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§ 70

Weitere Ordnungsmaßnahmen

(1) Sitzungsteilnehmer, die nicht Abgeordnete sind, sowie Zuhörerinnen und Zuhörer unterstehen der Ordnungsgewalt der Präsidentin oder des Präsidenten.

(2) Wer auf den Tribünen Beifall oder Mißbilligung äußert, kann auf Anordnung der Präsidentin oder des Präsidenten sofort entfernt werden. Die Präsidentin oder der Präsident kann die Tribüne wegen störender Unruhe räumen lassen.

Kommentar

1. Bedeutung der Vorschrift

Rechtsgrundlage für Ordnungsmaßnahmen gegen Sitzungsteilnehmende, die nicht Abgeordnete sind, sowie gegen Zuhörerinnen und Zuhörer ist Artikel 20 Abs. 3 Satz 2 LV (vgl. hierzu Waack, in: Becker/Brüning/Ewer/Schliesky, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2021, Art. 20 RN 24 ff.). § 70 hat insoweit nur deklaratorische Bedeutung, weil die Geschäftsordnung eine autonome Satzung ist, die nur die Mitglieder des Landtags bindet. Konstitutiv ist lediglich die in Absatz 2 getroffene Regelung über die Art der Maßnahme, die die Präsidentin oder der Präsident ergreifen kann, wenn die Ordnung durch das Verhalten von Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Tribüne gestört wird.

2. Ordnungsmaßnahmen gegen Sitzungsteilnehmende, die nicht Abgeordnete sind

„Sitzungsteilnehmer“ im Sinne des Absatzes 1 sind die Mitglieder der Landesregierung, sofern sie nicht zugleich Abgeordnete sind, sowie ihre Beauftragten (vgl. Artikel 27 Abs. 2 Satz 1 LV) und die Präsidentin oder der Präsident des Landesrechnungshofs (vgl. Erl. 1.1 zu § 48). Nicht zu den Sitzungsteilnehmenden zählen die dienstleistenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung; sie unterliegen der Weisungsgewalt der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten in ihrer oder seiner Eigenschaft als Dienstvorgesetzte oder Dienstvorgesetzter (Beamte) bzw. als gesetzliche Vertreterin oder gesetzlicher Vertreter des Arbeitgebers (Beschäftigte).

Zu den gegenüber den Sitzungsteilnehmenden im vorgenannten Sinne zulässigen Maßnahmen gehören unstreitig Ermahnungen (nichtförmliche Ordnungsmaßnahmen). Problematisch ist dagegen, welche darüber hinausgehenden Befugnisse Artikel 20 Abs. 3 Satz 2 LV (Ordnungsgewalt und Hausrecht) der Präsidentin oder dem Präsidenten verleiht. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird durch Artikel 27 Abs. 2 und 3 LV (Zutrittsrecht der Mitglieder der Landesregierung und ihrer Beauftragten, Rederecht der Mitglieder der Landesregierung) begrenzt. Das den Mitgliedern der Landesregierung und ihren Beauftragten verfassungsrechtlich gewährleistete Zutrittsrecht enthält indessen keine Ermächtigung, die Ordnung einer Landtagssitzung zu stören; das Gleiche gilt für das Rederecht, das im Übrigen durch ein Missbrauchsverbot beschränkt ist (BVerfGE 10, 4, 17). Die Folge ist, dass die Präsidentin oder der Präsident auch gegenüber Mitgliedern der Landesregierung und ihren Beauftragten auf Artikel 20 Abs. 3 Satz 2 LV zurückgreifen kann, sofern eine Kollision mit Artikel 27 Abs. 2 und 3 LV ausgeschlossen ist. Dabei sind beide Interessen im Wege der praktischen Konkordanz zu einem Ausgleich zu bringen. Im Einzelnen wird auf die Erläuterung der §§ 65 bis 67 (jeweils Erl. 1) sowie des § 68 (Erl. 2) Bezug genommen. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass gegebenenfalls auch die Maßnahmen nach § 69 zur Verfügung stehen; sie tangieren weder das Zutritts- noch das Rederecht, weil die Ausübung beider Rechte nur im Rahmen einer laufenden Sitzung möglich ist (vgl. Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 43 RN 167).

3. Ordnungsmaßnahmen gegen Zuhörerinnen und Zuhörern

Wer auf den Tribünen Beifall oder Missbilligung äußert, kann nach Absatz 2 Satz 1 auf Anordnung der Präsidentin oder des Präsidenten sofort entfernt werden; es bedarf also keines vorherigen Hinweises auf die mögliche Maßnahme. Diese Vorschrift ist zumindest entsprechend anwendbar, wenn eine Zuhörerin oder ein Zuhörer nicht durch Beifall oder Missbilligung, sondern auf andere Weise die Ordnung in der Sitzung verletzt (vgl. die ausdrückliche Regelung in § 41 Abs. 2 Satz 1 GO-BT).

Als weitere Ordnungsmaßnahme gegen Zuhörerinnen und Zuhörer sieht Absatz 2 Satz 2 die Räumung der Tribüne wegen störender Unruhe vor. Wegen des Begriffs „störende Unruhe“ wird auf Erl. 1 zu § 69 verwiesen. Da im Gegensatz zu Absatz 2 Satz 1 hier nicht von einem sofortigen Eingreifen die Rede ist, muss die Präsidentin oder der Präsident in diesem Fall zunächst durch Hinweis auf die mögliche Ordnungsmaßnahme versuchen, die Ruhe auf der Tribüne wiederherzustellen. Erst wenn ein solcher Hinweis ohne Erfolg bleibt, kann die Räumung der Tribüne angeordnet werden.

Über die Ausübung des Hausrechts gegenüber Zuhörerinnen und Zuhörern darf Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 LV („Der Landtag verhandelt öffentlich“) nicht unterlaufen werden.

4. Entscheidungsspielraum der Präsidentin oder des Präsidenten

Absatz 1 beschränkt die Präsidentin oder den Präsidenten nicht auf bestimmte Ordnungsmaßnahmen. Sie oder er kann daher prinzipiell alle Maßnahmen ergreifen, die sich auf das Hausrecht stützen lassen und zur Gewährleistung eines ungestörten Sitzungsablaufs zweckmäßig und geeignet erscheinen. Zu beachten ist dabei Artikel 27 Abs. 2 und 3 LV (Zutrittsrecht von Mitgliedern der Landesregierung sowie deren Beauftragten; Rederecht der Mitglieder der Landesregierung); die getroffene Maßnahme darf außerdem nicht unverhältnismäßig sein (Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 41 GO-BT, Erl. I d). Im Übrigen steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Präsidentin oder des Präsidenten.

Ob jemand im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 „Beifall oder Missbilligung“ äußert, ist eine der Präsidentin oder dem Präsidenten obliegende Tatsachenfeststellung. Demgegenüber ist die „störende Unruhe“ (Absatz 2 Satz 2) ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Präsidentin oder dem Präsidenten einen Beurteilungsspielraum eröffnet. In beiden Fällen liegt die Entscheidung (Entfernung einer Zuhörerin oder eines Zuhörers oder Räumung der Tribüne) wiederum im pflichtgemäßen Ermessen der Präsidentin oder des Präsidenten. Die Räumung der Tribüne kann allerdings nur angeordnet werden, wenn einzelne störende Personen nicht zu identifizieren sind (Ritzel/Bücker/Schreiner, aaO., § 41 GO-BT, Erl. II. 1 und 2).

5. Weitere Behandlung der Ordnungsmaßnahmen und Rechtsbehelfe

Ordnungsmaßnahmen im Sinne des § 70 können nicht Gegenstand einer Diskussion im Landtag sein, weil sie Ausfluss der der Präsidentin oder dem Präsidenten durch Artikel 20 Abs. 3 Satz 2 LV verfassungsrechtlich gewährleisteten Befugnisse sind (Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 45 RN 5).

Hinsichtlich der Möglichkeit der Anfechtung ist zwischen dem in Artikel 27 Abs. 2 und 3 LV genannten Personenkreis und den Zuhörerinnen und Zuhörern zu unterscheiden. Ist etwa die Präsidentin oder der Präsident gegen ein Mitglied der Landesregierung vorgegangen, weil es nach ihrer oder seiner Auffassung die ihm durch die Landesverfassung eingeräumten Rechte missbraucht hat, würde eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegen, zu deren Entscheidung gemäß Artikel 51 Abs. 2 Nr. 1 LV das Landesverfassungsgericht berufen wäre. Zuhörerinnen und Zuhörer könnten das Verwaltungsgericht anrufen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 1. April 2004, Az.: 27 A 81.04, juris).

Kommentar zur Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Stand: 11. April 2023

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