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17.11.00 , 12:23 Uhr
B 90/Grüne

Angelika Birk: Interkulturelle Bildung heißt mehr als Englisch lernen

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Sperrfrist: Redebeginn Claudia Jacob Es gilt das gesprochene Wort! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Zu TOP 22 - Fremdsprachenunterricht an Grundschulen - Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 erklärt die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Telefax: 0431/988-1501 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Angelika Birk: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 275.00 / 17.11.2000


Interkulturelle Bildung heißt mehr als Englisch lernen
Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt rückt in einem vor noch wenigen Jahren ungeahnten a- temberaubenden Tempo zusammen. Der Siegeszug des Internets ist der Motor dieser Entwicklung. Immer mehr Firmen entwickeln sich zu „global players“, haben Betriebsteile und Produktionsstätten über die ganze Welt verteilt. Menschen an Arbeitsplätzen auf verschiedenen Kontinenten arbeiten eng zusammen, entwickeln gemeinsame Projekte und kommunizieren dabei mittels der weltum- spannenden modernen Kommunikationstechniken.
Die Voraussetzung dafür aber ist die Beherrschung von Fremdsprachen und die Kenntnis der kultu- rellen Besonderheiten und Unterschiede. Schon heute kann sich eine ArbeitnehmerIn auf einem qualifizierten Arbeitsplatz kaum leisten, sich nicht wenigstens in einer Fremdsprache verständigen zu können.
Wie bedeutsam dieses Thema ist, wird auch daran deutlich, dass alle Fraktionen in diesem Hause und der SSW gemeinsam einen Bericht über einen Fremdsprachenunterricht bereits in der Grund- schule beantragt haben. Die Landesregierung hat diesen Bericht rasch erstellt; er ist gering im Um- fang, aber sehr informativ - so soll es sein, und dafür bedanke ich mich herzlich.
Die rot-grüne Landesregierung hat die Notwendigkeit, aber auch den pädagogischen Wert erkannt, GrundschülerInnen mit fremden Sprachen und Kulturen vertraut zu machen. Ich begrüße ausdrück- lich, dass die von der Landesregierung dafür gewählte Form keine Benotung vorsieht und damit auf weiteren Leistungsdruck verzichtet. Mit der in den Fachunterricht integrierten zehn- bis 15- minütigen Fremdsprachenbegegnung pro Woche wird eine positive und erlebnisreiche Erstbegeg- nung mit der fremden Sprache ermöglicht, die dann in das intensive Erlernen ab der 5. Klasse mündet.
Wir sollten allerdings sehr sorgfältig die Ergebnisse des Schulversuchs an der Claus-Rixen-Schule in Altenholz und die Erfahrungen aus den Ländern auswerten, in denen eine Fremdsprache bereits ab der 3. Klasse regulär unterrichtet wird. Sollte sich herausstellen, dass dort die SchülerInnen oh- ne Überforderung durch das zusätzliche Fach die fremde Sprache erlernen, ist meine Fraktion be- reit, eine Einführung regulären fremdsprachlichen Unterrichts an den Grundschulen auch in Schleswig-Holstein zu prüfen. Solange aber, Kollege de Jager, diese Ergebnisse nicht vorliegen, halte ich es für fahrlässig, bereits jetzt eine solche Entscheidung zu treffen. Zumal Sie sich, wie immer, wenn’s um’s Geld geht, um die Frage herummogeln, wie die dafür erforderlichen zusätzlichen Lehrerstellen finanziert werden sollen. Oder wollen Sie, wie in Bayern, den Deutschunterricht zugunsten der Fremdsprache verrin- gern?
Ich habe drei kritische Anmerkungen zu dem Bericht:
Wir sollten im Bildungsausschuss nach Möglichkeiten suchen, die flächendeckende Einführung der Fremdsprachenbegegnung zu beschleunigen. Mit erscheint das Schuljahr 2004/05 dafür sehr spät, auch angesichts der Entwicklung in den anderen Bundesländern. Schließlich sollten wir eine Be- nachteiligung unserer Kinder unbedingt vermeiden.
Ich begrüße es ausdrücklich, wenn Eltern sich für einen frühzeitigen fremdsprachlichen Unterricht an Grundschulen engagieren. Ich halte es aber für fatal, dass für solche freiwilligen Zusatzangebote teilweise Gebühren erhoben werden. Alle Kinder einer Schule müssen unabhängig vom Einkom- men ihrer Eltern die Chance zur Erstbegegnung mit der Fremdsprache haben.
Ich teile ausdrücklich die Auffassung der Landesregierung, dass Kinder, deren Muttersprache nicht deutsch ist, besonders sensibilisiert und motiviert für die Fremdsprachenbegegnung sind und dass diese positive Effekte für ihre Integration hat. Nur, was folgt daraus? Im Berichtsantrag war aus- drücklich - und diese Frage war mir besonders wichtig - danach gefragt, welche Konzepte beste- hen, schon vorhandene Zweisprachigkeit in die Fremdsprachenbegegnung zu integrieren. Ich ent- nehme dem Bericht, dass es diese Konzepte noch nicht gibt.
Schon heute haben etwa 30 Prozent der in Deutschland geborenen Kinder mindestens ein Eltern- oder Großelternteil mit Migrationshintergrund. Unsere Schulen können in ihrer Mehrzahl nicht weiter so tun, als hätten sie es nur mit deutschen Kindern zu tun und als ob es für die Kinder ausländi- scher MitbürgerInnen nur gelte, deren Defizite in der deutschen Sprache zu beheben. Wir müssen in den Schulen Deutschunterricht für dies Kinder als Fremdsprache verlässlich anbieten und auch herkunftsprachlichen Unterricht.
Dieser sollte auch als interkultureller Unterricht allen SchülerInnen angeboten werden, so dass deutsche SchülerInnen von Kindern nichtdeutscher Herkunft profitieren können und umgekehrt. Und er sollte in das Fremdsprachenangebot der Schulen integriert werden, damit sich alle Schüle- rInnen für eine Fremdsprache wie Türkisch, Spanisch, Griechisch oder Russisch entscheiden kön- nen. Ein solches Konzept trägt im Gegensatz zu den erhitzten Debatten über die „deutsche Leitkul- tur“ tatsächlich zur Integration der EinwanderInnen in unsere Gesellschaft bei.
Eine Schule, die eine solche interkulturelle Bildung bereits beispielhaft leistet, ist die Albert- Schweitzer-Grundschule in Wedel, die von SchülerInnen von mehr als 20 Nationen besucht wird. Im regulären Unterricht und in Projektwochen werden die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und Sozialisationen der SchülerInnen behandelt und ausgetauscht. So wünschte ich mir das an vie- len Schulen unseres Landes.
Für die Fremdsprachenbegegnung an den Grundschulen heißt ein solches Konzept interkultureller Bildung, dass das Angebot zumindest in Schulen in den Stadtteilen, in denen viele ausländische Familien einer Nationalität leben, um diese Sprache erweitert werden muss. Ich sehe durchaus die Probleme, die damit verbunden sind. So haben wir keine ausgebildeten LehrerInnen für z.B. Tür- kisch. Wir werden dies natürlich nicht von heute auf morgen einführen können. Aber auch unsere Schulen müssen sich für die Notwendigkeit interkultureller Bildung öffnen.
Es ist wichtig, sich auf Englisch verständigen zu können. Es ist aber für die soziale Belastbarkeit unserer Gesellschaft nicht weniger wichtig, sich mit der türkischen Nachbarsfrau verständigen zu können. ***

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