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Zugang zum Recht erhalten - Arbeits- und Sozialgerichte sichern

Die Landesregierung hat beschlossen, das Modell der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Arbeits- und die Sozialgerichtsbarkeit zu übertragen (siehe u.a.: schleswig-holstein.de - Ministerium für Justiz und Gesundheit - Justizministerin Kerstin von der Decken zur Gerichtsstrukturreform), das heißt, alle Arbeits- und Sozialgerichte sollen an einem Standort im Land zusammengefasst werden.
Diese Petition setzt sich für den Erhalt des Zugangs zum Recht und der Sicherung der Arbeits- und Sozialgerichte in den Regionen in Schleswig-Holstein ein. Unsere Gerichte müssen, weil der Rechtsschutz Verfassungsrang hat, für alle Menschen im Land erreichbar sein. All jene, die diesem Standpunkt zustimmen, bitten wir um Mitzeichnung der online-Petition beim Schleswig-Holsteinischen Landtag.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gerichte und aller Gehaltsklassen sollen künftig in Neumünster arbeiten.
Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sollen künftig in Neumünster arbeiten.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht haben, sollen nach Neumünster fahren. Da kostet dann ein Verfahren mit Fahrzeit einen halben Tag anstelle einer halben Stunde.
Behinderte müssen für ihre Verfahren nach Neumünster fahren.
Zeugen und Sachverständige haben weitere Wege.
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen künftig erheblich mehr unproduktive Zeit im Auto verbringen.
Der Staat beabsichtigt für eine seiner Kernaufgaben die Kosten auf Mitarbeitende, Anwaltschaft, Zeugen, Sachverständige, Klagende und Verfahrensbeteiligte zu verlagern. In bisher nie dagewesener Weise greift er massiv in die Gestaltung des Arbeitsalltags ein.
Genauso bedenklich und mit Verfassungsrang versehen, ist die massive Erschwerung des Zugangs zum Recht durch ein örtlich entferntes Gericht. Rechtschutz wird erheblich erschwert. Der Petitionsausschuss wird gebeten sich mit dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf einen einfachen und leichten Zugang zum Recht auseinander zu setzen.
Der Petitionsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages hat die öffentliche Petition, die von 4.345 Personen mitgezeichnet wurde, aufgrund des Vorbringens des Petenten und der in der gemeinsam mit dem Innen- und Rechtsausschuss durchgeführten öffentlichen Anhörung am 6. November 2024 vorgetragenen Argumente sowie unter Hinzuziehung zweier Stellungnahmen des Ministeriums für Justiz und Gesundheit eingehend geprüft und beraten.
Die Petition richtet sich gegen die von der Landesregierung geplante Fachgerichtsstrukturreform, die zunächst eine landesweite Konzentration der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit an jeweils einem Standort vorsah. Der Petent wendet sich gegen die Aufgabe dezentraler Gerichtsstandorte und befürchtet insbesondere eine erhebliche Erschwerung des Zugangs zum Recht für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, eine Schwächung der Fachgerichtsbarkeit sowie nachteilige Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und der Anwaltschaft.
Seitens des Justizministeriums wird zur Begründung der Neustrukturierung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit auf die haushalterischen Zwänge verwiesen. Durch die Zusammenlegung von Standorten könnten Einsparungen bei Liegenschaften und Synergien beim Personaleinsatz erzielt werden.
Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich, dass die Landesregierung infolge der öffentlichen Kritik und der Anhörung von der ursprünglich beabsichtigten vollständigen Zentralisierung Abstand genommen und mit dem Gesetzentwurf zur Fachgerichtsstrukturreform (Landtags-Drucksache 20/3410) ein überarbeitetes Konzept vorgelegt hat. Dieses sieht vor, bestimmte bisherige Standorte als auswärtige Kammern (Arbeitsgerichte) oder Zweigstellen (Sozialgerichte) zu erhalten. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, die gerichtliche Präsenz in der Fläche zumindest teilweise zu wahren und eine stärkere Flexibilität bei der Ausgestaltung der Organisation zu ermöglichen. Das Justizministerium sieht den Vorteil in der Schaffung größerer Einheiten darin, den Ausfall einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser zu kompensieren. Zugleich wird eine bedarfsorientierte Ausstattung an Personal sowie der Abbau von bestehenden Überdeckungen möglich. Die Konzentration sei sachlich geboten und orientiere sich an der Struktur der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun ein gestuftes Verfahren mit Übergangsfristen bis Ende 2027 vorgesehen ist. Es ist positiv zu bewerten, dass trotz geplanter Aufhebungen von Standorten die Einrichtung auswärtiger Kammern in Flensburg und Itzehoe sowie von Zweigstellen in Lübeck und Schleswig vorgesehen ist. Auch die Einbindung der Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten in die neue Planung stellt eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Verfahren dar, das ohne frühzeitige und umfassende Kommunikation und Beteiligung auf den Weg gebracht worden war.
Die Anhörung hat aus Sicht des Ausschusses deutlich gemacht, dass die zunächst beabsichtigte Strukturreform zahlreiche ungelöste Folgefragen aufwarf. Dazu gehören insbesondere die Belastbarkeit der errechneten Einsparmaßnahmen, die Auswirkungen auf die Gerichtsorganisation und das Personal sowie die Frage, wie eine tatsächlich gleichwertige Erreichbarkeit der Gerichtsbarkeit auch in der Fläche gewährleistet werden kann.
Aus Sicht des Petenten wird durch eine Konzentration der Standworte insbesondere in der Sozialgerichtsbarkeit das grundrechtlich geschützte Ziel eines niedrigschwelligen Zugangs zum Recht faktisch unterlaufen. Der Ausschuss befürchtet ebenso wie der Petent, dass gerade Personen mit geringen finanziellen Mitteln, mit gesundheitlichen Einschränkungen oder mit Betreuungsverpflichtungen von der Wahrnehmung ihrer Rechte abgehalten werden könnten.
Die in der öffentlichen Anhörung von Vertretern der Anwaltschaft, der Richterschaft, der Sozialverbände sowie der Beschäftigtenvertretungen vorgebrachten Bedenken wie den Wegfall wohnortnaher Möglichkeiten für ehrenamtliche Richterinnen und Richter, als auch das hohe Risiko, dass durch die Zentralisierung qualifiziertes Personal, insbesondere im nichtrichterlichen Dienst, verloren gehen könnte, kann der Ausschuss nachvollziehen. Dies gilt auch für die Befürchtung, dass für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Sachverständige und Zeugen deutlich höhere Zeit- und Kostenaufwände entstehen können.
Der Petitionsausschuss erkennt an, dass strukturelle Reformen in der Justiz angesichts begrenzter Ressourcen notwendig sein können. Zugleich betont er, dass gerade im Bereich der Fachgerichtsbarkeit – speziell in der Sozialgerichtsbarkeit – besondere Anforderungen an die Erreichbarkeit und die niederschwellige Zugänglichkeit bestehen. Der Ausschuss teilt die Einschätzung, dass eine rein formale Sicherstellung des Zugangs zum Recht nicht ausreicht, wenn dieser für große Teile der Bevölkerung faktisch erschwert wird. Auch das Prinzip der Ehrenamtlichkeit in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit verlangt nach einer ausreichenden räumlichen Nähe zu den Gerichtsstandorten.
Der Ausschuss stellt fest, dass die Landesregierung eine modifizierte Reform auf den Weg gebracht hat. Diese berücksichtigt erstmals in der gesetzlichen Ausgestaltung die Einrichtung von Zweigstellen und auswärtigen Kammern.
Gleichwohl betont der Ausschuss nachdrücklich, dass Reformen dieser Tragweite frühzeitig, transparent und unter Einbeziehung aller betroffenen Akteure vorbereitet werden müssen. Nur auf diese Weise kann das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit der Justiz gewahrt werden. Die erhebliche Anzahl an Mitzeichnungen der Petition sowie das große öffentliche Interesse an der Anhörung haben Defizite in der Kommunikation und Beteiligung bei der ursprünglich vom Justizministerium verfolgten Planung aufgezeigt
Der Ausschuss erwartet vom Justizministerium daher, auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren und in der praktischen Umsetzung der Reform im engen Austausch mit Gerichten, Berufs- und Interessenvertretungen sowie den Beschäftigtenvertretungen zu verbleiben. Überdies bittet er darum, dass die Belange der von der Reform Betroffenen als auch Fragen der digitalen Ausstattung, der Raumbedarfe sowie der dienstrechtlichen Folgen für die betroffenen Mitarbeitenden mit Augenmaß und unter Einbindung der Praxis gelöst werden.
Die Veröffentlichung des Beschlusses erfolgt vorbehaltlich der Bestätigung der Erledigung der Petition durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag. Die Bestätigung erfolgt in einer der nächsten Tagungen.