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Karl-Martin Hentschel: Die Modernisierung des Landes erfordert Mut zu Entscheidungen und Veränderungen
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Zu TOP 2, Regierungserklärung, sagt Mobil: 0172/541 83 53 Karl-Martin Hentschel, Fraktionsvorsitzender E-Mail: presse@gruene.ltsh.de von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internet: www.gruene.ltsh.de Nr. 090.00 / 10.05.00Die Modernisierung des Landes erfordert Mut zu Entscheidungen und VeränderungenSehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren!Es ist Mai in Schleswig-Holstein, die Raps-Felder blühen, das zarte Grün bricht aus den Zweigen, die Menschen ziehen die dicken Wintermäntel aus, setzen freundliche Ge- sichter auf und aus den Fenstern des Landeshauses sieht man die ersten weißen Segel über die Förde kreuzen.Für mich als Schleswig-Holsteiner, der das Meer liebt, als grünem Politiker, der die Na- tur liebt und die Menschen liebt, kann es gar keine schönere Zeit geben, um über die Regierungserklärung einer rot-grünem Regierung in meinem Land zu reden.Natürlich, meine Damen und Herren von der Opposition, kann ich verstehen, dass Sie diese Regierung nicht so gut finden dürfen. Das ist nicht nur verständlich, es ist sogar die vornehmste Aufgabe der Opposition in einer Demokratie, die Finger möglichst ge- schickt in alle Wunden zu legen.Was man aber erwarten kann, ist, dass sie es mit Intelligenz tut und dass sie Alternati- ven aufzeigt. Das hat mir - nicht nur heute - gefehlt. Ich kann ja verstehen, dass Sie noch immer mit der Aufarbeitung der verlorenen Wahl beschäftigt sind und die Perso- naldebatten wenig Zeit lassen für eine argumentative Auseinandersetzung mit der Lan- desregierung und ihren Plänen. Aber Niveau hat das nicht gerade. Nach vier erfolgreichen Jahren grüner Regierungsbeteiligung immer noch zu versuchen, an uns den Niedergang der schleswig-holsteinischen Wirtschaft festzumachen, entbehrt nicht einer gewissen Hilflosigkeit.Wie sie vielleicht wissen, hat Minister Rohwer uns letzte Woche gerade seinen Wirt- schaftsbericht vorgelegt. Da finden wir doch die erstaunliche Tatsache, dass just seit 1997, also ein Jahr nach dem Eintritt der Grünen in die Regierung, die Exportquote von Schleswig-Holstein um drei Prozent gestiegen ist. Ich stelle mir gerade vor, was Sie uns erzählt hätten, wenn das unter einer CDU/FDP-geführten Regierung passiert wäre. Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie das auf die segensreiche Signalwirkung ihrer beiden Parteien und auf das gute Klima der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Wirt- schaft zurückgeführt hätten.Aber es geht noch weiter: Unter einer grünen Regierungsbeteiligung wurde Schleswig- Holstein, was die Zahl der Existenzgründungen angeht, zu dem Land, das stets unter den drei Spitzenländern in dieser Republik lag. Und zufälligerweise geschah das ausge- rechnet, nachdem wir eine Existenzgründungsoffensive in den Koalitionsvertrag ge- schrieben und anschließend auch gestartet hatten. Ich frage Sie, worauf hätten Sie das zurückgeführt, wenn dies unter einer CDU/FDP-Regierung gelungen wäre?Kann es etwa sein, dass die Verdoppelung der Naturschutzflächen in Schleswig- Holstein wider allem Erwarten diesem Land gar nicht geschadet hat, sondern es sogar attraktiver gemacht hat? Kann es sein, dass der Ausbau der regenerativen Energien und das Setzen auf ökologische Produktionsverfahren in diesem Land entgegen Ihren War- nungen doch Arbeitsplätze geschaffen hat? Kann es sein, dass die explizite Förderung von Frauen in der Wirtschaft gar nicht so unlogisch ist, wie die FDP stets behauptet?Ich jedenfalls bin von den von Ihnen vorgetragenen Argumenten nicht überzeugt. Dage- gen hat sich die Regierungserklärung der Ministerpräsidenten deutlich abgehoben, weil sie den Blick nach vorne gerichtet hat.Dabei ist es mir durchaus bewusst, dass es uns noch nicht gelungen ist, alle Probleme des Landes zu lösen. Im Gegenteil, ich bin besorgt darüber, dass in Schleswig-Holstein immer noch über 100.000 Menschen ohne Arbeit sind. Ebenso, dass Jahr für Jahr mehr Kinder an Allergien erkranken, weil wir immer noch unkontrolliert Tausende von künst- lich produzierten Chemikalien freisetzen, deren Wirkungsweise auf den Organismus niemand abschätzen kann. Es macht mir ebenfalls Sorgen, dass immer noch Tag für Tag wertvolle Naturflächen ohne echten Ausgleich auch in Schleswig-Holstein verloren gehen.Und dabei bin ich mir bewusst, dass wir trotz unserer Probleme für jemanden, der aus einem afrikanischen Land kommt, wahrscheinlich auf einer Insel der Seligen leben. Noch immer wächst der Abstand zwischen den reichen und den armen Ländern weiter an. Noch immer ist unsere Produktionsweise nicht so naturverbunden und ressourcen- schonend, dass wir sie auf ganz Afrika und Asien übertragen könnten, ohne dass die Erde an Umweltproblemen zugrunde gehen würde. Wir haben die zur Lösung dieser Probleme notwendige Wende in der Politik auch in Schleswig-Holstein noch nicht er- reicht.Aber ich kann nicht erkennen, dass die beiden Sprecher der Opposition uns hier heute Antworten skizziert haben, die uns der Lösung dieser Probleme näher bringen.Deshalb will ich Ihnen nun skizzieren, wie wir uns die Zukunft dieses Landes vorstellen. Ich möchte Ihnen darstellen, welche mittelfristigen Ziele wir mit unserer Politik hier in Schleswig-Holstein verfolgen.Ich tue dies auch deswegen gern, weil ein Koalitionsvertrag nur ein Vertrag auf Zeit zwi- schen zwei Partnern ist. Wir haben uns mit der SPD auf eine gemeinsame Politik für fünf Jahre verständigt, weil wir glauben, dass dies unter den gegebenen Alternativen die beste Möglichkeit ist, um den von uns gesteckten Zielen näher zu kommen.Meine Damen und Herren! Ich beginne - ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Kubicki - mit der Vision von einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Ich bin überzeugt davon, dass die entscheidenden Krite- rien für die Wirtschaftsweise dieses neuen Jahrhunderts folgende Punkte sein werden:1. Kommt die Produktion mit einem Minimum an Energie aus? 2. Kommt sie mit einem Minimum an Rohstoffen aus? 3. Ist das Produkt hundertprozentig wiederverwendbar? 4. Ist die Produktion und das Produkt hundertprozentig umweltverträglich?Das heißt also, der entscheidende Antrieb für die Innovationen der kommenden Jahr- zehnte ist die ökologische Verträglichkeit. Und das bedeutet: Die entscheidende Verän- derung, die uns bevorsteht, ist die Effizienzrevolution - die Minimierung des Ressour- cenverbrauches, die Wiederverwendbarkeit aller Materialien und die Vermeidung von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt.Dazu Beispiel 1: Das Auto der Zukunft wird ein Auto sein, das mit weniger als einem Li- ter-Benzin-Äquivalent für 100 Kilometer auskommt, das nur Wasserdampf und eventuell Kohlendioxid ausstößt, dessen Verschleißteile vollständig biologisch abbaubar sind und dessen sonstige Teile hundertprozentig wiederverwendbar sind.Beispiel 2: Die Energieversorgung der Zukunft basiert zu hundert Prozent auf regenera- tiven Energien wie Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme usw.. Beispiel 3: Das Haus der Zukunft ist das Passivhaus, das keine Heizung mehr benötigt und trotzdem zu allen Jahreszeiten angenehm warm ist, eine gesundes Innenklima hat, möglicherweise sogar eine vollständige Kompostierung aller organischen Abfälle und Reinigung des Abwassers bereits im Haus gewährleistet und natürlich beim Abriss voll- ständig wiederverwendbar gebaut ist.Wer sagt, das geht nicht, der weiß nicht, was heute bereits in den Laboren entwickelt wird, der weiß nicht, dass solche Haustypen bereits serienmäßig bei Fertighausherstel- lern zu bestellen sind.Ich bin überzeugt davon, dass das Land, das eine solche Produktionsweise als erstes erreicht, einen Konkurrenzvorsprung für die Herausforderungen der kommenden Jahr- zehnte hat. An diesen Kriterien werden sich alle Produktionsverfahren messen lassen müssen - auch zum Beispiel die umstrittene Biotechnologie.Ich halte die Biotechnologie für eine große Chance, wenn sie richtig genutzt wird. Sanfte biotechnische Produktionsverfahren sind energiesparender und können umweltverträgli- cher sein als die klassischen energieintensiven chemischen Prozesse.Aber biotechnische, insbesondere gentechnische Verfahren sind auch eine Risikotech- nologie, die sorgfältiger Technikfolgenabschätzung und gründlicher Sicherheitsverfahren bedarf, damit nicht unkontrolliert Organismen freigesetzt werden, deren Wirkungen auf die Biosphäre unvorhersehbaren Schaden haben können.Diese Zielvorstellungen, diese Visionen, sind der Grund dafür, dass wir im Koalitions- vertrag vereinbart haben, dass in Schleswig-Holstein in den kommenden Jahren die Förderung der ökologischen Innovationen einen besonderen Stellenwert haben sollen. Dies ist der Grund, warum wir aus der Atomenergie aussteigen und anstreben, bereits in wenigen Jahren über die Hälfte des Stroms in Schleswig-Holstein regenerativ zu erzeu- gen. Dies ist der Grund, warum wir mit der Wohnungsbauförderung in die wärmetechni- sche Altbausanierung und beim Neubau in die Passivhausförderung einsteigen wollen. Dies ist der Grund, warum wir vereinbart haben, die Brennstoffzellentechnologie zu för- dern, warum wir das Ökoaudit fördern, warum insbesondere die sanften Biotechniken in Schleswig-Holstein vorangetrieben werden sollen usw.Dies ist aber auch der Grund, warum wir uns heute bereits auf die sogenannte Dienst- leistungsgesellschaft einstellen. Dies ist auch der Grund, warum in Zukunft, Umwelt, Gesundheit und Effizienz immer mehr Standortfaktoren werden, die darüber entschei- den, ob Kapital in Schleswig-Holstein investiert werden wird, ob die Menschen hier ger- ne leben, und ob es uns gelingt, die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen.Deshalb gilt: Ökologie ist die Ökonomie der Zukunft! Meine Damen und Herren, Bildung und Jugend sind in den letzten Jahren zu Metaphern des Zeitgeistes geworden. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft überbieten sich in lautstarken Bekundungen für die Jugend und dafür, dass die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts eine Bildungsgesellschaft sein wird. Es gibt bildungspolitische Diskurse, in denen anscheinend Bildung nur noch danach beurteilt wird, ob jeder Schüler und jede Schülerin mit ausreichenden Kilobit-pro- Sekunde ans Internet angeschlossen ist.Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus! In unserer Gesellschaft werden weniger Kinder geboren als je zuvor. Kindergeschrei wird schon vielerorts als Ruhestörung empfunden. Kinder sind inzwischen das Armutsrisiko Nummer Eins in dieser Republik. Zugleich füh- len sich immer mehr Kinder und Jugendliche von den wachsenden Bildungsanforderun- gen überfordert und verweigern sich dem System.Wenn es stimmt, dass die Jugend, die Kinder es sind, von denen unsere Zukunft ab- hängt, wenn es stimmt, dass die Zukunft von einer guten Ausbildung abhängt, dann müssen wir mehr tun, als alle Kinder mit Computern auszurüsten.Unsere Vision ist deshalb: Gesellschaft, Schule und Lebensraum so umzugestalten, dass sie Kinder-, Jugend- und Bildungs-freundlich wird.Deshalb wollen wir Schulzentren zu Stadtteilzentren weiterentwickeln. Deshalb wollen wir Schulen zu Lebensorten machen, wo eben nicht nur Lernen, sondern auch Freizeit, Sport, Musik, Tanzabende, Hobby-Treffs usw. stattfinden. Schulen sollen Lernorte für Jugendliche und Erwachsene sein, die ganztägig bis in den Abend und auch in den Fe- rien geöffnet sind.In diesen Zusammenhang gehört auch, dass wir an allen Grundschulen eine feste Halbtagsbetreuung brauchen. Es darf in Zukunft nicht mehr passieren, dass die Grund- schülerInnen nach Hause geschickt werden, weil ein/e LehrerIn ausfällt. Wir brauchen auch mehr Ganztagsschulen und wir brauchen endlich Mittagessen und Schularbeiten- betreuung an den Schulzentren - Kinder und Beruf müssen endlich tatsächlich vereinbar sein.Diese Themen werden wir in den kommenden Jahren Schritt für Schritt anpacken, ob- wohl wir wissen, dass diese Schritte erst mal Kosten für das Land und für die Kommu- nen verursachen. Wenn es aber stimmt, dass eine gut ausgebildete und für die Gesell- schaft engagierte Jugend unsere Zukunft ist, dann wird sich diese Investition auszahlen.Ein Schritt auf dem Weg zur Schule der Zukunft ist auch die geplante Angliederung der Jugendhilfemaßnahmen an die Schulen. Schule und Jugendamt sollen nicht länger ne- beneinander herarbeiten. Wenn die Schule zum Stadtteilzentrum wird, dann ist es selbstverständlich, dass die Jugendarbeit auch dort stattfindet. Zur Schule der Zukunft gehört auch die Öffnung der Schule. Das betrifft die Arbeits- Biografien von LehrerInnen, wo wir die Fluktuation zwischen Schule und Arbeitsleben erleichtern wollen; das betrifft die Kontakte mit dem Arbeitsleben und mit Betrieben, die sich an vielen Orten des Landes bereits entwickeln. Dazu gehört auch der Einsatz von Lehrbeauftragten ergänzend zu den festen LehrerInnen, um zusätzliche Impulse in die Schulen hineinzubringen.Sie sehen, unsere Vorstellung von der Schule der Zukunft umfasst mehr, als die Zahl der LehrerInnen und Computer. Aber auch hier haben wir uns entschieden, alles zu tun, was irgend möglich ist und werden in dieser Legislaturperiode 200 LehrerInnen mehr einstellen, als die Opposition wohlfeil gefordert hat.Für uns gilt: Bildung steht an erster Stelle!Was für die Schulen gilt, gilt entsprechend auch für die Hochschulen. Wir wissen, dass die Finanzlage auch hier harte Schranken setzt und nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch machbar. Ich bin aber auch überzeugt davon, dass wir auch in Zukunft sehr viel Geld in den Ausbau unserer Hochschulen stecken müssen. Gerne hätten wir, als vorige Woche die StudentInnen der CAU vor dem Parlament demonstrierten, ihnen zugerufen: „Eure Wünschen werden alle erfüllt.“ Aber so einfach geht es leider nicht.Die Zukunftsfähigkeit unserer Hochschulen hängt eben nicht nur davon ab, wie viel Geld verteilt wird. Ich weiß, dass in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Dabei fielen Ver- änderungen manchmal den Fachhochschulen leichter, als der großen Universität. Meine Vision sind Hochschulen, die sich selbst als geistige Zentren des Landes, aber auch als Dienstleistungsbetriebe des Landes verstehen. Wir brauchen die Öffnung der Hoch- schulen - auch personell. Dazu gehört auch die gezielte Frauenförderung und die Ein- führung international vergleichbarer Abschlüsse.Moderne Hochschulen brauchen dazu aber auch handlungsfähige Strukturen. Autono- mie und Budgetierung setzen ein effektives Management voraus. Zugleich muss das Land aber auch lernen loszulassen, und darf sich nicht mehr in jeden Beschaffungsvor- gang einmischen. Hier wurden mit der Hochschulgesetznovelle im vorigen Jahr wichtige Schritte getan. In der Umsetzung aber liegt hier noch sehr viel Arbeit vor allen Beteilig- ten.Meine Damen und Herren, wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Seit Anfang der siebziger Jahre hat sich der Wohlstand dieses Landes sogar noch einmal verdoppelt. Und trotzdem haben wir heute mehr Arbeitslose als damals, trotzdem haben wir mehr Kinderarmut als da- mals, trotzdem haben wir mehr Jugendkriminalität. Wenn bei uns also trotzdem die sozialen Verwerfungen zugenommen haben, dann ist dies vor allem ein Grund dafür, uns an die eigene Nase zu fassen. Und es schadet auch nichts, beim Fassen an die eigene Nase auch ein bisschen nach Norden und Westen zu schielen - also in Richtung auf Nachbarländer wie Dänemark und den Niederlanden. Immerhin standen diese Länder noch vor wenigen Jahren vor ähnlichen Problemen wie wir heute. Und heute haben sie die Arbeitslosigkeit deutlich gesenkt und sind sogar da- bei, Überschüsse im Staatshaushalt einzufahren.Sicherlich - wir wissen, dass nicht alles übertragbar ist. Aber über zwei Punkte sind sich doch fast alle einig: Die Lohnnebenkosten bzw. Lohnzusatzkosten müssen gesenkt werden und die Arbeitsmarktpolitik darf nicht zur Verwahrung von Langzeitarbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen im System führen, sondern muss aktiv darauf abzielen, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Jeder Mensch in unserem Lande muss das berechtigte Gefühl haben, dass er gebraucht wird.Denn es gilt weiterhin: Arbeit und Gerechtigkeit sind das Fundament unseres Ge- meinwesens!Deshalb bin ich stolz darauf, dass wir in diesem Koalitionsvertrag eine Umorientierung der Arbeitsmarktpolitik nach dänischem Modell vereinbart haben. Ich finde, dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass die intensiven und offenen Landtagsdebatten in der letzten Wahlperiode und die vielen Besuche von LandespolitikerInnen in Skandinavien nicht nutzlos waren, sondern direkt in die Politik eingeflossen sind. Wir wollen jetzt erreichen, dass bald jeder Arbeitslose bereits nach wenigen Monaten ein individuell zugeschnitte- nes Angebot bekommt, wir wollen dazu Jobrotationsmodelle fördern.Ich warne aber jetzt davor, zu glauben, dass wir mit der Vorlage des ASH 2000 bereits über den Berg sind. Im Gegenteil: Eine so gravierende Veränderung der Politik wird zwangsläufig zu erheblichen Problemen führen, weil natürlich die Wirklichkeit sich wie- der als komplexer erweisen wird. Es wird Probleme geben und sicher auch Proteste und es werden Korrekturen erforderlich sein. Und weil dies so ist, möchte ich heute schon alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Parlament auffordern, diesen Prozess offen und konstruktiv zu begleiten und zu helfen, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit Erfolg hat.Bei der Senkung der Lohnnebenkosten entwickelt sich die Sache schwieriger. Hier ist das dänische Modell auch nicht einfach übertragbar, weil dort das Sozialsystem überwiegend durch Verbrauchssteuern, also Mehrwert- und Ökosteuern, finanziert wird.Ich bin sehr stolz, dass die neue rot-grüne Bundesregierung bereits zweimal das Kin- dergeld erhöht und die Situation von Familien mit Kindern verbessert hat, dass endlich eine Einkommensteuerreform auf den Weg gebracht wurde und jetzt die Unterneh- menssteuerreform in Arbeit ist. Aber für die Entlastung der unteren Einkommen reicht dies noch nicht. Denn auf ihnen lastet nach wie vor das Damoklesschwert von zusammen über 40 Prozent Sozialabga- ben. Eine so hohe Belastung von niedrigen Einkommen ist Gift für die Arbeitsplätze in diesem Sektor. Zum Vergleich: In Dänemark liegt die Belastung von niedrigen Einkom- men unter 2000 DM zwischen zwei und fünf Prozent. In den USA gibt es in einigen Bun- desstaaten sogar die negative Einkommenssteuer - das heißt, sehr niedrige Einkommen bekommen sogar noch „Steuern“ dazu.Um die Sozialabgaben für untere Einkommen spürbar zu senken, sehe ich persönlich nur einen Weg: Eine steuerfinanzierte Grundrente, auf der dann eine allgemeine Sozial- versicherung als zweite Säule und eine private Absicherung als dritte individuelle Säule aufbauen kann.Diese Diskussion wird nicht nur in meiner Partei geführt - ich weiß, dass in meiner Partei schon seit langem Einige in diese Richtung denken. Die Entscheidung, die Einnahmen aus der Ökosteuer zur Senkung der Rentenversicherung einzusetzen, war ein erster Schritt in diese Richtung.Es stehen uns noch gewaltige Kraftanstrengungen bevor, die ein Umdenken quer durch alle Parteien erfordern. Ich würde mich freuen, wenn die Diskussion dazu auch hier im Parlament weiterkäme.Meine Damen und Herren, die Steuerreformen stellen den Landeshaushalt von Schleswig-Holstein vor gewaltige Probleme. Aber wir werden die Probleme lösen. Und das bedeutet, dass wir noch mal erhebliche Einsparungen vornehmen müssen, die wahrscheinlich zu lauten Protesten führen werden. Und trotzdem werden wir eine Erhöhung der Neuverschuldung im kom- menden Jahr nur schwer vermeiden können.Was ich aber nicht will, ist ein Sparen ohne Sinn und Verstand - also zum Beispiel die Schließung von Hochschulinstituten mit dem Ergebnis, dass wir sie nach drei Jahren kostenträchtig wieder neu aufbauen. So etwas sollte uns nicht passieren.Wir müssen aber den Mut und die Entschlossenheit aufbringen, alles liebgewonnene auf den Prüfstand zu stellen - aber noch mehr die notwendigen Strukturentscheidungen zu treffen. Dabei appelliere ich besonders an die beiden großen Parteien, die sich in dieser Sache naturgemäß viel schwerer tun. Darum begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag von Lothar Hay, erneut den Versuch zu machen, sich zu diesem Zweck mit allen Partei- en zusammen zu setzen.Deshalb heißt unser Leitspruch: Sparen mit und nicht ohne Verstand! Die Vorwürfe und Krokodilstränen der Opposition finde ich allerdings in diesem Zusam- menhang verlogen. Wenn die Opposition in Berlin wohlfeil immer neue Steuersenkun- gen fordert, nachdem sie 16 Jahre lang nichts anderes hinbekommen hat, als neue Steuerschlupflöcher zu schaffen, und dann die Opposition in unserem Land darüber jammert, dass das Defizit zu hoch ist, dann ist das nicht ernst zu nehmen.Wenn die Opposition zu feige ist, durch eigene Kürzungsvorschläge sich selbst auch mal mit betroffenen Gruppen anzulegen, sondern statt dessen allen Protesten nach dem Maul redet, dann ist das unredlich.Wenn Sie wirklich vorhaben, in den kommenden Jahren finanzpolitisch wieder einmal ernst genommen zu werden, nachdem sich ja die CDU im vorigen Jahr aus der Haus- haltspolitik mangels eigener Anträge völlig verabschiedet hatte, dann müssen Sie auch mal wieder mit konkreten Vorschlägen kommen. Wir sind da gespannt auf den Herbst - aber auch auf die Diskussion in dem von uns beantragten Sonderausschuss.Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Recht ist diese Regierung stolz auf ein Markenzeichen, dass ich in Zeiten zuneh- menden Populismus und auch Rassismus gar nicht hoch genug schätzen kann. Die libe- rale Innen- und Justizpolitik. Die Besonnenheit und Klugheit, mit der in diesem Land mit dem heiklen Thema der öffentlichen Sicherheit umgegangen wurde, ist nicht nur bemer- kenswert, sondern war auch noch von merkbaren Erfolgen in der Statistik begleitet, die sich sehen lassen können.In der Flüchtlings- und Ausländerpolitik hat Schleswig-Holsteins in vielen Fällen ver- sucht, die Rechtsmöglichkeiten so weit wie möglich auszuschöpfen und Humanität an die erste Stelle zu stellen - auch wenn dies die Bundesgesetze nicht immer zuließen.Dies war nur möglich, weil wir mit Minister Ekkehard Wienholtz einen Innenminister hatten, der ein hohes Ansehen bei der Polizei und in der Öffentlichkeit genoss und nie in den billigen Populismus verfiel, für den Innenminister in anderen Bundesländern nicht selten anfällig sind.Ich freue mich deshalb, dass die neue Regierung diese Politik fortsetzen will und setze in diesem Sinne großes Vertrauen in den neuen Innenminister Klaus Buß und die Justizministerin Anne Lütkes. Sie hat dabei mit den Justizvollzugsanstalten einen Be- reich übernommen, wo zugestandenermaßen Schleswig-Holstein erheblichen Nachhol- bedarf hat und der ihre ganze Kraft neben den anderen Aufgaben ihres Hauses fordern wird. Ich bin mir aber sicher, dass sie diese schwierige Aufgabe meistern wird.Für die kommenden fünf Jahre gilt jedenfalls: Liberalität bleibt ein Markenzeichen für Schleswig-Holstein! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Schluss möchte ich auf eines der interessantesten Projekte des Landes eingehen: den geplanten Multimedia-Campus, weil es exemplarisch ist für die Art, wie wir Zu- kunftsdiskussion führen.Ein Großteil der Diskussion dreht sich um das Modethema Informationstechnologien. Da ist die Rede vom Silicon Valley des Nordens, da ist die Rede von dem Informationszeit- altern, von dem Mangel an Spezialisten und wir reden über Tausende von IT- ExpertInnen, die per Green Card in unser Land kommen sollen.Wenigen scheint bewusst zu sein, dass das eigentliche Ziel dieses Projektes nicht darin besteht, ein Informatik-Studium anzubieten, auch keine Wirtschaftsinformatik. Sondern es geht um etwas qualitativ Neues - die Verbindung von Multimedia, Kunst, Kultur, In- formatik und Betriebswirtschaft. Dies ist das qualitativ Neue - aber auch das Problemati- sche an dem Projekt, denn Schleswig-Holstein gilt ja nicht gerade als Medienhochburg.Dieser Irrtum ist nicht zufällig - sondern er ist typisch für viele Modernisierungsdiskussi- onen. Wir glauben manchmal, das Entscheidende am Informationszeitalter ist die Aus- bildung von InformatikerInnen und die Ausrüstung der Schulen mit Computern. Dabei vergessen wir, dass Silicon Valley 20 Jahre alt und längst Schnee von gestern ist.Worauf es ankommt, ist, was wir mit den Computern tatsächlich anfangen. Welche künstlerischen, medialen, sozialen und politischen Konsequenzen haben die neuen Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten? Worauf es also wirklich ankommt, sind die Inhalte! Bertelsmann hat gerade im Vorstand des Weltkonzerns die Position des Inhaltemanagers geschaffen, und sie mit einem Journalisten besetzt.Auch an den Schulen werden uns noch so viele Computer nichts nützen, wenn wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen.Man kann den Computer mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. oder der des E- lektro- und Ottomotors im 19. Jahrhunderts vergleichen. Verkauft, produziert und zum Durchbruch kamen nicht die Dampfmaschine oder der Motor. Den Durchbruch brachten viel mehr die Anwendungen: Der automatische Webstuhl, die Eisenbahn, die Werk- zeugmaschine, das Automobil, die Waschmaschine usw..Auch die Erfindung des Kinos brachte keine Millionenkonzerne hervor, die Filmvorführ- geräte oder Filmkameras produzierten. Milliarden wurden dagegen in Hollywood ver- dient - mit der Produktion von Träumen.Bei dem Multimedia-Campus geht es also um eine Schmiede für das Management der Produktion von Träumen, von Visionen, von medialen Techniken - eben von Multimedia. Dazu brauchen wir vor allem eine Einbeziehung aller kreativen Potentiale dieses Landes - ohne sie wird das Projekt scheitern.Man kann es auch verallgemeinern: Unser Land braucht Visionen!Meine Damen und Herren, wer die Zukunft dieses Landes im 21. Jahrhundert auf einen gnadenlosen Wettkampf um Effizienz, um Technologien, um Weltmarktanpassung, auf Aktienkurse und Renditen reduzieren will, der wird es in eine Sackgasse führen. Entscheidend sind die kreativen I- deen, ist die soziale Kompetenz - altmodisch gesagt, die Gerechtigkeit der Gesellschaft, entscheidend ist die Verbindung von Kultur, Bildungseinrichtungen und Firmen dieses Landes.Politik hat in diesem Umfeld die Aufgabe der Moderation, der Filterung, der Organisation von Entscheidungen. Dies alles nützt aber nichts, wenn wir nicht den Mut haben, Ent- scheidungen zu fällen, politisch durchzustehen und umzusetzen.Meine Fraktion ist entschlossen, ihren Teil dazu beizutragen. In der Regierungserklä- rung können wir uns damit gut wiederfinden: Offenheit für die Zukunft statt Besserwisse- rei und die Bereitschaft, für unsere Kinder Verantwortung zu übernehmen sind die ge- meinsame Herangehensweise, die diese Koalition prägt. Ich bin deshalb guter Dinge, dass wir mit unserem Koalitionspartner, mit unserer Ministerpräsidentin und dem neuen Kabinett auf dem richtigen Weg sind.Vielen Dank. ***