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Bernd Schröder zu TOP 20: Übernahme des Streckennetzes der DB AG
Sozialdemokratischer InformationsbriefLandtag Kiel, 29.09.00aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: RedebeginnBernd Schröder zu TOP 20:Übernahme des Streckennetzes der DB-AGGerade die aktuelle Diskussion über Preise von Benzin und Diesel verdeutlicht ein verkehrspolitisches Dilemma in Deutschland allgemein und damit auch in Schleswig- Holstein:• Die Abhängigkeit vom Auto bzw. vom LKW muss langfristig als zu hoch bzw. in heutiger Form nicht befriedigend eingeschätzt werden.• Zudem besteht bis heute keine systematische, integrierte Entwicklung von alterna- tiven Lösungen, insbesondere der Bahn, abgestimmt im internationalen Zusam- menhang, realisiert konkret vor Ort, z. B. auch im grenzüberschreitenden Güterver- kehr.• Tatsächlich wird die Entwicklung des Bahnverkehrs in Deutschland über Gebühr durch die auf die Vernetzung der Zentren fokussierte Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn AG bestimmt.Im Zuge der Regionalisierung des SPNV, also der Übernahme der Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr durch die Länder, hat die Landesregierung dem mit Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion und SPD-Landesvorstand Verantwortlich: Manfred Schröder Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-ihren Mitteln eine systematisch konzipierte Alternative entgegengesetzt. Die Umset- zung durch die LVS und die von ihr zu verantwortenden Projekte ist deutlicher Beleg dafür.Dieser landespolitisch richtige und erfolgreiche Ansatz wird aber durch folgende Nega- tiventwicklungen gefährdet:• Seit vielen Jahren wird der Betrieb von Nebenstrecken insbesondere aus bautech- nischen Gründen aufgegeben.• Daneben findet – von vielen Nicht-Technikern unbemerkt – ein stetiger Substanz- verfall der unter Betrieb befindlichen Schieneninfrastruktur abseits der Magistralen statt.• Punktuelle Betrachtungen im Land zeigen, dass diesbezüglich gerade in Schles- wig-Holstein große Teile des Netzes als eklatant gefährdet angesehen werden müssen.Wenn so weiter gemacht wird wie bisher, wird das Schienenwegenetz in Schleswig- Holstein weiter an Substanz verlieren. In der praktischen Konsequenz wären Alternati- ven zum Auto- und LKW-Verkehr zukünftig nicht mehr zu entwickeln, weil die dafür benötigten Schienenwege dann nicht mehr existieren oder ihre Reaktivierung nur mit einem nicht mehr vertretbaren Aufwand verbunden wäre. Dabei wird Schleswig-Holstein in der Zukunft mehr als in der Vergangenheit von leis- tungsfähigen und umweltverträglichen Verkehrssystemen abhängen, will es seine durch die dynamische Entwicklung des Ostseeraumes gewonnene Brückenkopffunkti- on nutzen und stärken. Damit jedoch eben diese Potenziale nicht nur in den Häfen und an den Gateways erschlossen werden können, müssen die Sekundärnetze zur Anbin- dung des ganzen Landes gleichermaßen zukunftsweisend entwickelt sein. -3-Schlussfolgerung Nr. 1 kann also nur sein: Das Land fordert aus strukturpolitischen Erwägungen für seine Schienenwege eine substanzielle, perspektivisch leistungsfähige Erhaltung und Weiterentwicklung.Dass wir hier von Problemen großer Dimension sprechen, ist unter Fachleuten keine neue Erkenntnis. Die Thematik bestimmt vielmehr viele Fachtagungen seit Jahren; entsprechende Forderungen vor Ort sind auch bei uns im Land nicht neu – ich erinne- re nur an die leidige Diskussion um die Engpassbeseitigung an der Strecke Elmshorn – Pinneberg oder aktuell um den Ausbau der Strecke Neumünster – Bad Segeberg.Die Problematik hat jedoch in jüngster Vergangenheit konkrete Folgen bewirkt, derer wir uns nunmehr bewusst werden müssen:• Expertenkommissionen, wie jüngst die Pällmann-Kommission – auf die ich noch mal zurückkommen möchte –, beraten über die Aufteilung des Schienennetzes bzw. die Größe des insgesamt notwendigen Eisenbahnnetzes in Deutschland.• Die DB Netz AG hat eine eigene Abteilung direkt unter dem Vorstand eingerichtet, die sich ausschließlich mit der Abgabe bzw. Aufgabe von Strecken befasst.• In den neuen Bundesländern, wo die technische Substanz der Schienenwege am schlechtesten ist, stehen ganze Regionen vor der Sperrung der örtlichen Strecken, der im Regelfall bis heute nur die endgültige Stillegung folgt.• Selbst auf den Hauptstrecken der DB sind mittlerweile nicht nur vereinzelt Lang- samfahrstellen wegen bautechnischer Defizite gegeben. -4-Faktisch ist die DB Netz AG nicht mehr in der Lage, ihre Aufgabe zu bewältigen. Bemerkenswert ist jedoch auch, dass andere Bundesländer in konkreten Beispielen erste Versuche der Übernahme der Schienenwege in neue Betreibermodelle realisiert haben (z.B. in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und nun auch in Sachsen). In allen Fällen sind dies gute Ansätze für Überlegungen in einem größeren Kontext. Was fehlt, ist ein systematisches Konzept mit strategischen Zielen und konkreten Vorgaben zur praktischen Umsetzung.Wir in Schleswig-Holstein haben bei der Regionalisierung des SPNV gelernt, dass nur dann bleibende Verbesserungen im Land, vor Ort erreicht werden können, wenn wir die Dinge selbst gestalten. Wir bekennen uns zur Regionalisierung und der damit ver- bundenen Arbeit. Wir wissen aber auch, dass das gut angelegtes Geld für das Land und seine Bürger ist. Insofern sind wir der Überzeugung, dass durch die Übernahme der Verantwortung für das Schienenwegenetz durch das Land die Dinge aus unserer Sicht nur verbessert werden können – eine angemessene Finanzmittelausstattung durch den Bund vorausgesetzt.Dieser lokalen Erfahrung – der ja Berlin und eine Konzernzentrale in Frankfurt nur be- dingt folgen können – stehen aber auch fundierte wissenschaftliche Untersuchungen und Empfehlungen zur Seite. So hat die schon von mir zitierte Pällmann-Kommission in ihrem jetzt vorgelegten Bericht vorgeschlagen, etwa die Hälfte des Schienennetzes, also den regional bedeutsamen Anteil, an die Länder abzugeben.Diese Kommission verweist darauf, dass es erheblicher investiver Anstrengungen be- darf, um die Verkehrswege und dabei gerade auch die Schienenwege qualitativ zu si- chern und bedarfs- und umweltgerecht auszubauen. Dazu sind neue Wege der Finan- zierung zu gehen, die auch vor Modellen der Privatfinanzierung usw. nicht Halt ma- chen dürfen.Was passiert, wenn dem nicht entsprochen wird und die nun beschlossenen zwei Mil- liarden Mark jährlich aus den Gewinnen der UMTS-Lizenz-Versteigerung direkt an den -5-DB-Konzern für die Erhaltung des Netzes fließen – und dann nicht weiter kontrolliert werden – brauche ich Ihnen vor dem Hintergrund der Dimension der Probleme nicht weiter zu erläutern: die Mittel werden einmal mehr dort eingesetzt werden, wo dies im Konzerninteresse der DB am besten geschehen kann – und das wird ziemlich wahr- scheinlich einmal mehr nicht in Schleswig-Holstein sein. Werden nicht heute bereits Finanzmittel aus dem SPNV für Hauptstrecken abgezweigt? -6-Schlussfolgerung Nr. 2 kann also nur sein: Das Land fordert die Herauslösung des Netzes aus der DB AG und die Übergabe der Verantwortung für die regionalen Schienenwege an die Länder samt einer angemes- senen finanziellen Ausstattung.Vor dem Hintergrund der geschilderten Dimension der Probleme können wir an dieser Stelle jedoch nicht Halt machen. Der von unserer Fraktion zusammen mit den Vertre- tern von Bündnis 90/Die Grünen geforderte Antrag ist insofern programmatische Ziel- stellung, nicht jedoch die abschließende Benennung der damit zu verbindenden Auf- gaben. Gefragt ist also außerdem ein Auftrag an die Landesregierung zur Konkretisie- rung eines Lösungsansatzes.Hierzu bedarf es der Sacharbeit und der Abwägung, der politischen Diskussion hier im Haus wie konkret vor Ort. Dies darf uns aber nicht hemmen und zu Zeitverlusten füh- ren, um die Probleme nicht mehr als notwendig anwachsen zu lassen. Insofern gestat- ten Sie mir an dieser Stelle einen ersten schemenhaften Ausblick auf eine mögliche Lösung. Wir sollten klug sein und die eigenen Erfahrungen im Zuge der Regionalisierung sowie die qualifizierten Empfehlungen zum Problemkreis “Vorhaltung von öffentlicher Ver- kehrsinfrastruktur” ernst nehmen. Demnach müssen folgende Zielvorgaben erreicht werden:• Wir brauchen ein landesweit ausgewogenes Netz der Schienenwege, abgestimmt auf die landesplanerischen Zielvorstellungen und die Umsetzung im SPNV durch die LVS.• Wir brauchen eine langfristige technische Sicherung der Schienenwege und eine auf den hiesigen schleswig-holsteinischen Verkehrsbedarf – und nicht auf Hochge- -7- schwindigkeitsstrecken und den ICE – abgestimmte technisch-betriebliche Konzep- tion sowie Finanzierung.• Wir brauchen eine maximale Nutzung von Ansätzen zur Effizienzsteigerung und Betriebsoptimierung, damit die Finanzierung dieser neuen Aufgabe auch in der Zu- kunft tragbar ist und damit das Netz nachhaltig gesichert werden kann.All diese Zielvorgaben haben neben dem verkehrspolitischen Anlass einen gewichti- gen sozialpolitischen Aspekt. Die Übernahme der Schienenwege muss so erfolgen, dass sie den Regionen in ihrer Entwicklung hin zu einer umweltverträglichen, wirtschaftlich erfolgreichen Zukunft hilft. Das bedeutet auch, dass sie die Arbeitsplätze in dem traditionsbehafteten Eisenbahn- bereich sichern hilft und technologische Perspektiven dafür erschließen kann.Zunächst bitte ich Sie zu beachten: Wenn die hier geforderte Zielstellung nicht erreicht wird und die DB Netz AG auch zukünftig allein verantwortlich bleibt, dann sind das Schienennetz in Schleswig-Holstein und die damit verbundenen Arbeitsplätze um so mehr gefährdet. Wenn wir aber die Verantwortung dafür übernehmen, sollten wir die zu erarbeitende technisch-wirtschaftliche Konzeption insbesondere auch dahingehend prüfen, inwieweit regionale Arbeitskräfte und Firmen dafür in Anspruch genommen werden können.In Schleswig-Holstein gibt es traditionsreiche Eisenbahnunternehmen, wir haben ge- wachsene mittelständische Baufirmen mit Erfahrungen im Bahnbau, und wir haben mit den jüngst initiierten Aktivitäten im Eisenbahnbereich neue Entwicklungspotentiale be- züglich der Dienstleistungen in diesem Zusammenhang. Wir brauchen also auch im Bereich Netz eine Weiterentwicklung der Chancen und Möglichkeiten.Ich denke jedoch – und hoffe, dass Sie da mit mir einer Meinung sind –, wir brauchen keine großen Verwaltungsstrukturen mit einer Landeseisenbahnverwaltung, dezentra- -8-len Ämtern und entsprechenden Hierarchien. Das wäre dann doch für ein gutes Ziel der falsche Weg.Wir brauchen vielmehr im Land wahrscheinlich nur eine Eisenbahngesellschaft, die als Eisenbahninfrastrukturunternehmen das Netz übernimmt, es zielgerichtet saniert und effizient betreibt. Dazu wird man das Know-how der vorhandenen Eisenbahnunter- nehmen, die qualifizierten Arbeitskräfte der DB Netz AG oder aber auch der hiesigen Industrie gleichermaßen einbeziehen müssen und wollen. Der Landesregierung ver- bleibt dann die Herleitung und Weiterentwicklung der konkreten Vorgaben für das Schienennetz in Schleswig-Holstein wie folgt:• Wo sind die Schienenwege zu welchem Landesschienennetz zu entwickeln?• In welcher Qualität – und dahinter verbergen sich neben technischen Messgrößen auch Sicherheitsaspekte sowie soziale Vorgaben mit Blick auf die Beschäftigten – sind die Trassen zu entwickeln?Schlussfolgerung Nr. 3 kann also nur sein: Das Land will die Verantwortung für das regionale Schienennetz auf der Basis einer ef- fizienten Leitstruktur wahrnehmen und den Betrieb etablierten Unternehmen unter ma- ximaler Nutzung hiesiger Technologie- und Arbeitspotentiale übergeben. Die dafür notwendigen Vorbereitungen sind unverzüglich in die Hand zu nehmen.Ich bitte Sie deshalb, den vorgelegten Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu unterstützen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.