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11. Dezember 2025 - Dezember-Plenum

Mehr Förderung für neurodivergente Kinder

Die SPD fordert einen besseren Umgang mit Neurodivergenzen an Schulen und widerspricht damit dem Regierungsbericht, der keinen zusätzlichen Handlungsbedarf sieht. Früherkennung, Orientierungshilfen und mehr Unterstützung sollen betroffene Kinder besser fördern.

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SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat: „Diese neurologischen Unterschiede sind keine Abweichungen, die man ‚beheben‘ müsste, sondern natürliche Varianten menschlicher Vielfalt.“
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Der Umgang der Schulen mit der Vielfalt neurologischer Entwicklungsverläufe bleibt umstritten. Während die Landesregierung in ihrem Bericht „keinen Handlungsbedarf“ sieht und im Plenum auf bestehende inklusive Strukturen verweist, kritisiert die SPD deutliche Lücken: Trotz engagierter Lehrkräfte fehlten verbindliche Standards, klare Orientierung für Eltern und frühzeitige Diagnosewege. Die Realität an den Schulen bilde sich im Regierungsbericht nicht ab, argumentierte die Fraktion. SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat machte zudem klar, dass Neurodivergenz ein selbstverständlicher Teil schulischer Wirklichkeit sei.

„Diese neurologischen Unterschiede sind keine Abweichungen, die man ‚beheben‘ müsste, sondern natürliche Varianten menschlicher Vielfalt“, sagte er. Viele Kinder versuchten den gesamten Schultag über, sich anzupassen, und seien nachmittags völlig erschöpft. Eltern suchten oft vergeblich nach Unterstützung, und auch zwischen Schulen gebe es kaum Austausch oder klare Standards. Positive Beispiele seien zufällig verteilt – strukturelle Lösungen fehlten. „So geht es nicht weiter“, sagte Habersaat und forderte ein flächendeckendes Screening, transparente Nachteilsausgleiche und verbindliche Raumkonzepte, die sensible Lernbedürfnisse berücksichtigen.

Stenke: „Jeder Mensch ist einzigartig“

 

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Der Begriff Neurodivergenz sei wissenschaftlich umstritten, so der CDU-Abgeordnete Martin Balasus.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU) begrüßte die Debatte insgesamt: „Wir haben schon viel erreicht, aber es ist auch noch viel Luft nach oben“, sagte die Ministerin und betonte, das Konzept der Neurodivergenzen sei „ein Konzept, das in Schleswig-Holstein gut hinterlegt ist“ und bisher im Rahmen der Inklusion behandelt worden sei.

„Womit wir uns schon immer beschäftigt haben, ist die Einzigartigkeit jedes Menschen“, so Stenke. Neue neurologische Ansätze seien hilfreich, müssten aber sorgfältig geprüft werden – auch hinsichtlich der Frage, „was bedeuten eigentlich Norm und was Abweichung und wann hat etwas einen Krankheitswert“. Das Diagnostikprojekt STaFF greife bereits heute viele Anliegen des Antrags auf.

Fragen zu Diagnosewegen und Konzepten

 

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Malte Krüger (Grüne) verwies darauf, dass unklar sei, wie entschieden werde, wer neurodivergent ist und wer nicht.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Der CDU-Abgeordnete Martin Balasus hob hervor, dass Schulen bereits ein breites Spektrum individueller Förderung nutzten – von Förderplänen über Nachteilsausgleich bis hin zu vielfältigen pädagogischen Unterstützungsangeboten. Der Begriff Neurodivergenz sei jedoch wissenschaftlich umstritten, weshalb offenbleibe, ob hier tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen würden. Malte Krüger (Grüne) verwies darauf, dass insbesondere unklar sei, wer Screenings durchführen solle, welche Qualifikationen dafür nötig seien und wie entschieden werde, wer neurodivergent ist und wer nicht. „An diesem Konzept gibt es sehr, sehr viele Fragen“, so Krüger.

FDP-Bildungspolitikerin Anne Riecke stellte vor allem die Fachlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen infrage. Begriffe wie „Lerntherapeut“ seien nicht geschützt und führten zu Unklarheiten in Zuständigkeiten und Qualifikationen. Ein verpflichtendes Screening für alle Erstklässler könne zudem Etikettierungen erzeugen und sei organisatorisch wie diagnostisch fragwürdig. Statt neuer Diagnosesysteme brauche es funktionierende Abläufe im bestehenden Fördersystem, kürzere Anerkennungsverfahren und starke multiprofessionelle Teams.

Einstimmige Überweisung in den Ausschuss

 

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FDP-Bildungspolitikerin Anne Riecke stellte die Fachlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen infrage.
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Für den SSW unterstrich Jette Waldinger-Thiering, dass Maßnahmen zugunsten neurodivergenter Kinder „Maßnahmen, die allen zugutekommen“, seien. Sie könne die Einschätzung der Landesregierung, dass kein Handlungsbedarf bestehe, nicht nachvollziehen – auch mit Blick auf die frühkindliche Bildung, da mögliche Screenings ihrer Auffassung nach bereits in der Kita ansetzen sollten.

Trotz unterschiedlicher Sichtweisen, zum Abschluss der Debatte überwies der Landtag den Antrag einstimmig zur weiteren Beratung an den Bildungsausschuss.

 

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Kann die Einschätzung der Landesregierung, dass kein Handlungsbedarf bestehe, nicht nachvollziehen: Jette Waldinger-Thiering (SSW).
© Foto: Landtag, Sönke Ehlers

Auf Antrag der Fraktionen von SPD, CDU und Grünen ist von der Landesregierung ein Bericht über die Situation und Perspektiven von Schülerinnen und Schülern mit Neurodivergenzen erstellt worden. Dieser Bericht kommt zu dem Schluss, es bestehe aktuell kein Handlungsbedarf, das Land habe bereits „sehr fortschrittliche und umfassende Rahmenbedingungen und Regelungen für den Umgang mit Neurodivergenzen in Schulen“. Betroffene und Experten würden dies allerdings anders einschätzen, schreibt die SPD in ihrem aktuellen Antrag, in dem sie von der Landesregierung den „besseren Umgang mit Neurodivergenzen an Schulen“ einfordert.

Derzeit gebe es oftmals Bemühungen Betroffener, von deren Eltern oder vereinzelt auch von den Lehrkräften, heißt es im Antrag. „Anstelle individueller Bemühungen bedarf es jedoch einer systematischen und strukturellen Berücksichtigung neurodivergenter Schülerinnen und Schüler.“ Zielführend sei hier unter anderem ein flächendeckendes Screening in der 1. Klasse, um frühzeitig auf Förderbedürfnisse Betroffener einzugehen. Zudem brauche es eine klare Orientierungshilfe für Eltern neurodivergenter Schülerinnen und Schüler und Fortbildungen für an Schulen tätige Personen. Des Weiteren solle neurodivergenten Kindern Nachteilsausgleich und Notenschutz gewährt werden, mit der Aufnahme von Ruheräumen im Musterraumprogramm soll Betroffenen zukünftig eine Rückzugsmöglichkeit geboten werden. Neuroinklusive Schulen nützen dank Individualisierung, Offenheit und Flexibilität nicht nur neurodivergenten Kindern, sondern auch neurotypischen oder anderen mit nicht sichtbaren Beeinträchtigungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen, so der SPD-Antrag.

Was bedeutet Neurodivergenz?

Neurodivergent beschreibt Menschen, deren Gehirnfunktion in den Bereichen Wahrnehmung, Denken und soziale Interaktion stark vom als „normal“ angesehenen Durchschnitt abweicht. Reize, Emotionen und Informationen werden anders als bei neurotypischen Personen verarbeitet. Hierzu zählt etwa die Autismus-Spektrum-Störung, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, aber auch die Lese-Rechtschreib-Schwäche, Hochsensibilität und Hochbegabung.

TOP 19:

Antrag der FDP-Fraktion:

Drucksache 20/3870