Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

18.11.99 , 15:36 Uhr
B 90/Grüne

Irene Fröhlich: Minderheitenpolitik in der Grenzregion - Ein Vorbild für Europa

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 Zu TOP 15 und 31, Regional- bzw. Minderheitensprachen E-Mail: presse@gruene.ltsh.de in den Medien, erklärt Irene Fröhlich, Internet: www.gruene.ltsh.de Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nr. 361.99 /18.11.99


Minderheitenpolitik in der Grenzregion - Ein Vorbild für Europa
Die kulturelle Vielfalt, die durch drei nationale Minderheiten und vier regionale Sprachen neben dem Hochdeutschen entsteht, macht unser Land bundesweit einzigartig. Ge- schichte und das kulturelle und soziale Leben der dänischen Minderheit, der Minderheit der Sinti und Roma und friesischen Volksgruppe ist eine Bereicherung für Schleswig- Holstein, die wir pflegen und bewahren müssen.
Schutz und Förderung der Minderheiten ist jedoch nicht nur eine kulturelle Aufgabe, sie hat auch eine eminent politische Bedeutung. Auf beiden Seiten der Grenze zwischen Dänemark und der Bundesrepublik leben Menschen mit einer historisch gewachsenen nationalen und kulturellen Identität zum Nachbarstaat. Auch dies unterscheidet Schles- wig-Holstein von allen anderen Bundesländern.
Schleswig-Holstein hat eine jahrhundertelange, gemeinsame Geschichte mit Dänemark; die Grenze zum Deutschen Reich lag einmal bei Hamburg. Die heutigen Grenzziehung geht, wie wir wissen, auf mehrere, grausame Kriege zurück. Dass heute Deutsche und Dänen in beiden Ländern friedlich zusammenleben und von ihren kulturellen und sozia- len Unterschieden gegenseitig profitieren - ich nenne an dieser Stelle nur die vielen Kin- der deutschsprachiger Eltern, die dänische Schulen in Schleswig-Holstein besuchen - kann man fast als Wunder bezeichnen. Zumindest ist eine Erfolgsstory, die in Europa kaum Bespiele findet, allenfalls vielleicht die Integration der slowenischen Minderheit in Österreich, und die gerade zur Zeit Vorbild für viele Länder und Regionen unseres Kon- tinents sein kann. Es gibt meines Wissens bereits Gespräche zwischen der FUEV und Minderheiten- vertreterInnen aus den Balkan-Staaten, um ihnen darzustellen, wie die Mehrheiten und Minderheiten hier in der Grenzregion zusammenleben. Vielleicht könnten Deutschland und Dänemark mit einer gemeinsamen Stiftung, die dies ausbaut, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker in Süd-Osteuropa beitragen.
An dieser Erfolgsstory haben seit den fünfziger Jahren alle Landesregierungen unab- hängig von ihrer politischen Ausrichtung gearbeitet. Trotzdem gibt es manche Signale, dass unter der Oberfläche der politischen Zusammenarbeit und der kulturellen Integrati- on das Verhältnis der Menschen im Grenzland immer noch fragil ist, dass unter der O- berfläche durchaus noch Vorbehalte gegeneinander vorhanden, tiefsitzende Ängste vor möglicher kultureller und politischer Dominanz der jeweils Anderen.
Ich habe bereits im September im Landtag an einige dieser Signale erinnert, z.B. an die Aufregung, als 1979 die zweisprachige Zeitschrift „Slesvigland“ an die geschichtlichen dänischen Wurzeln des Landesteils Schleswig erinnerte. Oder an die Proteste vor allem von CDU/CSU-Politikern - mir fällt vor allem Franz-Josef Strauß ein - dagegen, daß ein „Däne“ - nämlich Karl-Otto Meyer - als Zünglein an der Waage entscheiden könnte, wer Schleswig-Holstein regiert, als es in diesem Hause nach der Barschel/Pfeiffer-Affäre ein Patt zwischen CDU/F.D.P. und SPD gab.
Vor diesem Hindergrund hat meine Fraktion sich für den Erhalt des Generalkonsulats in Apenrade eingesetzt. Wir wissen, dass die finanzielle Situation des Bundes aufgrund der 16jährigen Misswirtschaft von CDU und F.D.P. Einsparungen auch im Auswärtigen Amt notwendig machte. Ich finde es gerade mit Blick auf die großen Erfolge der Minder- heitenpolitik in Schleswig-Holstein verständlich, dass der Bundesaußenminister sich entschlossen hat, das Generalkonsulat in Apenrade zu schließen. Die ebenfalls vorge- sehenen Schließungen der Konsulate in Temesvar in Rumänien und Oppeln in Polen sind da viel problematischer.
Joschka Fischer hat gleichzeitig deutlich gemacht, dass das Auswärtige Amt die Betreu- ung der deutschen Minderheit in Nordschleswig sicherstellen wird. Sie wird einen hoch- rangigen direkten Ansprechpartner in der deutschen Botschaft in Kopenhagen erhalten, die Vertretung der Bundesrepublik in Apenrade ist auch zukünftig durch einen Honorar- konsul gesichert. Ich finde das nach Lage der Dinge einen guten Kompromiss zwischen Sparzwang und der Unterstützung der guten Nachbarschaft der Volksgruppen im Grenzland und kann die Kritik auf Seite 8 des Minderheitenberichtes nicht ganz nach- vollziehen.
Ich entnehme diesem Bericht, dass Kurt Schulz mit dem Ende dieser Wahlperiode aus seinem Amt als Grenzlandbeauftragter ausscheiden wird. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei ihm für seine Arbeit bedanken. Seine ehrenamtliche Arbeit seit 1991 hat viel zur insgesamt guten Situation, die wir heute haben, beigetragen. Deshalb unterstütze ich die Ministerpräsidentin nachdrücklich in ihrem Anliegen, das Amt des Grenzlandbeauftragten zu erhalten und es wieder zu besetzen. Wie alle Beauftragten, ist auch dieser ein bürgerfreundlicher Ansprechpartner für spezielle Bevölkerungsgrup- pen; er ist Mittler zwischen Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung.
Die Ankündigung Volker Rühes, er werde im Falle seiner Wahl zum Ministerpräsidenten das Amt abschaffen, hat zu großen Irritationen bei den Minderheiten geführt, was ihn letztendlich zu einer Rücknahme seiner Erklärung veranlasst hat. Vielleicht sollte er auch einmal mit den Verbänden der Behinderten sprechen oder den Organisationen der Ausländerinnen und Ausländer; auch sie brauchen „ihre“ Beauftragten dringend.
Ausländerinnen und Ausländer ist ein Stichwort, dass ich aufgreifen möchte. Deutsch- land ist ein Einwanderungsland, nicht erst seit heute. Der Bericht weist darauf hin, dass die Sinti und Roma im Jahre 1417 erstmals in einer amtlichen Urkunde in Lübeck er- wähnt sind. Durch die Einwanderung seit Beginn der sechziger Jahre sind neue Volks- gruppen auch in Schleswig-Holstein entstanden. Namentlich leben rund 40.000 türki- sche Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land. Auch sie bereichern unsere Ge- sellschaft mit ihrer Kultur, die der unseren nicht weniger fremd ist als es 1417 die der Sinti und Roma gewesen ist. Und auch sie hat sich längst in kulturellen und politischen Vereinigungen organisiert. Ich hielte es für ein gutes Zeichen für unsere Bereitschaft zu ihrer Integration, wenn im nächsten Minderheitenbericht 2005 auch die türkische Volks- gruppe aufgeführt wäre.
Roma und Sinti werden hingegen bereits ausführlich behandelt. Ich möchte mich bei der Ministerpräsidentin ausdrücklich dafür bedanken, dass sie ihre Ankündigung wahr ge- macht hat, Roma und Sinti so zu behandeln, als ob die Landesverfassung für sie die gleiche Verpflichtung zu Schutz und Förderung enthielte wie für die dänische und friesi- sche Minderheit.
Ich sage es hier noch einmal sehr deutlich: Ich finde es skandalös, dass CDU und F.D.P. vor zwei Jahren verhindert haben, dass Sinti und Roma in Artikel 5 der Landes- verfassung aufgenommen wurde. Durch diese Nicht-Erwähnung wird eine jahrhunder- telange Verfolgung und Diskriminierung erneut manifest.
Ich freue mich, dass es gelungen ist, das Förderprojekt an der Kieler Matthias-Claudius- Schule im Haushaltsentwurf 2000 endgültig abzusichern. Die Initiative zweier Sintezzas hat sich überaus erfolgreich entwickelt; inzwischen gibt es ähnliche Ansätze in anderen Stadtteilen Kiels. Ich wünsche mir, dass dies ein Beispiel für entsprechende Initiativen in anderen Städten sein wird, in denen viele Romafamilien leben.
Nicht nachvollziehen kann ich allerdings, warum es nicht möglich ist, das Romanes in Teil III der europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen aufzunehmen, wie es die Roma und Sinti selbst seit langem wünschen. Hessen, damals noch unter rot- grüner Regierung, ist es bereits vor zwei Jahren gelungen, die erforderlichen 35 Ver- pflichtungen zu erfüllen. Die Landesregierung sollte diese Frage noch einmal intensiv prüfen. Meine Fraktion wird jedenfalls in der nächsten Wahlperiode einen neuen Anlauf dazu unternehmen.
Gerade weil Romanes eine überwiegend gesprochene Sprache ist und deshalb in den Printmedien nicht vorkommt, wünsche ich mir vom NDR, dass er wenigstens ab und zu Sendungen in Romanes ausstrahlt. Damit könnte man auch diejenigen Sinti und Roma erreichen, die auf dem Land wohnen und wenig Kontakte zu anderen Angehörigen der Volksgruppe haben.
Damit bin ich bei dem Antrag des SSW angekommen. Ich befürworte die Intention, re- gelmäßiger und mehr Rundfunksendungen in dänischer und friesischer Sprache und in Niederdeutsch auszustrahlen. Tatsächlich sind insbesondere wöchentlich nur drei Mi- nuten Beiträge in Friesisch viel zu wenig. Ich finde allerdings, dass diese Verpflichtung nicht nur dem NDR, sondern auch den privaten Radiosender übertragen werden sollte. Ob deshalb eine Änderung des Rundfunk-Staatsertrags der richtige Weg zu diesem Ziel ist, das sollten wir gemeinsam im Innen- und Rechtsausschuss beraten. Meine Fraktion stimmt der Überweisung zu.

***

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen