter anderem eine extern erstellte Versorgungsbedarfsanalyse der aktuellen und zukünftigen medizinischen Versorgungslage in Schleswig-Holstein beigezogen. Hinsichtlich der tatsächlichen Behandlungen hat die Analyse gezeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich Spitzenreiter im Hinblick auf die Bettenanzahl pro Einwohnern ist und dass Schleswig-Holstein im Vergleich von deutschen Regionen untereinander die bestversorgte Region innerhalb Deutschlands ist. Die Zahlen der Versorgung mit ambulanten Versorgungskapazitäten, die von der Kassenärztlichen Vereinigung zur Verfügung gestellt worden sind, zeigen, dass in Schleswig-Holstein eine über 100-prozentige Versorgung gegeben ist. Im Vergleich mit anderen Regionen Deutschlands gibt es in Schleswig-Holstein besonders im stationären Bereich eher eine Überversorgung.
Das Gesundheitsministerium problematisiert jedoch, dass im Rahmen der Versorgungsbedarfsanalyse zwar die erfolgte stationäre und teilstationäre Versorgung erfasst werden konnte, dies aber nicht zwingend dem gesamten tatsächlichen Bedarf entspricht. So lassen sich Wartezeiten im bestehenden Daten- und Abrechnungssystem nicht erheben. Der Ausschuss begrüßt, dass die Landesregierung versuchen wird, die wahrgenommenen Schwierigkeiten in die Planung mit einzubeziehen. Er befürwortet den aus der Befassung des Sozialausschusses mit dieser Thematik resultierenden Vorschlag, Wartezeiten auf einen Therapieplatz durch Erhebungen in Arztpraxen oder beim sozialpsychiatrischen Dienst zu erfassen. Eine weitere dem Ministerium bekannte und in der Planung zu berücksichtigende Problematik stellen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen relevante Wegzeiten bei tagesklinischen und ambulanten Angeboten dar. Ferner bedürfen Suchterkrankte einer besonderen Flexibilität in den Behandlungsangeboten der verschiedenen Leistungserbringer, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht immer gegeben ist.
Hinsichtlich der von der Petentin geforderten Berücksichtigung mögliche Doppeldiagnosen ist festzuhalten, dass diese in der ärztlichen, insbesondere psychiatrischen Befunderhebung und Behandlung bereits Berücksichtigung finden. Sie treten im Kontext einer Sucherkrankung häufig auf und können sich – beispielsweise bei Depression und Sucht oder drogeninduzierten Psychosen – gegenseitig bedingen. Diese Doppeldiagnosen werden aktuell in unterschiedlichen, multidisziplinären Versorgungsangeboten je nach Motivations- und Erkrankungsstadium im ambulanten oder stationären Setting behandelt.
Eine Kernproblematik bleibt jedoch die Bereitschaft Betroffener, die Erkrankung als solche anzuerkennen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Ausschuss unterstreicht, dass dem Bereich der Prävention und Beratung damit eine zentrale Funktion im Hilfesystem zukommt. Die hierzu beteiligte Landesstelle für Suchtfragen Schleswig-Holstein e.V. teilt mit, dass das ambulante Suchthilfesystem in Schleswig-Holstein grundsätzlich gut aufgestellt sei. Dies zeige sich beispielsweise an den geringen Wartezeiten für einen Beratungstermin. In der ambulanten Suchthilfe biete jede Suchtberatungsstelle in Schleswig-Holstein Beratung für Betroffene und Angehörige an, dies schließt die Beratung von Eltern von Kindern mit problematischem Konsum ein. Suchtberatungsstellen gibt es in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt in Schleswig-Holstein. Darüber hinaus bietet eine online-Plattform (www.suchtberatung-sh.de) einen Zugang zu Angeboten und Informationen zur Suchthilfe und Suchtprävention. Zudem können Hilfesuchende und Angehörige über diese Internetseite anonym und kostenfrei die digitalen Suchtberatungsangebote nutzen.
Der Ausschuss zeigt sich besorgt darüber, dass vor allem für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen weiterhin Lücken im System bestehen. Für diese Gruppe wären mehr Angebote der aufsuchenden Suchthilfe hilfreich. Die Landesstelle für Suchtfragen betont, dass insbesondere spezielle Angebote für junge und sehr junge Konsumierende, gerade wenn sie sich noch nicht für eine Abstinenz entscheiden können, auszubauen sind. Wie von der Petentin problematisiert, bestehen große Hemmungen aufseiten der Betroffenen, von sich aus bereits bestehende Hilfsangebote anzunehmen.
Hinsichtlich des durch die Petentin hervorgehobenen Substanzmissbrauchs von Benzodiazepinen oder Opiaten stellt der Ausschuss fest, dass letztere bereits zum jetzigen Zeitpunkt ausschließlich über Betäubungsmittelrezepte verordnet werden. Benzodiazepine gelten aufgrund ihres suchterzeugenden Potentials ebenfalls als Betäubungsmittel, sind allerdings als abteilungsfähige Darreichungsformen, wie beispielsweise Tabletten und Ampullen, von dem Geltungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen. Sie werden bei einem qualifizierten Alkoholentzug, der Sedierung bei einer bevorstehenden Operation, der Akutbehandlung bei einem schweren epileptischen Anfall oder als Beruhigungsmittel im Rettungsdienst eingesetzt. Eine Analyse der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein zeigt eine leichte Aufwärtsentwicklung bei den Benzodiazepinen, wohingegen die Opioid-Verordnungen deutlich abnehmen.
Die gesetzliche Krankenversicherung handhabt die Kostenübernahme sehr restriktiv und trägt in der Regel nur für Kurzzeittherapien die Therapiekosten. Daher werden Benzodiazepine insbesondere bei nicht ausreichend begründeter Indikation häufig auf Privatrezept verordnet. Die Anzahl der Verordnungen auf einem Privatrezept wird bislang weder von der Apothekerkammer noch von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein erfasst.
Die beteiligte Ärztekammer Schleswig-Holstein befindet eine engere Steuerung der Verordnung von Arzneimitteln wie Benzodiazepine sowie anderer Medikamente dieser Art mit hohem Suchtpotential für sinnvoll. Insbesondere für Kinder bis 18 Jahren wird das Erfordernis eines Betäubungsmittelrezeptes aus medizinischer Sicht unterstützt. Erforderlich ist eine Lösung, die Missbrauch weiter erschwert. Zugleich dürfen Verordnungen dort, wo sie medizinisch begründet sind, nicht bürokratisiert oder unter einen falschen Verdacht gestellt werden.
Die Digitalisierung könnte zwar grundsätzlich helfen, ein „Ärzte-Hopping“ mit dem Ziel der missbräuchlichen Erlangung dieser Verordnungen zu unterbinden. Allerdings weist die Ärztekammer darauf hin, dass die elektronische Patientenakte dies nicht leisten könne, da Patientinnen und Patienten die vorgesehene elektronische Medikationsliste sperren können. Auch andere Ausweichreaktionen wie Apothekenwechsel wären denkbar.
Von zentraler Bedeutung ist ein rationales und restriktives Verordnungsverhalten der Ärztinnen und Ärzte. Die Ärztekammer Schleswig-Holstein leistet Aufklärungsarbeit und appelliert an die verordnenden Ärztinnen und Ärzte, bei der Verschreibung von Benzodiazepinen gewissenhaft die Indikation für die Verschreibung eines Medikaments zu stellen. Nebenwirkungen, Kontraindikationen und das Suchtpotential sind zu beachten. Benzodiazepine sollten nur gezielt und so kurzfristig wie möglich angeordnet werden. Darüber hinaus weist die Ärztekammer im Rahmen von Fortbildungen immer wieder auf die Gefahren von Benzodiazepinen und auf die Notwendigkeit hin, niedrige Packungsgrößen zu rezeptieren, um das Missbrauchsrisiko zu minimieren.
Die Ärzte- und Apothekerkammer Schleswig-Holstein haben hierzu in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein „Gemeinsame Handlungsempfehlungen zur Verordnung und Abgabe von Benzodiazepinen und deren Analoga“ erarbeitet, die Hinweise zur Verschreibung von Benzodiazepinen, zum Umgang, zum Erkennen sowie zur Therapie bei Benzodiazepinabhängigkeit enthalten. Diese Empfehlungen sind auf den Internetseiten der Ärzte- und Apothekerkammer sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein abrufbar. Die Fortbildung „Deep Sleep – sichere Verordnung von Benzodiazepinen“ schult Ärzte und Apotheker darin, eine Abhängigkeit frühzeitig zu erkennen und eine Suchtspirale rechtzeitig zu durchbrechen. Der Petitionsausschuss empfiehlt, weiterhin und verstärkt auf entsprechende Informationsangebote hinzuweisen.
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Zuständigkeit für Regelungen, die die Verordnung von Betäubungsmitteln betreffen, auf Bundesebene liegt, insbesondere beim Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Das Erfordernis eines Betäubungsmittelrezeptes für Benzodiazepine kann daher nicht durch das Land festgelegt werden.
Der Petitionsausschuss unterstreicht, dass die Petentin mit ihrer Eingabe auf wichtige Herausforderungen des Suchthilfesystems aufmerksam macht. Hierzu zählen nach Auffassung des Ausschusses insbesondere die Bereitstellung ausreichender Kapazitäten klinischer, tagesklinischer und ambulanter Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Berücksichtigung von Wegzeiten bei der Neuaufstellung des Landeskrankenhausplans, der Ausbau spezieller aufsuchender Beratungsangebote für junge und sehr junge Konsumierende sowie eine Sensibilisierung bei dem Umgang. Der Ausschuss beschließt im Ergebnis seiner Beratung, die Petition an den Sozialausschuss weiterzuleiten, und bittet diesen um eine Befassung mit den genannten Punkten.
Die Veröffentlichung des Beschlusses erfolgt vorbehaltlich der Bestätigung der Erledigung der Petition durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag. Die Bestätigung erfolgt in einer der nächsten Tagungen.