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Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Aufstand des Gewissens"
D E R L A N D T A G SCHLESWIG HOLSTEIN ¡ ¢ ¢ £ ¡ ¤ ¥ ¦ § £ ¦153/1999 Kiel, 2.12.1999Heinz-Werner Arens: Ausstellung über den Widerstand gegen Hitler als Fortfüh- rung der Diskussion über die Rolle der Wehrmacht im NationalsozialismusKiel (SHL) – In seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Aufstand des Gewissens“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam am Donnerstag, den 2. Dezember 1999, im Landeshaus erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens u.a.:„In der Welt ist im Grunde des Guten so viel als des Bösen“. Es ist noch kein Jahr her, da haben wir an gleicher Stelle die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ gezeigt. Viele von I hnen haben diese Ausstellung gesehen.Ich hatte, lassen Sie mich das kurz ins Gedächtnis rufen, die Ausstellung damals in den Schleswig-Holsteinischen Landtag geholt, weil ich der Auffassung war - und immer noch bin -, dass die Auseinandersetzung mit diesem ebenso schmerzlichen wie wichtigen Thema unserer jüngeren Geschichte unverzichtbar ist. Viele Zig-Tausend Menschen haben sich damals intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Viele reagierten mit großer Betroffenheit, ja waren aufgewühlt. Andere äußerten Protest. Durch die ung e- wöhnliche Resonanz ist die Ausstellung selbst zu einem Kapitel der Zeitgeschichte g e- worden.Nun ist die Ausstellung vorübergehend geschlossen. Sie wird aufgrund konkreter Vo r- würfe überarbeitet. Lassen Sie mich dazu zwei Feststellu ngen treffen:1. An der Richtigkeit der Kernthese der Ausstellung ändert die vorübergehende Schli e- ßung nichts. Die Kernthese – und hier befindet sich die Ausstellung mit der nationalen und internationalen historischen Wissenschaft in Übereinstimmung – dass Herausgegeben von der Pressestelle die Wehrmacht tief in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt des Schleswig- Holsteinischen war, ist richtig. Und Landtages in 24105 Kiel, Landeshaus; 24171 Kiel, 2. Die Ausstellung ist zu spät zur Überarbeitung aus dem Verkehr gezogen Postfach 7121; Tel. (0431) 988 worden. Hannes Heer hat dem Anliegen der Ausstellung mit der fast ei n- Durchwahl App. 1120 bis 1125 jährigen Verzögerung der Überarbeitung geschadet. und 1116 bis 1118 Fax (0431) 988 1119 V.i.S.d.P. Dr. Joachim Köhler Diese Pressemitteilung ist auch über das Internet abrufbar: www.sh-landtag.de Internet:http//www.sh-landtag.de oder in Form des Pressetickers unter www. ltsh.de bzw. www.parlanet.de. e Mail:Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de Über den Presseticker können die Pressemitteilungen auch per E-Mail direkt abonniert werden. -2-Der Volksmund bezeichnet die Ausstellung über den „Vernichtungskrieg“ immer wieder als „Wehrmachtsausstellung“. Dabei ist dieser Name irreführend, wenn man sich das einmal genauer anschaut. Denn er erweckt den Eindruck, die Wehrmacht als Ganzes wäre eine verbrecherische Organisation gewesen und alle Soldaten ohne Ausnahme Kriegsverbrecher. Es ist und bleibt wahr, die Wehrmacht war als Instrument der nati o- nalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik an den Verbrechen des Regimes beteiligt. Sie hat diese auch durch die Führung von Angriffskriegen vielfach erst ermö g- licht.Doch ist das nur ein Teil der Grunderkenntnis. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass es in der Wehrmacht auch Widerstand gab - gegen Hitler und seine menschenve r- achtende Politik – und nicht nur in der Wehrmacht möchte ich hinzufügen. Dieser W i- derstand, von dem die heutige Ausstellung berichtet, gehört zu den moralisch herausr a- genden Kapiteln unserer jüngeren Vergangenheit. Der Widerstand gegen Hitler zeigt uns, dass es selbst in einer unmenschlichen Zeit noch Menschlichkeit gab. Neben dem Bösen, um das Eingangszitat noch einmal ein wenig abgeändert aufzunehmen, gab es in der Wehrmacht auch das Gute. Dieses will ich als qualitative Aussage verstanden wissen. Damit entzieht sich die Wehrmacht als Ganzes einer einfachen Beu rteilung.Wer die Durchführung dieser Ausstellung als eine Art Wiedergutmachung an die Me n- schen verstehen will, die sich mit der Ausstellung „Vernichtungskrieg“ nicht einversta n- den erklären konnten, der würde – auch mir – ein etwas zu schlicht gestricktes Han d- lungsmuster unterstellen. Richtig ist aber, dass ich heute die Diskussion über die Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus fortsetzen möchte, die wir vor nicht ganz einem Jahr begonnen haben. Beide Ausstellungen haben meiner Ansicht nach ihre Berecht i- gung, denn sie beide zeigen historische Wahrheiten. Diese Vielschichtigkeit müssen wir aushalten und aufarbeiten. Denn sie ist ein zentrales Merkmal unserer jüngeren und jüngsten Geschichte.Geschichte ist meiner Ansicht nach nie abgeschlossen. Geschichte lebt in den Köpfen der nachfolgenden Generationen fort. Dabei ist Geschichte ein wichtiger und unve r- zichtbarer Bestandteil der eigenen Identität. Ich stimme dem Philosophen Wilhelm Di l- they zu, der sagte: „Was der Mensch sei, sagt ihm nur die Geschichte“. Jede Generation muss sich ihr eigenes Bild von der Vergangenheit machen, um für die Zukunft zu lernen. Der Weg in die Zukunft führt über die Vergangenheit. Dabei kann Geschichte nicht b e- wältigt werden, wie es so schön heißt. Politische Bildungsarbeit beginnt mit jeder Gen e- ration von neuem. Hier stellt sich mir die Frage nach dem Vermächtnis des Widersta n- des. Was können wir von der heutigen Ausstellung lernen?Erinnerungswürdig sind die fortschrittlichen Visionen eines geeinten Europas, die die Männer und Frauen des Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke, Julius Leber und Peter Yorck Graf von Wartenburg hatten. Sie dachten über die Schaffung e i- -3-nes europäischen Bundesstaates nach. Heute ist vieles von dem Denken der Kreisauer keine Utopie mehr. Europa wächst zusammen.Vor allem aber sollten wir uns vergegenwärtigen, dass es den Verschwörern aus dem Umkreis des 20. Juli zunächst um Brechung der Willkürherrschaft und um die Beseit i- gung des menschenverachtenden Unrechtsregimes ging, um Hitlers verbrecherischer Politik ein Ende zu bereiten. Carl Goerdeler und Ludwig Beck formulierten das 1944 fo l- gendermaßen: „Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts.“ Dabei stellten die Verschwörer des 20. Juli 1944 zu keinem Zeitpunkt die Her r- schaft der Politik über das Militär in Frage. Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 war kein Militärputsch.Das eigentliche Vermächtnis des Widerstandes gegen Hitler und das NS-Regime ist meiner Ansicht nach aber auf der persönlichen Ebene zu finden. Die Nationalsozialisten haben Politik in einen permanenten Rausch umgesetzt. Die vielen Massenveranstaltu n- gen und Aufmärsche ließen kaum jemanden zur Besinnung kommen. Die scheinbaren außen- und innenpolitischen Erfolge des Diktators taten ihr übriges. Erfolg erzeugte Gefolgschaft und nur wenige erkannten, wie Goerdeler das einmal formulierte, dass der Vater des Diktators der Krieg war.Vor diesem Hintergrund verdient es unsere Würdigung, dass es Männer und Frauen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten und geistigen Traditionen gab, die auf ganz verschiedene Art und Weise Widerstand leisteten. Widerständiges Verhalten konnte mit der Verweigerung des Hitler-Grußes beginnen. Manche Widerstandskämpfer waren s o- gar bereit, nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familie zu opfern, um Deutschland und Europa von der Herrschaft des Tyrannen zu befreien.Die meisten Verschwörer gehörten zur Elite des Deutschen Reiches und haben durch ihr Tun zum Aufstieg Hitlers beigetragen. Viele sind, wenn ich das mächtige Wort gebra u- chen darf, schuldig geworden. Viele Männer und Frauen des Widerstandes haben das auch so empfunden. Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt mochte die Stimme ihres Ge- wissens nicht mehr verstummen, die ihnen sagte, dass sie Schuld auf sich geladen ha t- ten. Die heutige Ausstellung bezeichnet den Widerstand gegen Hitler daher sehr tre f- fend als einen „Aufstand des Gewissens“.Der Historiker Fritz Stern, der Träger des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels, nannte die Existenz des Widerstandes gegen Hitler ein „menschlich- welthistorisches Ereignis, das in der deutschen Geschichte nicht seinesgleichen hat.“ Dem kann ich nur zustimmen.