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13.07.00 , 16:50 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Atomausstieg

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: Redebeginn Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zu TOP 8 und 12, Ausstieg aus der Atomenergie, Zentrale: 0431/988-1500 erklärt Karl-Martin Hentschel, energiepolitischer Telefax: 0431/988-1501 Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mobil: 0172/541 83 53 E-mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: http://www.landtag-sh.gruene.de
Nr. 163.00 / 13.07.2000


Schleswig-Holstein hat auf dem Weg in die Energiezukunft gute Karten
Trotz aller unterschiedlichen Auffassungen, die wir zu diesem Thema haben, möchte ich zunächst zwei gemeinsame Punkte festhalten:
1. Wir alle gehen, wenn ich die Parteiprogramme richtig gelesen habe, davon aus, dass die Nutzung der Atomenergie nur eine vorübergehende Angelegenheit für einige Jahrzehnte ist. Es ist nur eine einzige Menschengeneration, die von dieser Techno- logie den zweifelhaften Nutzen hat.
2. Niemand von uns allen hat bis heute eine Lösung für die Endlagerung des radioakti- ven Mülls. Insbesondere die Kernbrennstäbe mit Halbwertzeiten von über 20.000 Jahren machen uns allen, wie ich vermute, Sorgen. Denn bis heute weiß niemand, wie es gelingen kann, diese strahlenden Abfälle über Jahrtausende zu kühlen und sicher zu bewahren.
Wenn so um das Jahr 2020 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet wird, dann werden wir in Deutschland eine Strommenge durch Atomkraft erzeugt haben, die dem gesamten deutschen Energieverbrauch von etwa fünf Jahren entspricht.
Wir werden also zur Vermeidung des Klimaeffektes und beim Übergang auf regenerati- ve Energien etwa fünf Jahre Zeit gewonnen haben. Für diese fünf Jahre Zeitgewinn werden wir bis 2020 etwa 100 Tonnen Plutonium produziert haben. Bläst man von die- sem Material eine Fingerkuppe aus einer Müllverbrennungsanlage aus, dann reicht das, um eine Stadt wie Hamburg auf Jahrtausende unbewohnbar zu machen. Um einem Nichtphysiker eine Vorstellung zu geben, wie lange der Abbau dieses Mate- rials dauert, noch ein paar Zahlen. Stellen Sie sich einmal vor, das Material wird in den Salzstock von Gorleben eingelagert. In 100 Jahren wird noch 99,7 Prozent des Materi- als vorhanden sein. In 2000 Jahren, wenn also die Zeit von Christi Geburt bis heute verstrichen ist, werden noch 95 Prozent des Materials vorhanden sein.
In 25.000 Jahren, das ist die Zeit, seit die ersten homo sapiens ihre Höhlenmalereien schufen, wird immer noch die Hälfte des Materials in Behältern im Salzstock ruhen. Und immer noch werden die Materialien gekühlt werden müssen, Und alle paar Jahrzehnte müssen die Behälter und die Kühlanlagen durch Roboter erneuert werden. Und an der Oberfläche werden immer noch Menschen, so es Menschen gibt, dieses Last aus einer fernen, fernen Zeit an Monitoren oder was es dann immer geben mag, überwachen.
Meine Damen und Herren, finden Sie wirklich, dass ein Aufschub von fünf Jahren für uns diese Zukunftsvision wert gewesen ist? Ich jedenfalls bin immer wieder entsetzt über die Kurzsichtigkeit und Technikgläubigkeit, die zu diesem Kapitel in der Mensch- heitsgeschichte geführt hat. Künftige Generationen werden über uns nur mit Entsetzen den Kopf schütteln.
Aber ich bin auch sehr froh, dass es gelungen ist, dass Deutschland als erstes Nutzer- Land aus dieser Technologie aussteigt, und ich bin sicher, dass wir damit einen Weg beschritten haben, auf dem uns in den kommenden Jahren alle anderen Staaten nach und nach folgen werden.
In dieser Situation erwarten wir von der Landesregierung, dass sie sich auf die verän- derten Rahmenbedingungen einstellt und Planungen vorlegt, wie die Situation für das Land genutzt werden kann. Ich beziehe mich dabei auf eine Untersuchung der Universi- tät Flensburg vom April dieses Jahres über die Auswirkungen des Atomausstieges auf Basis eines von ihnen durchgerechneten Ausstiegsszenarios.
Frage 1: Führt der Atomausstieg zu mehr CO2-Emissionen? Antwort: Nein, im Gegen- teil. Ein Ausstieg führt zu einem schnelleren Rückgang der CO2-Emissionen, da er zu einer schnelleren Zunahme der Kraftwärmekopplung und zu einer beschleunigten Ein- führung regenerativer Energien führt.
Frage 2: Führt der Atomausstieg zu erhöhten Stromkosten? Antwort: Nein, im Gegen- teil. Hochgerechnet auf einen Zeitraum von 25 Jahren führt der Atomausstieg zu einer beschleunigten Einführung von preiswerten Gaskraftwerken als Übergangsstrategie und damit sogar zu volkswirtschaftlichen Einsparungen von 80 Mrd. DM bis 2025.
Frage 3: Führt der Atomausstieg zu einem Verlust von Arbeitsplätzen? Nein: Der Atom- ausstieg führt im Gegenteil zu einer Zunahme um ca. 25 000 Arbeitsplätze im Vergleich zu einer Fortsetzung der Nutzung der Atomenergie. Schon jetzt beschäftigt die Wind- kraftbranche in Schleswig-Holstein doppelt soviel Menschen wie alle drei Atomkraftwer- ke.
Trotzdem werden die neuen Arbeitsplätze nicht automatisch dort entstehen, wo alte verloren gehen. Deshalb erwarte ich von der Landesregierung eine Strategie, wie die lokalen Wirkungen gesteuert werden können.
Meine Damen und Herren, das größte Problem, vor das uns die Atomenergiewirtschaft
2 in den kommenden Jahren trotz des Atomkonsens stellen wird, ist die Abwicklung der restlichen Atomtransporte und der Bau von Zwischenlagern.
Ich hätte mir einen schnelleren Ausstieg gewünscht. Und ich hätte mir einen Ausstieg gewünscht, ohne dass es zu weiteren Atomtransporten kommen wird. Aber ich stehe auch zu den notwendigen Maßnahmen. Und ich traue einem rot-grün geführten Atom- ministerium eher zu, die Sicherheit bei der Abwicklung der Atomenergieanlagen und Transporte zu gewährleisten, als jedem anderen.
Verehrte Damen und Herren, Sie können auch sicher sein, dass diese Regierung ver- antwortungsvoll mit den Informationen über Transporte von abgebrannten Brennele- menten umgehen wird. Deshalb hat mich die implizite Warnung vor Protesten im Punkt vier des CDU-Antrages doch sehr erstaunt.
War es nicht Ihre Partei, die dafür verantwortlich ist, dass Schleswig-Holstein wie kein anderes Land der Erde mit Atomkraftwerken bestückt ist? War es nicht ein von Ihnen gestellter Ministerpräsident, der in diesem Land den Bau der Atomkraftwerke gegen die Proteste von Hunderttausenden von Menschen durchsetzen ließ.
War es nicht eine CDU-Regierung, die Tausende von Menschen verprügeln, mit Trä- nengas besprühen, verhaften und einsperren ließ, um eine gefährliche Technologie in diesem Land gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung durchzusetzen ?
Angesichts dessen kann ich den Punkt vier nur als bodenlosen Zynismus werten. Ein wenig Selbstkritik angesichts der Geschichte der Atomenergie in Schleswig-Holstein und der nicht gerade rühmlichen Rolle ihrer Partei wäre sicherlich angebracht! Aber darauf werden wir wohl noch einige Jahre warten müssen.
Meine Damen und Herren, ich bin glücklich, dass wir hier im Landtag heute über die Abwicklung der Atomenergie und den Einstieg in eine neue Energiezukunft reden kön- nen. Ich bin sicher, dass Schleswig-Holstein auf dem Weg in die Energiezukunft gute Karten hat, die es auszuspielen gilt: Der erste Trumpf heißt Windkraft, der zweite Bio- masse, der dritte Kraftwärmekopplung, der vierte heißt Energiesparen, der fünfte Offs- hore, der sechste Passivhaus und der siebte heißt Geothermie.
Meine Damen und Herren, was will man mehr? Mit sieben Trümpfen können wir jedes Spiel gewinnen. Das Spiel ist gemischt - jetzt kann die Regierung ausspielen. Viel Er- folg!
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