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Irene Fröhlich zum Hochschulgesetz: Mehr Demokratie ist die Voraussetzung für mehr Autonomie
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Zu TOP 4, Hochschulgesetz, erklärt Mobil: 0172/541 83 53 Irene Fröhlich, hochschulpolitische Sprecherin E-Mail: presse@gruene.ltsh.de der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internet: www.gruene.ltsh.de Nr. 357.99 / 17.11.99Mehr Demokratie ist die Voraussetzung für mehr AutonomieSehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,wir werden heute das letzte große Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode verab- schieden: Die Strukturreform der Hochschulen in unserem Land. Wir stellen die Wei- chen für ihre dynamische Weiterentwicklung hin zu größerer Eigenverantwortung, mehr Demokratie in der inneren Verfasstheit, effizienter Nachwuchs- und Frauenförderung, der Internationalisierung von Studienabschlüssen, besserem Qualitätsmanagement und einer größeren sozialen Chancengleichheit für die Studierenden.Dieses, wie ich finde, gelungene Gesetz ist auch ein Beispiel für die qualifizierte Sach- arbeit der Regierungsfraktionen. Gerne hätte ich jetzt gesagt: ein Beispiel für die qualifi- zierte Sacharbeit des ganzen Landtages. Leider hat die Opposition sich vollkommen und fundamentalistisch der Mitgestaltung der zukünftigen Hochschullandschaft in Schleswig- Holstein verweigert. Die F.D.P. hat gleich ganz auf eigene Ideen verzichtet. Herr de Ja- ger hat sich gerade noch aufraffen können, ein paar Anträge zur Verteidigung des Über- gewichts der Professoren in den Universitätsgremien vorzulegen. Soviel zur Ernsthaftig- keit des Interesses der Opposition an den Zukunftsfragen unseres Landes.Wie, Kollege de Jager, verträgt sich eigentlich Ihre Ankündigung, die CDU werde das heute verabschiedete Gesetz nach ihrer Regierungsübernahme ohnehin wieder aufhe- ben, mit ihrer Forderung nach Deregulierung und einem schlankeren Staat? Dieses Hochschulgesetz ist die Grundlage für globalisierte Haushalte und deutlich mehr Auto- nomie für die Hochschulen. Wollen Sie das den Hochschulen wieder wegnehmen?Die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/GRÜNEN haben sich ernsthaft und intensiv mit dem Gesetzentwurf beschäftigt. Wir haben 44 Änderungsanträge eingebracht, mit denen wir zahlreiche Anregungen aus den beiden Anhörungen aufgenommen haben. Ich möchte mich sehr herzlich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bedanken. Sie haben uns viele wertvolle Hinweise gegeben, interessante - auch pointierte - Stel- lungnahmen vorgetragen und konstruktive Vorschläge gemacht. Wir konnten nicht alle guten Vorschläge übernehmen, oft aus finanziellen Gründen oder wegen rechtlicher Bedenken, und weil das Gesetz nicht zu kompliziert werden darf.Danken möchte ich auch den Mitarbeiterinnen der Verwaltung für ihre engagierte und sachkundige Begleitung der Beratungen. Mir ist bewusst, welche enorme Arbeitsbe- lastung eine so intensive und detaillierte Beratung eines Gesetzes für sie bedeutet.Gerade wegen dieser ausführlichen Beratung im Bildungsausschuss, der umfassen- den und anregenden Anhörung fehlt mir jedes Verständnis für den Brief von Prof. Haensel. Ich finde es schon etwas peinlich, dass dem Rektor der Kieler Universität offensichtlich die Grundsätze der Gewaltenteilung und die Gepflogenheiten parla- mentarischer Beratungsverfahren fremd sind.Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn er kritisiert, dass die 44 Änderungs- anträge nach der Anhörung eingebracht wurden. Ja, wann denn sonst? Offensichtlich sollen nach seinem Demokratieverständnis Regierungsfraktionen eine Vorlage der Landesregierung kritiklos durchwinken und Anhörungen der Betroffenen nur pro for- ma stattfinden. Wie ich gehört habe, ist Prof. Haensel ein Berater von Volker Rühe. Ist das das Verständnis der CDU von Parlamentsarbeit?Auf ein - freundlich ausgedrückt - antiquiertes Demokratieverständnis lassen auch die sonstigen Äußerungen der CDU schließen. Als qualifizierte Entscheidungsträger in Forschung, Lehre und Ausbildung, die zur Leitung einer Hochschule kompetent sind, sieht sie allein die Professoren in Lebenszeitstellung an. Aber diese machen nur einen kleinen Teil der Hochschulen aus. Die Erfahrungen und Kenntnisse der üb- rigen Dozenten, der wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Beschäftigten und der Studierenden will die CDU außen vor lassen. Sie dürfen in den Universitäts- gremien noch mitreden, wirklich mitbestimmen sollen sie nicht.So haben wir z.B. vorgeschlagen, dass eine Hochschule selbst entscheiden kann, ob sie mehrere Prorektoren haben möchte, maximal jedoch drei. Und wenn sie sich da- für entscheidet, dann kann sie weiterhin festlegen, dass eine oder einer dieser Pro- rektoren aus dem Kreise der Beschäftigten oder der Studierenden kommen kann.Wie viel Verantwortungslosigkeit unterstellt man eigentlich den Mitgliedern des Se- nats und des Konsistoriums, wenn dieser vorsichtigen Öffnung des Leitungsgremi- ums der Hochschule entgegengehalten wird, dann könne ja auch jeder Hausmeister Prorektor werden. Ja, das ist möglich, wenn die Hochschule das will, wenn der Senat ihn mit einer zwei Drittel-Mehrheit vorschlägt und wenn das Konsistorium ihn wählt. Und wenn der Hausmeister alle diese Hürden genommen hat: Warum sollten wir der Hochschule das dann gesetzlich verbieten?Auch aus der drastischen Kritik an der neueingeführten Möglichkeit, dass das Kon- sistorium mit drei Viertel-Mehrheit ein Mitglied des Rektorats abwählen kann - bzw. der Fachbereichskonvent Dekane oder Prodekane - spricht für mich mangelndes Demokratieverständnis. Dem Landtag ist es möglich, die Ministerpräsidentin in einem konstruktiven Misstrauensvotum mit einfacher Mehrheit abzuwählen. Warum ist es, so Originalton aus dem CAU-Rektorat, „unerträglich“, dass das Parlament einer Hochschule, das Konsistorium, einen Rektor oder Prorektor oder den Kanzler mit - wohlgemerkt - drei Viertel-Mehrheit abwählen kann?Dieses hohe Quorum schützt den hochschulpolitischen Spielraum des Rektors. So wird das Prinzip „starke Leitung mit starker innerer demokratischer Kontrolle“ ver- wirklicht. Im übrigen, Herr de Jager, auch das CDU-regierte Baden-Württemberg lässt die Abwahl eines Rektoratsmitglieds zu - mit lediglich einer zwei Drittel- Mehrheit.Ich will ihnen nicht vorenthalten, wie das Studierendenparlament der CAU, das drei Viertel der Universitätsmitglieder repräsentiert, den Brief von Prof. Haensel bewertet: Es „verwahrt sich mit Nachdruck gegen diese unzulässige Vereinnahmung durch den Rektor und fordert ihn auf, künftig die Lobbyarbeit für die Gruppe der Professoren nicht mit der Interessenwahrung der gesamten Universität zu vermengen“, heißt es in einer gestern beschlossenen Resolution.Aber man soll die konservative Kritik nicht überbewerten. Einige Hochschulleitungen sehen in der demokratischen und - soweit verfassungsrechtlich möglich - gleichberech- tigten Mitbestimmung aller Hochschulangehörigen eine Chance. So hat der Rektor der Fachhochschule Westküste, Prof. Dr. Block, in der Anhörung am 24. Juni die Drittelpa- rität des Konsistoriums mit den Worten befürwortet: „Meine Hochschule hat die Drittelpa- rität nicht abgelehnt. Wir haben keine Angst vor unseren Studierenden!“ Durch die Drit- telparität erhalten die Studierenden mehr Einfluss auf die Wahl des Rektorats. Da der professoral dominierte Senat das Vorschlagsrecht hat, bleiben die Rechte, die das Bun- desverfassungsgericht 1973 den Professoren zugesprochen hat, unangetastet.Dies gilt auch für den Fachbereichskonvent. Wir haben allerdings den Spielraum, den das Verfassungsgericht uns gelassen hat, maximal ausgenutzt und die Mehrheit der Professoren von bisher zwei auf einen Sitz reduziert. Auch mit dieser Maßnahme verbessern wir die Mitbestimmungsrechte der Studierenden und der Beschäftigten in den Fachbereichen - also dort, wo konkret über Berufungsvorschläge und Prüfungsord- nungen entschieden wird. Aus grüner Sicht ist das ein ganz wichtiger Schritt. Abge- schafft wird das antiqierte Vorrecht der Professoren, auch dann im Konvent über Perso- nalfragen mit abzustimmen, wenn sie diesem Gremium gar nicht angehören. Dies dient der Straffung von Entscheidungsstrukturen. Hochschullehrer wie Professor Block befinden sich mit ihrer Befürwortung von mehr Demokratie an den Hochschulen in guter Tradition. Deutschlands Hochschulen sind seit langem demokratisch verfasst. Sie kennen - wie kürzlich Horst Neumann in seiner Ab- schiedsrede als Kanzler der CAU bemerkte - „kein System von Befehl und Gehorsam“, und das ist „vielleicht das Geheimnis ihres Erfolgs“. Diese Tradition, zu der auch Hum- boldts Ideal einer lebendigen Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden gehört, gilt es mit den Anforderungen der Gegenwart zu verknüpfen.Um mit ihrer erweiterten Autonomie sinnvoll umgehen zu können, benötigen die Hoch- schulen nach Auffassung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zweierlei: Eine starke Lei- tung und eine ebenso starke innere demokratische Kontrolle dieser Leitung. Der Ge- setzentwurf und unsere Änderungsanträge schaffen den dafür notwendigen Rahmen.Mehr Demokratie in der inneren Verfasstheit ist die notwendige Voraussetzung für mehr Eigenverantwortlichkeit der Hochschulen, dem zweiten Schwerpunkt der Re- form. Das neue Hochschulgesetz erweitert den Autonomiespielraum der Universitäten und Fachhochschulen erheblich. Zum ersten Mal werden für einen ganzen Bereich der Landespolitik Globalbudgets gesetzlich verankert. Im Rahmen der Globalhaushalte und der zwischen den Hochschulen und der Landesregierung abgeschlossenen Zielver- einbarungen können sie selbst über die Verwendung ihrer Mittel entscheiden. Das Par- lament überträgt den Hochschulen damit einen Teil seiner Budgethoheit.Mit diesem Schritt verfolgen wir drei Ziele: • Die Hochschulen und ihre Fachbereiche sollen schnell Entscheidungen treffen kön- nen, um flexibel auf die wachsenden Anforderungen der Wissensgesellschaft zu rea- gieren. • Sie sollen längerfristig eigenverantwortlich planen, um ihre Stärken gezielt auszubau- en und ihr wissenschaftliches Profil zu schärfen. • Über die Verwendung der Ressourcen soll direkt vor Ort entschieden werden, um die knappen Haushaltsmittel so bewusst und effizient wie möglich zu nutzen.Die Zielvereinbarungen gehören verfassungsrechtlich zur Sphäre der Exekutive und werden deshalb zwischen Ministerium und den Hochschulen abgeschlossen. Der Landtag hat in seinem Beschluss vom Dezember 1998 deutlich gemacht, dass er auch bei Anwendung der Steuerungsinstrumente Budgetierung und output-orientierte Steue- rung an seinem Anspruch auf Mitgestaltung und Mitbestimmung festhält. Auf Antrag von SPD und GRÜNEN wurde damals beschlossen, dass im Rahmen der Verwaltungsmo- dernisierung vor der Budgetierung einzelner Bereiche Zielvereinbarungen zwischen Parlament und Landesregierung abzuschließen sind. Der Wunsch, beim Abschluss der Zielvereinbarungen mit den Hochschulen nicht außen vor zu bleiben, wurde fraktions- übergreifend auch bei den Beratungen im Bildungsausschuss deutlich. Die Fraktionen von SPD und GRÜNEN legen daher heute begleitend zum Hochschul- gesetz einen Antrag vor, mit dem einerseits ein Verfahren für die zukünftige Beteiligung des Parlaments vor Aufnahme der Verhandlungen der Landesregierung mit den Hoch- schulen festgelegt werden soll. Als Grundlage dafür soll der Landtag zukünftig alle zwei Jahre im Frühjahr über die strategischen Zielsetzungen für die Hochschulpolitik des Landes beschließen. Über die Umsetzung dieses Beschlusses und die Erfüllung der Zielvereinbarungen wird dem Landtag jährlich berichtet. Dieser Bericht wiederum ist Grundlage für die Festsetzung des Globalbudgets für die Hochschulen im Rahmen der jährlichen Haushaltsberatungen. In die Erläuterungen des Haushalts werden die vom Landtag beschlossenen strategischen Zielsetzungen der Hochschulpolitik und die Ziel- vereinbarungen mit den Hochschulen aufgenommen.In dem Entschließungsantrag sind weiterhin die strategischen Ziele für die Hochschul- politik für das Jahr 2000 benannt. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist dabei die Frauen- förderung beim Personal, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studierenden und die weitere Absicherung der frauenbezogenen Forschung ein besonderes Anliegen.Ökologische Forschungs- und Lehrinhalte sollen ein Schwerpunkt der Arbeit der Hoch- schulen sein. Dabei kommt im Agrarbereich der ökologischen Landwirtschaft eine be- sondere Bedeutung zu.Über diesen Antrag möchten wir nicht heute entscheiden, sondern ihn im Bildungsaus- schuss behandeln und im Dezember zusammen mit dem Haushalt und dem ersten Glo- balbudget für die Hochschulen beschließen. Ich hoffe, dann mit den Stimmen aller Frak- tionen.Dies hätte ich mir auch für das Hochschulgesetz gewünscht. Mit ihm schaffen wir eine gute Grundlage für die Positionierung unserer Hochschulen im zunehmenden Wettbe- werb. Es wäre ein gutes Zeichen gewesen, wenn wir dies gemeinsam getan hätten. A- ber trotz der Verweigerungshaltung der Opposition: Der Landtag wird heute die Signale für mehr Autonomie und mehr Demokratie für unsere Hochschulen auf grün stellen. ***