Auslöser der aktuellen Debatte um einen Hundeführerschein waren zwei Beißattacken eines Schäferhundes im August dieses Jahres, bei denen in Neumünster ein Chihuahua und ein Rauhaardackel ihr Leben ließen. In der 47. Sitzung des Umwelt- und Agrarausschuss stand gestern (5.11.) ein Fachgespräch zur möglichen Einführung eines Hundeführerscheins auf der Tagesordnung. Während Tierschützer die Einführung befürworten, kommt von der Verwaltungsebene auch Skepsis. Menschen schafften sich heutzutage Tiere an, könnten sie dann aber nicht halten. Anschließend landeten sie im Tierheim, seien dort zu rund 50 Prozent nicht mehr vermittelbar und kosteten den Staat Geld, so fasste Christine Bothmann, Leiterin der Abteilung Tierschutz im Verbraucherschutzministerium, das Problem zusammen. „Mit einem Führerschein kann man dem Einhalt gebieten“ betonte Bothmann. Das Problem dabei sei allerdings ein „unglaublicher Bürokratieaufwand“.
Der Berufsverband zertifizierter Hundetrainer sieht den Nutzen eines Führerscheins in mehr Sicherheit. Der zunehmende unkontrollierte Import und Verkauf von Hunden sorge seit einigen Jahren für vermehrte Probleme und überfüllte Tierheime. „Es geht um die Verantwortung und um das Wissen zum Zusammenleben zwischen Hund und Mensch“, sagte die 2. Vorsitzende Estha Taddigs, „Der Hundeführerschein ist ein wichtiges Puzzleteil in Bezug auf diese Sicherheit.“ Der Verband biete bundesweit für 100 Euro einen hochwertigen und anspruchsvollen Führerschein mit theoretischem und praktischem Teil an, bei dem durch zertifizierte Hundetrainer unter anderem das Hundeverhalten, das menschliche Verhalten sowie das Führen von Hunden in der Öffentlichkeit und bei der Begegnung mit anderen Hunden trainiert werde.
Beißattacken nehmen zu
„Gut ausgebildete Halter sorgen dafür, dass der Tierschutz und die Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleistet sind“, sagte Benjamin Kirmizi, Geschäftsführer im Berufsverband der Hundeerzieher/innen und Verhaltensberater/innen, der ebenfalls einen Hundeführerschein anbietet. Der Vorsitzende Arne-Christoph Winkler ergänzte: „Ziel sollte es sein, dass ein gutes Team aus Hund und Halter entsteht, von dem keine Gefährdung und Belästigung Dritter ausgeht.“ Gerade Hunde aus dem Tierheim hätten oft schlechte Erfahrungen gemacht, nur mit Sachkunde könne der Halter die Bedürfnisse des Tieres erkennen. Hundetrainerin Manuela Marquardsen von der Hundeschule Förde-Dogs sieht seit der Corona-Pandemie ein stark verändertes Kaufverhalten der Menschen, Hunde würden als Luxusartikel oft unter falschen Angaben aus einer Hobbyzucht oder über das Ausland gekauft. „Für mich muss da jetzt dringend eine Hürde kommen und der Hundeführerschein eingeführt werden. Wir sind ethisch verpflichtet uns mit dem Wesen des Hundes zu beschäftigen, und zwar nicht erst dann, wenn das Tier da ist.“
Zahlen des Deutschen Tierschutzbundes zeigen, dass Beißattacken von Hunden 2017 in 217 Fällen bekannt wurden, 2023 in 320 Fällen. Die Zahl der Angriffe auf andere Tiere stieg im gleichen Zeitraum von 179 auf 317. Die Landesvorsitzende Ellen Kloth sprach sich ebenfalls für einen verpflichtenden Hundeführerschein aus, obwohl wir einen gewissen bürokratischen Aufwand sehen“. Eine freiwillige Regelung sei da wenig hilfreich, „es sei denn, sie ist mit einer Steuererleichterung verbunden.“ Für ein freiwilliges Sachkundetraining und gegen einen verpflichtenden Führerschein sprach sich Dieter Schulze von der Tierärztekammer aus. Dieses Training solle auch in Schulen und in der Erwachsenenbildung aktiv beworben werden. „Es wird nie ganz vermeidbar sein, dass es zu Beißvorfällen kommt“, so Schulze, man müsse erst einmal prüfen, wie viele Fälle es auf welche Gesamtzahl von Hunden gebe, um sagen zu können, wie groß das Problem überhaupt sei. Eine Studie aus England zeige, dass 80 Prozent der Beiß-Vorfälle Kinder unter 10 Jahren betreffen, da müsse aufgeklärt werden.
Erhöhte Hundesteuer als Lösungsansatz
„Wir sind nicht der Überzeugung, dass ein Hundeführerschein die richtige Lösung ist“, sagte Neumünsters Oberbürgermeister Tobias Bergmann. An der die Debatte auslösenden Beißattacke des Schäferhundes in seiner Stadt hätte der Führerschein nichts geändert, der Halter habe einen Sachkundenachweis zum Führen gefährlicher Hunde gehabt. Bergmann errechnete bei 5500 Hunden in der Stadt einen bürokratischen Aufwand von einer ganzen Stelle, die dann vom Land bezahlt werden müsse. Dem schloss sich Sascha Plietsch vom Gemeindetag an. „Verfügen die Kommunen über genügend Personal? Wollen wir etwas einführen, was wir am Ende gar nicht kontrollieren können, nur um es zu haben?“ Vor rund zehn Jahren habe es eine ähnliche Debatte gegeben mit dem Ergebnis, dass dies zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand geführt hätte.
In Niedersachsen ist ein Sachkundenachweis für alle nach dem 1. Juli 2013 angeschafften Hunde verpflichtend, die Kosten liegen bei rund 100 Euro. Wenn kein Nachweis erbracht werde, würden Gemeinden Tierhaltern die Hunde wegnehmen, sagte Katja Riedel vom niedersächsischen Verbraucherschutzministerium. Es gebe allerdings noch keine gesicherten Informationen darüber, inwiefern sich der Hundeführerschein auf die Gesamtsituation auswirke. Die Tierheime seien nach wie vor überlastet. In der anschließenden Fragerunde wurde die Idee von der Tierschutzbund-Landesvorsitzenden Ellen Kloth diskutiert, zukünftig Hundebesitzer ohne Führerschein eine erhöhte Hundesteuer zahlen zu lassen, die Kontrolle wäre dann die Anmeldung zur Hundesteuer. Diese Idee kam nicht nur bei den Tierschützern und Kommunen gut an. „Das wäre eine freiwillige Basis und man bekommt eine Steuererleichterung, wenn man sich mit Führerschein anmeldet, so Dirk Kock-Rohwer (Grüne). Man würde einen Anreiz geben und sich viel Aufwand und Personal sparen. Ähnlich zustimmend äußerten sich Sandra Redmann (SPD) und Michael Schunck (SSW).