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Landtagspräsident: Neujahrsempfang in Rendsburg
D E R L A N D T A G SCHLESWIG HOLSTEIN ¡ ¢ ¢ £ ¡ ¤ ¥ ¦ § £ ¦9/2000 Kiel, 11.01.2000Landtagspräsident Heinz-Werner Arens in Rendsburg: Aufforderung zum Engagement für das Gemeinwesen Kiel (SHL) – In seiner Rede anlässlich des Neujahrsempfangs in Rendsburg am heut i- gen Tage erklärte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens u.a.: „Für die Stadt Rendsburg war das Jahr 1999 ein besonderes Jahr - und das darf ich hier sagen - ein sehr erfolgreiches Jahr. So ein schönes rundes Jubiläum lässt sich naturgemäß nicht jedes Jahr wiederholen. Schade eigentlich. Aber wenn ich mir die Pläne für die Zukunft anschaue, dann hat Rendsburg auch im Jahr 2000 seine Reize und eine Menge Charme. Für die Politik würde ich sehr gern eine ähnliche Bilanz ziehen. Und ich will die Erfolge und die Pläne nicht klein reden. Aber für die Politik war das Jahr 1999 - das muss ich hier sagen - unter dem Strich kein sehr erfolgreiches Jahr. Das gilt insbesondere für das vierte Quartal des Vorjahres. Sie wissen schon - das Quartal mit den vielen und großen Schlagzeilen. Und wenn ich an die Zukunft denke, dann scheint das Jahr 2000 auch nicht viel besser zu werden. Die Schlagzeilen reißen nicht ab und die Untersu- chungsausschüsse arbeiten bereits. In Rendsburg gibt es keine Polit-Affären. Und dennoch ist auch Rendsburg betroffen - wie jede andere Kommune. Ob Stadt oder Dorf - überall arbeiten Menschen in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl. Einige tun dies im Sportverein, andere in einem Sozia l- verband oder in einer kirchlichen Einrichtung. Und wieder andere opfern ihren Feie r- abend eben für eine Partei und engagieren sich ehrenamtlich in der Politik. Diese Me n- schen, die in so verschiedenen Bereichen arbeiten, diese Menschen sind das Rückgrat unseres Gemeinwesens. Herausgegeben von der Pressestelle Die Affären, sie sind ein Virus, der dieses Rückgrat schwächt. Mit jeder des Schleswig- Holsteinischen Affäre sinkt das Ansehen der Politik. Und damit auch die Bereitschaft, in Landtages in 24105 Kiel, Stadt oder Kreis, Land oder Bund Verantwortung zu übernehmen. Die Landeshaus; 24171 Kiel, Postfach 7121; Tel. (0431) 988 Menschen wenden sich ab, weil sie das diffuse Gefühl haben, dass Pol i- Durchwahl App. 1120 bis 1125 tik an sich ein schmutziges Geschäft ist. Dieses Gefühl, diesen Eindruck und 1116 bis 1118 Fax (0431) 988 1119 Diese Pressemitteilung ist auch über das Internet abrufbar: www.sh-landtag.de V.i.S.d.P. Dr. Joachim Köhler oder in Form des Pressetickers unter www. ltsh.de bzw. www.parlanet.de. Internet:http//www.sh-landtag.de Über den Presseticker können die Pressemitteilungen auch per E-Mail direkt abonniert werden. E-Mail:Joachim.Koehler@ltsh.landsh.de -2-kann ich nicht wegwischen. Er besteht. Und er ist dennoch falsch. Ich denke an die mehr als 13.000 Menschen in Schleswig-Holstein, die in der Kommunalpolitik aktiv sind. Sie haben mit den Affären nichts zu tun. Oder - um es anschaulich zu formulieren: U n- sere Kommunalpolitiker bezahlen ihre Geburtstagsfeier selbst, sie fliegen auf eigene Kosten in den Urlaub - und wenn sie einen schweren Lederkoffer mit sich herumtragen, dann sind da keine dicken Geldbündel, sondern die Vorlagen für die nächste Au s- schusssitzung drin.Kurzum: Ich will die Politik und die Politiker hier wahrlich nicht rein waschen. Aber man darf doch nicht alle Volksvertreter über einen Kamm scheren, nur weil es einige schwarze Schafe gibt. Politiker - das ist jedenfalls meine Erfahrung - Politiker sind nicht besser als andere Menschen - aber eben auch nicht schlechter. Das ist einerseits b e- ruhigend. Das ist andererseits aber alarmierend. Denn wenn die so oft gescholtenen Politiker nicht besser oder schlechter sind als ihre Mitbürger, dann stellt sich die Frage, ob hinter der öffentlich diskutierten Krise der Politik ein Verfall von Anstand, Sitte und Moral in der ganzen Gesellschaft steht?Die Frage, wie weit der Virus die Gesellschaft schon befallen hat, kann ich hier nicht abschließend beantworten. Einen wichtigen Anhaltspunkt liefert uns aber Marion Gräfin Dönhoff. Die Mitherausgeberin der „Zeit“ befasste sich mit der gesellschaftlichen Moral und entdeckte dabei einen Wandel weg von Werten wie - ich zitiere - „Pflichterfüllung, Verantwortung tragen, Gemeinsinn üben - hin zu einer individualistischen Orientierung auf Eigennutz, Selbstverwirklichung und hedonistischen Materialismus.“Das klingt sehr abstrakt. Ich biete ihnen deshalb eine knappe und konkrete Überse t- zung dieser Analyse an. Sie lautet: Der Mensch kümmert sich immer weniger um seine Nächsten und immer mehr um sich selbst. Diese Kritik ist radikal, aber zumindest mir zu pauschal. Natürlich gibt es einige Beispiele dafür, dass Gemeinsinn und Gemei n- wohl in unserer Gesellschaft an Bedeutung verlieren. Ich denke etwa daran, dass Schwarzarbeit und Versicherungsbetrug Konjunktur haben, dass geschönte Steuere r- klärungen und in bestimmten Branchen Korruption fast schon Alltag sind.All das sind Folgeerscheinungen des Virus. Es sind Zeichen für einen schleichenden moralischen Verfall und eine Abkehr unserer Gesellschaft vom Gemeinwohl. Verstehen Sie mich bitte richtig. Dies entschuldigt keine der politischen Affären. Aber es zeigt, dass auch die Welt außerhalb der Politik nicht so in Ordnung ist wie sie es sein sol lte.Ich will jetzt nicht der Versuchung erliegen, pauschal zu urteilen. Im historischen Ver- gleich steht es heute - gerade in Deutschland - noch sehr gut um das Gemeinwohl. Ich denke an unseren Sozialstaat. Und im historischen Vergleich steht es heute auch i m- mer noch sehr gut um die Moral - in der Politik wie in der gesamten Gesellschaft. Der Virus mag das Rückgrat geschwächt haben. Gebrochen ist es noch nicht.Auf Beispiele kann ich verzichten. Ich brauche mich hier nur umzusehen. Dann sehe ich sehr viele Menschen, die gegen den Trend und für ein solidarisches Miteinander arbeiten - in Stadt und Land, in Vereinen und Verbänden und eben auch in Parteien und Parlamenten. Wie anders wäre es möglich, dass im Jahr 2000 in Rendsburg die fünften Internationalen Jugendspiele und Kulturtage stattfinden. Dass über 600 J u- -3-gendliche aus mehreren Ländern in die Kreisstadt kommen - und hier aufgenommen werden.Ich finde das beeindruckend. Und es passt zu dem, was ich selbst im vergangenen Jahr in Rendsburg rund um das Jubiläum erlebt habe. Ich meine so etwas wie eine Aufbruchsstimmung. Den Wunsch, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, ohne dabei auf den eigenen Vorteil zu schielen. Den Willen, zuerst an die Stadt und dann an sich selbst zu denken. Den Versuch, den Virus zurück zu drängen und das Rückgrat zu stärken. Die Initiative für diesen Aufbruch - das war jedenfalls mein Eindruck - ging auch von ihrem Bürgermeister und ihren Kommunalpolitikern aus. Sie sind das beste Beispiel dafür, dass Politik dem Gemeinwohl dient. Dass Politiker zugleich eine weiße Weste und Erfolg haben können. Ich weiß, dass einige von Ihnen sich vorgenommen haben, bei der nächsten Kommunalwahl nicht wieder anzutreten. Es wird nicht leicht werden, diese erfahrenen Vorleute zu ersetzen. Und es kann nur gelingen, wenn mehr Me n- schen als heute bereit sind, Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen und ihre persönlichen Interessen auch mal zurück zu stellen.Ja, ich will ermuntern und appellieren, das Gegenteil von dem zu tun, was viele Men- schen im Moment eher beabsichtigen: nämlich sich der Politik zuzuwenden, sich einz u- bringen, und dadurch ihre Legitimität zu erhöhen, sie zu stärken. Und damit auch das einzig Richtige zu tun.Skandale, sprich Fehlverhalten von Menschen im Umgang mit der politischen Macht, wird es immer geben. Das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, ob wir die Fähigkeit und die Kraft haben, die richtigen Konsequenzen da raus zu ziehen.Insofern sehe ich in der gegenwärtigen breiten öffentlichen Diskussion auch die Cha n- ce zur gründlichen öffentlichen Aufarbeitung. Die Flick-Affäre ist zwar auch aufgea r- beitet worden und hat zu gesetzlichen Konsequenzen geführt, aber eben nicht zu en t- scheidenden Verbesserungen des Rechts-Bewusstseins innerhalb und außerhalb der Politik. Die Chancen dafür sind diesmal besser. Nutzen wir sie. Beteiligen wir uns durch Zuwendung und konstruktive Vorschläge. Lassen wir uns durch den Virus, von dem ich sprach, nicht lähmen, sondern bekämpfen wir ihn.Mit diesem Appell möchte ich schließen. Aber nicht, ohne Ihnen vorher ein gutes, wenn auch nicht mehr ganz neues Jahr zu wünschen. Und nicht, ohne mich vorher bei den vielen aktiven Bürgerinnen und Bürgern in Rendsburg und um Rendsburg herum her z- lich zu bedanken. Für Ihr Engagement. Für Ihren Einsatz für das Gemeinwohl. Und nicht zuletzt - für Ihre gute Moral in diesen schwierigen Virus-Zeiten.“