Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 zur NS-Belastung von Landespolitikern in der Nachkriegszeit ist nun eine Folgestudie des Forscherteams um den Historiker Professor Uwe Danker erschienen. Am Mittag wurde sie der Öffentlichkeit vorgestellt, im Anschluss gab es eine Debatte im Plenum dazu. Die neue Studie hat sich vorrangig mit der Frage befasst, ob es neben vorbelasteten Einzelpersonen auch Nazi-Netzwerke in Politik, Justiz und Verwaltung gab. Ein Ergebnis: Viele Beamte in den genannten Bereichen weisen eine „biografische Erfahrungsnähe zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ auf, wie es in der Untersuchung heißt. NS-belastete Beamte und Juristen stellten also vielfach die überwiegende Mehrheit des Personals des demokratischen Neuanfangs. Der Umfang der Verstrickung und Belastung habe die Forscher überrascht.
Es sei gelungen, „ehemals massiv in NS-Unrecht verstrickte Funktionseliten zu reintegrieren“ und mit diesem Personal eine „funktionierende Demokratie und einen stabilen Rechtsstaat zu errichten“. Das habe auch dazu geführt, dass viele Opfer der NS-Diktatur in Schleswig-Holstein nach 1945 ihren ehemaligen Peinigern in hohen und zum Teil höchsten Ämtern der Verwaltung, des Justizwesens und der Landespolizei wieder begegnen mussten.
„Unerwartet bedrückende Ergebnisse“
In der Debatte sprach Barbara Ostmeier (CDU) von „nicht überraschenden, aber unterwartet bedrückenden“ Ergebnissen. Es sei erschreckend, wie viele NS-belastete Menschen an zentralen Stellen etwa in der Justiz und der Polizei saßen. Es sei ein „hoher ethischer Preis“ gezahlt worden. „Für die Opfer der Nationalsozialisten muss es schrecklich gewesen sein“, mutmaßte Ostmeier. Dennoch zeige sich so auch die Wehrhaftigkeit und Stärke von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Auch SPD-Fraktionschef Ralf Stegner kam zu dem Schluss, dass man für den Wiederaufbau der Strukturen auf Menschen angewiesen war, „die Demokratiefeinde waren“. Wäre etwa jeder Lehrer mit Nähe zum Nationalsozialismus entfernt worden, „wären die Schulen wohl bis 1950 geschlossen gewesen“, so Stegner. Gleichwohl hätten den Preis ehemalige Verfolgte bezahlt – das sei beschämend. Er sprach sich dafür aus, in Zukunft in weiteren Studien Felder wie das Gesundheitssystem und die Psychiatire nach ähnlichen Kriterien auszuleuchten.
Beklemmung mit „Händen zu greifen“
Burkhard Peters (Grüne) beschrieb ein Gefühl der Beklemmung bei der Vorstellung der zweiten Danker-Studie, das mit „Händen zu greifen“ gewesen sei. Auch ihn trieb die Frage um, wie sich „mit einem solchen Führungspersonal eine demokratisch-rechtsstaatliche Polizei und Justiz aufbauen“ ließ. Er sprach sich dafür aus, die Ergebnisse der Untersuchung in die Ausbildung in der Landesverwaltung einfließen zu lassen.
Auch Lars Harms (SSW) kam zu dem Schluss, „man schien keine Wahl gehabt zu haben“. Fachpersonal sei benötigt worden, um Verwaltungsstrukturen neu aufzubauen, auch wenn so Opfer und Peiniger oft am gleichen Arbeitsplatz saßen. Aus heutiger Sicht wirke das grauenhaft.
Der Landtag hatte die Studie in Auftrag gegeben und mit 200.000 Euro finanziert. Eine fast 1200 Seiten starke zweibändige Buchversion erscheint am 26. Mai. Die Wissenschaftler hatten 482 Biografien untersucht. Demnach hatten von 91 Juristen 80 Prozent eine NSDAP-Vergangenheit und 50 Prozent waren bei der SA.