Keiner im Norden hat daran gezweifelt, am 28. Februar ist es dann Gewissheit: Auch Schleswig-Holstein bleibt vom Corona-Virus nicht verschont. „Erster Corona-Fall im Norden – Arzt von Kinderklinik infiziert“, lauten die Eilmeldungen an diesem Tag. Betroffen war ein Kinderarzt an einer Hamburger Klinik, der im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg lebt. Seitdem werden täglich neue Fälle gemeldet und am 9. März beklagt Schleswig-Holstein das erste Todesopfer.
Ein Feuerwehrmann aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg verstirbt im Ägyptenurlaub. Er ist zugleich deutschlandweit das erste Opfer der heimtückischen Covid-19-Krankheit, die sich längst zur Pandemie ausgeweitet hat. Im Landtag laufen zu diesem Zeitpunkt bereits diverse Vorbereitungen auf vollen Touren, um die Beschäftigten vor Ort zu schützen und die Parlamentspolitik am Laufen zu halten.
Krisenstäbe beraten
Die Hausspitze berät bereits seit Jahresbeginn in immer kürzeren Abständen, Krisen- und Kompetenz-Teams werden zusammengestellt. Es gilt vor allem technische und arbeitsrechtliche Grundstrukturen zu legen, um auf allen Ebenen organisatorische Pläne in der Schublade zu haben, falls die Büros vollends geräumt werden müssen. Oberstes Ziel dabei: Mögliche Ansteckungen unter den Beschäftigten zu verhindern. Parallel wird das gesamte Landeshaus mit Hygiene-Hinweisen ausgeschildert, und Mitte Februar erscheint via Intranet gemeinsam mit Handlungsempfehlungen des Robert Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums die erste „offizielle“ Vorwarnung an die Mitarbeiter, dass es zu Einschränkungen größeren Ausmaßes kommen könnte.
Ab Anfang März, immer mehr Infektionen werden landesweit bekannt, wird in den Referaten verstärkt dazu aufgefordert, möglichst das Home-Office einzurichten. Peu à peu wechseln fortan immer mehr Mitarbeiter von ihrem Büro-Schreibtisch ins heimatliche Wohn- oder Esszimmer über. Die Basis hierfür wurde bereits vor Monaten geschaffen: So sind fast alle Arbeitsplätze unter anderem mit Laptops für das mobile Arbeiten ausgerüstet, streng gesicherte IT-Netze für Verwaltung wie auch für Fraktionen sind schon länger installiert. Und da auch die Diensttelefone zu den Heimarbeitsplätzen flexibel auf digitalem Weg weitergeleitet werden können, sind in der Regel alle bekannten Verwaltungsnummern für Jedermann – intern wie extern – erreichbar.
Die Lage spitzt sich zu
Was sich mit jedem Tag, mit jeder statistischen Meldung an Neu-Infizierungen abgezeichnet hat, wird am 15. März Realität: Das gesellschaftliche Leben in Schleswig-Holstein kommt quasi zum Erliegen, nun müssen auch Kitas und Schulen schließen. Bis zum 19. April sind alle öffentlichen Veranstaltungen untersagt. An der deutschen Grenze zu Dänemark wird kontrolliert, Touristen dürfen nicht mehr ins Land, Halligen und Inseln werden abgeriegelt. Im Landtag ergeht sofort die Anweisung an die Beschäftigten, ins Home-Office zu wechseln; nur absolut wichtige Vor-Ort-Funktionen, wie etwa Sicherheitsdienst, der Leitungsbereich oder die Poststelle, werden von Mitarbeitern im Landtag noch wahrgenommen.
„Diese Tätigkeiten“, betont Landtagsdirektor Utz Schliesky, „werden aber ausschließlich von Beschäftigten ausgeübt, die nicht zu den Risikogruppen zählen“. Und die Chefin der Personalabteilung im Landtag, Johanna Rickert, berichtet, die Kollegen seien schnell im Home-Office angekommen. „Es ist schön zu sehen, dass der Arbeitseinsatz unverändert hoch ist und jeder seinen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Landtagsverwaltung auch unter besonderen Bedingungen leistet“, sagt sie und fügt augenzwinkernd hinzu: „Da stört es im Ergebnis auch nicht, wenn während einer Telefonkonferenz mal ein Kind eine dringende Frage an Mama oder Papa hat oder der Hund im Hintergrund seinen Kommentar zur Sache abgibt.“
Das politische Schleswig-Holstein funktioniert
Mit der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung zeigt sich auch: Das politische Schleswig-Holstein funktioniert in der Corona-Krise. „Unser Landesparlament ist genauso handlungsfähig wie unsere Landesregierung, alle Behörden im Land und die Justiz.“ Dies sagt Landtagspräsident Klaus Schlie, bevor er, nach mehreren telefonisch geführten Absprachen im Ältestenrat, die Landtagstagung am 18. März allen Unbilden zum Trotz eröffnen kann: Das Parlament tagt verkürzt, mit einer geringeren Anzahl an Abgeordneten im Plenarsaal – 47 statt 73 – und mindestens einem Platz Abstand zu den jeweiligen Nachbarn.
Wie handlungsfähig das Parlament ist, zeigt sich unter anderem in der Verabschiedung eines historischen Nachtragshaushalts. Basierend auf Änderungsanträgen von fünf Fraktionen konnten 500 Millionen Euro für ein historisches Nothilfeprogramm bereitgestellt werden, um von der Corona-Krise existenzbedrohten Betrieben, Beschäftigten und Selbständigen schnell helfen zu können. Ein weiterer wichtiger Beschluss stellt die Weiche für den Fall aller Fälle, etwa wenn viele Abgeordnete gleichzeitig erkranken oder in Quarantäne sollten: Durch eine bis zum Sommer befristete Änderung der Geschäftsordnung gilt der Landtag von sofort an als beschlussfähig, wenn nur (mindestens) elf Abgeordnete anwesend sind.
Ausschüsse im „Telko“-Modus
Der Chronologie halber muss hinzugefügt werden, dass seit Anfang dieser Woche von Berlin ausgehend das gesellschaftliche Leben unter anderem mit der Ausgangsbegrenzung für mehr als zwei Personen auch in Schleswig-Holstein noch weiter eingeschränkt wurde. Während einige Verwaltungsmitarbeiter etwas durchschnaufen können nach den vielen Umstellungen und der bewerkstelligten Gewährleistung des Plenar- und des Ausschussbetriebs, bleiben insbesondere die Abgeordneten in „Alarmbereitschaft“.
Denn jederzeit kann der Fall eintreten, dass das Plenum oder Ausschüsse zusammenkommen müssen. So verkündete etwa am Ende der heutigen Sozialausschusssitzung, die übrigens, wie vom Ältestenrat am Montag in einer Telefonkonferenz („Telko“) festgelegt wurde, der Ausschussvorsitzende Werner Kalinka bereits: Trotz der am kommenden Montag beginnenden sitzungsfreien Zeit im Parlament sei mit wöchentlichen „Telkos“ zu rechnen.
„Ein bisschen unwirklich…“