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03.12.99 , 10:39 Uhr
Landtag

Rede zum 17. Landtagsforum "Militärischer Widerstand gegen Hitler"

D E R L A N D T A G SCHLESWIG HOLSTEIN   ¡ ¢ ¢ £ ¡ ¤ ¥ ¦ § £ ¦



154/1999 Kiel, 3. Dezember 1999



Heinz-Werner Arens: 17. Landtagsforum über den Widerstand gegen Hitler als Ergänzung zur Ausstellung und Chance für die Wissenschaft
Kiel (SHL) – In seiner Rede zur Eröffnung des 17. Landtagsforums „Militärischer Wider- stand gegen Hitler“ am Sonnabend, den 4. Dezember 1999 im Landeshaus, erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens u.a.:
„Ich will dieses Forum eröffnen, nicht ohne ein paar grundsätzliche Worte über die B e- deutung von Ausstellungen und Foren zu verlieren, wie wir sie hier im Schleswig- Holsteinischen Landtag veranstalten.
Die Ausstellung 'Aufstand des Gewissens“, die wir vor zwei Tagen eröffnet haben, stellt den militärischen Widerstand gegen Hitler dar. Im Mittelpunkt stehen das Attentat und der Staatsstreich vom 20. Juli. Darüber hinaus werden auch Grenzbereiche des militär i- schen Widerstandes berücksichtigt. Angesprochen werden u.a. der „ Kreisauer Kreis“, die „Weiße Rose“ oder auch das Nationalkomitee „Freies Deutschland“. Daneben wird auch eingegangen auf verschiedene andere Formen der Verweigerung und das Problem der Desertion. Das zeigt, dass die Ausstellung auf einem erweiterten Widerstandsbegriff beruht und sich auf der Höhe der gegenwärtigen
Forschung bewegt. Völlig zu Recht berücksichtigt sie, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus mehr war als die Verschwörung des 20. Juli.
Und doch könnte man den Einwand erheben, die Ausstellung sei einseitig und gebe das historische Geschehen nur verkürzt wieder, weil sie nicht die ganze Bandbreite des W i- derstands gegen die Nazi-Diktatur ausführlich aufzeigt. Man könnte krit i- Herausgegeben von der Pressestelle sieren, der Widerstand aus der Arbeiterschaft fi nde zu wenig Beachtung. des Schleswig- Holsteinischen Landtages in 24105 Kiel, Das ist sicher richtig, doch muss man sehen, dass der sozialdemokrat i- Landeshaus; 24171 Kiel, sche oder auch der kommunistische Widerstand nicht Hauptthema dieser Postfach 7121; Tel. (0431) 988 Ausstellung sind. Hier geht es um den militärischen Widerstand gegen Durchwahl App. 1120 bis 1125 Hitler und das NS-Regime. Und auch nur unter diesen Aspekten ist sie zu und 1116 bis 1118 Fax (0431) 988 1119 V.i.S.d.P. Dr. Joachim Köhler Diese Pressemitteilung ist auch über das Internet abrufbar: www.sh-landtag.de Internet:http//www.sh-landtag.de oder in Form des Pressetickers unter www. ltsh.de bzw. www.parlanet.de. e Mail:Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de Über den Presseticker können die Pressemitteilungen auch per E-Mail direkt abonniert werden. -2-


bewerten. Der Dialog über andere und weitere Aspekte oder unter veränderter polit i- scher Themenstellung kann jederzeit, an jedem Ort oder auch hier fortgeführt werden.
Das angesprochene Problem ist meiner Ansicht nach eines, mit dem sich prinzipiell jede Ausstellung auseinander zusetzen hat. Ausstellungen werden nie die Tiefe und Ausg e- wogenheit von wissenschaftlichen Abhandlungen erreichen. Ausstellungen komprimi e- ren, setzen Schwerpunkte und bringen auf den Punkt. Gerade deshalb halte ich sie auch für geeignet, eine breites Publikum anzusprechen. Ich darf an dieser Stelle an die Au s- stellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung „Vernichtungskrieg“ erinnern, die die Menschen in diesem Land aufwühlte.
Dabei wurden hier keine neuen Forschungsergebnisse präsentiert. Die Fakten waren längst bekannt. Doch erst dieser Ausstellung war es gelungen, eine breite Öffentlichkeit für ihr Thema zu interessieren. Selbst Jost Nolte, eigentlich ein Kritiker der Ausstellung, räumte ein, dass der Ausstellung das Verdienst zukomme, „die Kenntnis der Verbrechen der Soldaten aus den Fesseln der Wissenschaft befreit und sie dem Publikum aufg e- drängt zu haben“.
Ich sehe hier ein Chance für die Wissenschaft und eine Chance für politische Bildung s- arbeit. Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt. Wenn es erst einmal gelungen ist, die Menschen für ein Thema zu sensibilisieren, dann bietet sich Fachleuten die Möglic h- keit, ihr Wissen weiterzugeben. Solche Gelegenheiten sollten genutzt werden.
Aus diesem Grund lässt der Schleswig-Holsteinische Landtag die Ausstellung „Aufstand des Gewissens“ auch nicht für sich allein stehen. Begleitend zur Ausstellung veransta l- ten wir heute das 17. Landtagsforum. Damit wollen wir interessierten Menschen die G e- legenheit geben, sich umfassender und tiefgreifender über das Thema der Ausstellung, in diesem Fall den militärischen Widerstand gegen Hitler, zu informieren. Gleichzeitig bietet das Forum Gelegenheit, etwaige Unausgewogenheiten einer Ausstellung im G e- spräch mit Wissenschaftlern zu korrigieren.
Der Schleswig-Holsteinische Landtag ist bemüht, politische Bildungsarbeit zu fördern, wann immer es geht. Historische Themen liegen uns dabei ganz besonders am Herzen, denn – ich werde nicht müde, das zu betonen -, der Weg in die Zukunft führt über die Geschichte. Wir tragen zwar keine, zumindest keine direkte, Verantwortung für die Ve r- gangenheit, wir sollten uns aber mit der Geschichte auseinandersetzen, um für die G e- genwart und die Zukunft zu lernen.
Die Erinnerung und Würdigung der Männer und Frauen, die Widerstand leisteten gegen die Nazi-Diktatur, ist uns heute eine Verpflichtung. Denn die Existenz eines anderen, dem Nationalsozialismus widerstehenden Deutschlands, hat uns nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückkehr in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker Europas erleichtert. Joachim Fest hat darauf in seinem Buch über den langen Weg zum 20. Juli mit Recht hingewiesen. -3-



Meiner Ansicht nach, ich sagte das bereits auf der Ausstellungseröffnung, ist das Ve r- mächtnis des Widerstandes vor allem aber auch auf der persönlichen Ebene zu finden. Gegen die Männer und Frauen des Widerstandes, vor allem gegen die Verschwörer im Umkreis des 20. Juli ist viel Kritik vorgebracht worden. Sie hätten sich hinter ihrem Eid auf den „Führer“ zu lange versteckt. Außerdem sei der Umsturzversuch viel zu spät e r- folgt und habe nur dem Ziel gedient, die militärische Niederlage zu verhindern. Zudem seien die Männer des 20. Juli keine Demokraten gewesen und in monarchischen Vo r- stellungswelten verhaftet geblieben.
Wenn diese Kritik aus der Motivation nüchterner historischer Analyse erfolgt, kann ich ihr zustimmen. Man muss Menschen, denen man Respekt entgegenbringt, nicht gleich in den Rang von Lichtgestalten erheben. Wenn diese Kritik allerdings moralisierend erh o- ben wird, will ich ihr mit einem Zitat von Ralf Dahrendorf entgegentreten, der gesagt hat: „Überhaupt steht es dem nicht zu, moralische Urteile über andere zu fällen, der selbst nicht in die Versuchung geführt wurde.“
Dabei möchte ich betonen, dass wir uns die Motive der Verschwörer und die Hintergrü n- de ihrer Tat vergegenwärtigen sollten. Zu diesem Zweck veranstalten wir das heutige Forum. Es soll uns die Beweggründe der Männer und Frauen des Widerstandes näher bringen, die bereit waren, ihr Leben für die Wiederaufrichtung des Rechts einz usetzen.
Zur Eröffnung der Ausstellung sagte ich schon, dass sich die Wehrmacht als Ganzes einer einfachen Beurteilung entzieht. Das gleiche gilt auch für die Männer und Frauen des Widerstandes. Jeder Einzelne entzieht sich einem eindimensionalen moralischen Urteil. Die meisten Angehörigen des Widerstandes entwickelten sich erst während der Nazi-Diktatur zu entschiedenen Gegnern des Regimes. Viele von ihnen begrüßten z u- nächst, aus welchen Gründen auch immer, die Regierungsübernahme der Nationalsoz i- alisten und waren in führenden Positionen tätig. Damit haben auch sie unweigerlich e i- nen Anteil am Aufstieg des Nationalsozialismus. Viele von ihnen hatten Kenntnis von den Verbrechen des Regimes. Manche waren auch darin verw ickelt.
Mich interessiert dabei vor allem eine Frage: Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen entwickelten sich die Männer und Frauen des Widerstandes von Anhängern zu entschiedenen Gegnern des Regimes. Ich hoffe, dass wir das im Verlauf der heutigen Diskussion klären können. Vermutlich wird sich dann zeigen, dass die Attribute Gut und Böse, schuldig und unschuldig auf jeden einzelnen Verschwörer zutreffen. Dass in ihnen aber das Gute überwog und sie auf die Stimme ihres Gewissens hörten, betrachte ich als ein Zeichen dafür, dass es auch in einer Zeit des Verbrechens und der Lüge noch Menschlichkeit gab.
Mit Fritz Stern, dem diesjährigen Träger des Friedenspreises des deutschen Buchha n- dels, halte ich es nicht für eine lohnende Aufgabe, „in einem unmenschlichen Zeitalter de, menschlichen nachzuspüren“, sondern auch für eine Verpflichtung.“

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