„Ach, sind das dicke Bretter, die man hier bohren muss!“ Anita Klahn lacht, als sie sich zurückerinnert. So hat sie gedacht nach ihren ersten Arbeitstagen als Berufspolitikerin. Damals, das war Anfang Oktober 2009, nachdem sie mit der FDP in den Landtag eingezogen war. Ihre Wortwahl ist kein Zufall. Anita Klahn stammt aus einer Handwerkerfamilie. Ihr Vater war Glaser, ihre Onkel KFZ-Mechaniker, Tischler und Maurer. Nach der Mittleren Reife noch das Abitur machen? Lieber nicht. Für Klahn stand fest: „Ich möchte etwas mit den Händen machen.“
Wie wurde aus der jungen Frau, die eine Ausbildung zur Industriemeisterin Druck machte, ein Politikprofi mit dem Schwerpunkt Bildung, der inzwischen bereits seit über zehn Jahren im Landtag sitzt? Und warum ist die FDP die richtige Partei für sie? Ein Tag im Leben der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden liefert Antworten.
Hinweis: Das Porträt ist im Frühjahr 2020 vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden.
Lesen, lesen, lesen – und immer ein offenes Ohr haben
8:00 Uhr. Ein Einfamilienhaus mit Garten in Bad Oldesloe. Kaffeeduft liegt in der Luft. Eine Frau Anfang sechzig streicht eine Strähne ihres kurzen, blonden Haares hinters Ohr. Schwarz-weiß gestreifte Chiffon-Bluse, roter Blazer, dunkle Hose, dezenter Goldschmuck – sauber gebügelt, perfekter Sitz, sorgfältig ausgewählt.
Dieser Tag beginnt für die Landtagsabgeordnete Anita Klahn im Homeoffice am Laptop. Das ist nicht immer so. Als Berufspolitikerin ist jeder Tag anders. Aber jeder Tag ist lang: „Ich habe keinen normalen Arbeitstag von siebeneinhalb Stunden, sondern das sind locker Zehn-Stunden-Arbeitstage“, sagt sie und nippt an ihrer Kaffeetasse. Von den zehn Stunden verbringt Anita Klahn drei, vier Stunden am Tag online, nicht nur um E-Mails zu beantworten.
Denn als Abgeordnete muss sie immer am Puls der Zeit sein. „Wir müssen lesen, lesen, lesen… rausfiltern, wo findet was statt“. Dabei ist es nicht damit getan, die Tagesschau zu sehen oder eine Tageszeitung zu lesen. Der Schrank in ihrem Büro etwa quillt inzwischen vor Fachliteratur über: „Wir bekommen monatlich mindestens fünf, sechs Fachzeitschriften, wo ich sagen muss, die schaffe ich auch nicht alle komplett, die lese ich selektiv.“
Trotz all des Inputs muss sie immer ein offenes Ohr haben, da ist sich die Politikerin sicher. „Einfach hinhören und feststellen: Was ist gerade das Problem? Was wird in der Gesellschaft diskutiert?“ Darum unterstützen Klahn zwei wissenschaftliche Mitarbeiter in ihrem Büro im Landtag dabei, die Informationsflut zu bändigen. Apropos Büro: Anita Klahn schaut auf die Uhr. Zwischen Terminplanung, E-Mailsschreiben und Lektüre ist es elf Uhr geworden. Höchste Zeit, von Bad Oldesloe in Richtung Kieler Landtag aufzubrechen.
12:00 Uhr. Auf dem Flur der FDP-Landtagsfraktion. Anita Klahn erreicht das Landeshaus. Nachdem sie ihr Büro aufgeschlossen hat, spricht sie kurz mit einem engen Mitarbeiter. Er zieht seine Chefin mit der Farbe ihres Blazers auf. Schließlich steht Rot für die Konkurrenzpartei SPD. Die frühere Industriemeisterin Druck lacht und stellt klar: Rot ist nicht gleich Rot. Ahornrot, Amaranthrot, Ampelrot, Apfelrot. Anita Klahn trägt all diese Farben oft und gerne. Wie ist die Tochter eines Glasers eigentlich zur FDP gekommen? Schließlich sind Arbeiterfamilien klassisches SPD-Klientel. Wäre die SPD da nicht naheliegender gewesen? „Eine hundertprozentige Übereinstimmung in den Sachthemen wird man nie haben“, räumt sie ein. Nichtsdestotrotz ist sie überzeugte Liberale: „Eigenverantwortung übernehmen, relativ frei entscheiden, was ich machen möchte, niemand schreibt mir etwas vor. Es sei denn, es ist zum Nachteil eines anderen. Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen anfängt. Nicht zu moralisieren. Das ist wirklich meine Lebenshaltung. Das bin ich.“
Ausbildung, Familie – ein klassischer Lebensweg
Dabei hielt sie sich selbst lange Zeit für „politisch neutral“, wie sie selbst sagt. In ihrem ersten Beruf als Industriemeisterin Druck hat sie für Hamburgs große Verlagshäuser und Agenturen Titelbilder und Anzeigenkampagnen gestaltet. Eine Aufgabe für Perfektionisten. Die britische Ausgabe der „Vogue", die „Bild der Frau“ oder ein aufwändig gestaltetes Format für angehende Bräute, die „Brides“, waren darunter. Einmal, sie sollte Käseprodukte vermarkten, hat sie es mit ihrem Perfektionismus auf die Spitze getrieben: „Ich bin wirklich in den Laden gegangen und habe mir die ganzen Produkte geholt, um zu sehen, wie sehen die in Natura aus, damit wir sie entsprechend farblich bearbeiten können.“ Ihre Kolleginnen und Kollegen hätten sie alle für verrückt erklärt. Die gebürtige Lübeckerin ließ sich davon nicht beirren: „Der Erfolg hat uns nachher Recht gegeben, der Kunde war schwer begeistert“, so ihr Fazit.
Sie hat sich in dem männerdominierten Beruf durchgesetzt. „Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht“, gerät die Abgeordnete auch heute noch ins Schwärmen. Dabei hat sie zunächst der künstlerisch-kreative Aspekt gereizt. Später, als sie den Meister machte, wurde der Beruf dann technischer. Bei einem Vorstellungsgespräch schließlich fielen ihre kommunikativen Fähigkeiten auf. „Sie sind eloquent, Sie haben ein gutes Auftreten, Sie haben ein Verkaufstalent. Haben Sie nicht Lust über eine interne Schulung in den Verkauf zu gehen?“ Sie sagte „Ja“ und löste sich zum ersten Mal von ihrer Vorstellung, am Ende eines Arbeitstages ein greifbares Ergebnis in den Händen zu halten. Das ist inzwischen lange her.