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Wolfgang Kubicki: Die wehrhafte Demokratie hält jeden Angriff von außen aus - Wir müssen verhindern, dass sie im Übereifer von innen geschwächt wird.
F.D.P. L a n d t a g s f r a k t i o n Schleswig-Holstein 1 Christian Albrecht Pressesprecher V.i.S.d.P. F.D.P. Fraktion im Nr. 270/2000 Schleswig- Holsteinischen Landtag Landeshaus, 24171 Kiel Postfach 7121 Kiel, Donnerstag, 16. November 2000 Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497 Sperrfrist: Redebeginn E - Mail: fraktion@fdp-sh.de Internet: http://www.fdp-sh.de Es gilt das gesprochene Wort!Wolfgang Kubicki: „Die wehrhafte Demokratie hält jeden Angriff von außen aus - Wir müssen verhindern, dass sie im Übereifer von innen geschwächt wird“In seinem Debattenbeitrag zu TOP 5 (Rechtsextremismus und Presseinformation Ausländerfeindlichkeit) sagte der Vorsitzende der F.D.P.- Landtagsfraktion, Wolfgang Kubicki:„Zu Beginn meines Beitrages möchte ich etwas tun, was mir ansonsten wegen der Ritualisierung nicht liegt: Ich möchte mich ausdrücklich bei der Landesregierung beziehungsweise den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die die Antwort auf die Große Anfrage der SPD- Fraktion zum Rechtsextremismus und zur Ausländerfeindlichkeit in Schleswig-Holstein erarbeitet haben.Hieraus erschließt sich für mich mit einem sehr nachdenklichen Unterton zweierlei:1. Wir müssen aufpassen, dass wir dem Phänomen des Rechts- extremismus und der Ausländerfeindlichkeit sowie der gestiegenen Gewaltbereitschaft gerade von jungen Menschen nicht mit schnellen Antworten, die vordergründig plausibel erscheinen, begegnen und hierbei jedes Maß an Verhältnismäßigkeit verlieren.2. Wir müssen uns fragen, was die Vielzahl der dokumentierten Maßnahmen, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und pädagogischen Begleitungen der letzten zehn Jahre eigentlich bewirkt haben.Ich bin der Landesregierung dankbar für die Feststellung, dass sich der Rechtsextremismus bei jungen Leuten weit stärker aus aktuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen, denn aus historischen Kontinuitäten neu aufgebaut hat (Seite 3 des Berichts).Und ich bin ihr dankbar für die Feststellung, dass sich die Zahl der sogenannten Neo-Nazionalsozialisten bundesweit 1991 auf 2.100 und 1999 auf 2.200 Personen belief, das Potential der militanten rechts- extremen Skinhead-Szene im Jahre 1991 auf 4.200, im Jahre 1999 auf 2 9.000 Personen, wobei die Übergänge in die allgemeine jugendkriminelle Gewaltszene typisch sind.Letztlich bin ich dankbar für die Feststellung, dass die Anzahl der Gewalttaten, die in Schleswig-Holstein zu verzeichnen waren, Anfang der 90-ger Jahre im Einklang mit der bundesweiten Entwicklung nach der Vereinigung in vorher nicht bekannten Höhe gestiegen war, 1992 auf 121 Taten, 1999 hingegen auf 24 gesunken ist (Seite 15/16 des Berichts).Dies alles lässt mich erneut mahnen, die Entwicklung zwar sehr aufmerksam zu verfolgen, sämtliche Mittel im Kampf gegen die rechte Szene, insbesondere gegen Gewalttaten aus der rechten Szene zu ergreifen, jedoch auch hierbei zu beachten, dass die Beschäftigung mit diesen Phänomenen nicht außerhalb jeden Verhältnisses zu ihrer wirklichen Bedeutung gerät.Wenn es denn stimmt – und ich schließe mich dieser Analyse ausdrücklich an – dass die individuellen oder sozialen Bedingungen, die die Übernahme rechtsextremen beziehungsweise fremdenfeindlichen Gedankenguts bei jungen Menschen begünstigen, die immerhin 2/3 bis 3/4 der Straftäter aus diesem Bereich stellen:- ein niedriger Bildungsgrad, ein gewaltaffines, gewaltbefürwortendes Männlichkeitsideal, der Einfluss patriarchaler, militanter Leitbilder, eine fehlende soziale Einbindung und gesellschaftliche Integration, Existenz- und Zukunftsängste (Seite 10 des Berichts) beziehungsweise - fehlende Lebensplanung, fehlendes Selbstvertrauen, weniger Status, Furcht vor Nachteilen durch vermehrte Flexibilitäts- und Bildungsanforderungen (Shell-Jugendstudie 2000, Seite 14 des Berichts),sind, ist eine übermäßige Beschäftigung mit Rechtsextremisten oder gewaltbereite Skinheads – und ich meine über das dem Problem angemessene Maß hinaus – in der Öffentlichkeit eher kontraproduktiv. Gerade junge Menschen, deren Selbstvertrauen nicht sonderlich ausgeprägt ist, erleben durch das ihnen geschenkte Maß an Aufmerksamkeit, dass sie durch ihre Aktionen „etwas bewirken können“. Damit wird nach meiner Auffassung die Tendenz eher gestärkt, sich normabweichend zu verhalten, als sich in die Gesellschaft einzufügen.Wenn die Landesregierung ausführt, rechtsextremistische Gewalt sei zu einem großen Teil zugleich Teil der allgemeinen Jugendkriminalität (Seite 13 des Berichts), wenn sie uns erklärt, dass in zehn untersuchten europäischen Ländern seit Mitte der 80iger Jahre die Jugendgewalt insgesamt stark angestiegen ist (Seite 14 des Berichts) und wenn sie uns gleichzeitig mitteilt, für viele sei die Nähe zur Szene nur eine vorübergehende Episode (Seite 16 des Berichts), beschreibt sie zugleich unsere gemeinsame politische Verantwortung, diesen jungen Menschen den Einstieg in unsere Gesellschaft oder den Wiedereinstieg zu ermöglichen, anstatt sie in Form einer Stigmatisierung dauerhaft auszugrenzen.Wir müssen, ob uns das gefällt oder nicht, wohl mit einem „Bodensatz“ von rechtsextremem Gedankengut zuneigenden Menschen in einer Größenordnung von 10 bis 13 % rechnen. Dies war Anfang der 70iger Jahre so, wie die Sinus-Studie belegt, und dies ist auch heute noch so. Im übrigen ist dies für mich auch ein Stück Normalität, da sich entsprechende Größenordnungen in allen anderen europäischen Ländern finden. 3 Aber wir müssen nicht das Gewaltphänomen akzeptieren. Dankenswerterweise weist die Landesregierung darauf hin, dass der Rückgang von rechtsextremistischen Gewalttaten bei gleichzeitig starkem Anstieg der gewaltbereiten Szene mit großer Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass repressive staatliche, das heißt polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen in der Szene Wirkung gezeigt haben, obwohl einzelne Gewalttaten nicht verhindert werden können. Der Staat kann schließlich auch nicht verhindern, dass überhaupt kriminelle Taten begangen werden, wie groß auch immer der präventive oder repressive Aufwand ist.Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich mein Unwohlsein formulieren. Mittlerweile scheint sich der Kampf gegen den Rechtsextremismus zu verselbständigen. Durch eine täglich auf uns niederprasselnde Flut einer zunehmend moralisierenden Rechtsextremismusdebatte treten in der Bevölkerung Abstumpfungserscheinungen auf, die Debatte selbst gerät in die Gefahr, im Wettbewerb der demokratischen Parteien untereinander instrumentalisiert zu werden.Ich bekenne freimütig, dass es mir nach wie vor schwer fällt, in ein Bündnis gegen Rechtsextremismus einbezogen zu werden, bei dem ich Bündnispartner mit politischen Gruppierungen sein soll, denen die Anwendung von Gewalt zur Verfolgung ihrer vermeintlich höheren Ziele nicht so fern liegt, beziehungsweise die die Anwendung von Gewalt gegen Sachen und oder Personen in der Vergangenheit gerechtfertigt haben oder heute noch rechtfertigen.Wir haben nach wie vor eine gewaltbereite linke Szene, die sich hinsichtlich ihres Umfangs und hinsichtlich der Zahl der kriminellen Aktivitäten mit der rechten Szene durchaus messen kann. Und ich habe bereits in der letzten Landtagstagung erklärt, die Gewalt, die bei Demonstrationen gegen rechts von dieser linken Szene gegen Sachen und Personen ausgeht, stellt ihrerseits einen Angriff auf die Demokratie und die Demokraten dar. Sie dient nicht der Verteidigung der Rechtstaatlichkeit in unserem Land.Weit bedrückender aber empfinde ich mittlerweile die Tatsache, dass wir uns in der politischen Diskussion auf einen Weg der Moralisierung und Tabuisierung begeben, der an sich in einer auf freiem Meinungswettbewerb fußenden Demokratie gefährlich ist.Mit Recht und Gesetz, mit den Möglichkeiten des Staates werden wir mit ein paar Kriminellen, gleich welcher Geisteshaltung, fertig.Ein Problem taucht aber auf, wenn unter der Überschrift eines „Kampfes gegen Rechts“ demokratische Politiker ins moralische Abseits gestellt werden und eine Tabuisierung bestimmter Fragestellungen eintritt, so dass sich Zweifel, Skepsis oder auch Furcht vor Überfremdung, vor Andersartigkeit, vor Gewalt auch durch Ausländer, nicht mehr artikulieren können.Ob der Begriff der Leitkultur brauchbar und klug ist, gehört zum politischen Streit, ihn moralisch zu diskreditieren, ihn in Zusammenhang zu bringen mit Synagogenschändungen und Gewalttaten, verletzt die Regeln der demokratischen Auseinandersetzung.Ob Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, sich und der Sache mit dieser Äußerung einen Dienst erwiesen hat, bezweifele ich. Aber es ist symptomatisch für die Reflexhaftigkeit der politischen Reaktion auf rechte Provokationen. 4 Der Kreisvorsitzende der F.D.P. in Neumünster, Reinhard Ruge, hat mit seinen Töchtern eine Diskussion darüber geführt, ob sie sich von den Glatzen aus dem Club 88 in irgendeiner Weise bedroht fühlten. Die Reaktion stimmte nachdenklich. Seine Töchter erklärten, von den Glatzen würden sie nicht belästigt, wohl aber von Türken in der Diskothek, doch darüber dürfe man nicht sprechen und dieses Problems nehme sich niemand ernsthaft an.Über diese einzelne Erklärung hinaus, die in ähnlicher Weise ja von der Schulsprecherin der Schule in Gadeland, die dem Club 88 gegenüberliegt, auch Herrn Staatssekretär Dr. Stegner bei einer Diskussionsveranstaltung nahegebracht wurde, gibt es in unserer Gesellschaft viele Menschen, die sich mit Fremden schwer tun, ihre Identität auch in der Abgrenzung zu anderen Kulturen finden, die auf der Erhaltung auch ungeschriebener kultureller Regeln in unserem Lande bestehen und ihre Kinder aus Schulen nehmen, in denen Mitschüler, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, in der Mehrheit sind.Die Tabuisierung ihrer Ängste und Sorgen, so glaube ich, schafft genau das, was es angeblich verhindern soll – ein apathisches Umfeld für die wenigen Gewalttäter.Denn wer das Gefühl hat, dass seine Sorgen und Nöte, und seien es auch Vorurteile und unbegründete Überfremdungsängste, in der politischen Auseinandersetzung nicht vorkommen, weil sie unmoralisch sind, wird den Gewalttätern keinen Widerstand entgegensetzen, da er der demokratischen Kultur nicht mehr vertraut.Ich bin sicher, dass die Folge von Tabus und moralisierender Unterdrückung vorhandener Stimmungen nicht weniger, sondern mehr Gewalt in einem aus dem Verfassungsbogen ausgestoßenen Umfeld sein wird. Das kann niemand wollen. Und das werden wir auch nicht zulassen.Eine unspektakuläre, unaufgeregte, angemessene und vor allem rationale Diskussion ist wichtig unter Einschluss aller Aspekte des Phänomens.Eine moralisierende Debatte, die zur Unperson bereits den erklärt, der Ängste hat oder sie artikuliert, der auf Probleme auch mit Ausländern hinweist, nützt zwar der Instrumentalilsierung eines Kampfes gegen Rechtsextremismus, sie schadet jedoch ihrem Erfolg.Aus dem „Aufstand der Anständigen“, den Bundeskanzler Gerhard Schröder gefordert hat, darf nicht die permanente Revolution werden. Denn die Geschichte lehrt, dass die Revolution am Ende ihre Kinder frisst.Wenn wir, wie wir es in der vorletzten Legislaturperiode im Schleswig-Holsteinischen Landtag ja demonstriert haben, gemeinsam unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Positionen beschreiben und vertreten, also unsere Grundrechte mit Leben erfüllen, werden wir verhindern, dass die Feinde der Demokratie über ihre bisherige marginale Größe hinaus anwachsen können.Die wehrhafte Demokratie hält jeden Angriff von außen aus. Wir müssen verhindern, dass sie im Übereifer von innen geschwächt wird.“